Der Schock bei Politik und Wirtschaft sitzt tief
Die für diesen Mittwoch angekündigte erneute russische Gas-Lieferkürzung sendet Schockwellen durch die Deutschlands Politik und Wirtschaft.

Von Gernot Heller, RNZ Berlin
Berlin. Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck sprach von Willkür. Er warf dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vor, gegen Deutschland und seine europäischen Partner eine "wirtschaftskriegerische Auseinandersetzung" zu führen. "Wir sind in einer ernsten Situation", gestand er ein.
Von der Union wurden der Ampel-Regierung derweil schwere Versäumnisse vorgeworfen. Ihr energiepolitischer Sprecher Andreas Jung, auch Vize-Vorsitzender der CDU, forderte einen Gas-Gipfel vom Kanzler, ähnlich dem, den es in Baden-Württemberg gerade gab. "Warum macht so etwas nicht auch Olaf Scholz?", fragte er im Gespräch mit unserer Zeitung. Der Kanzler sollte die Ministerpräsidenten sowie die Vertreter der kommunalen Spitzenverbände einladen, um gemeinsam ein Energiesparpakt auf den Weg bringen. Ein solcher Gasgipfel müsse "jetzt, rasch, unmittelbar" einberufen werden. Das Problem, so mahnt Jung darüber hinaus, reiche über den Gasbereich hinausreichen. "Es droht nicht nur ein Gasmangel. Es muss jetzt alles in die Waagschale geworfen werden, um einen Energienotstand im Winter abzuwenden".
Gerade beim Strom zeichnen sich größere Probleme ab, die noch zunehmen dürften. Nicht nur weil der Gas-Einsatz bei der Erzeugung von Strom drastisch heruntergefahren werden soll, um die Speicher schneller füllen zu können. Sondern auch weil der aktuell zu beobachtende massenhafte Kauf von Heizlüftern als alternative Wärme-Quelle den Stromverbrauch in ungeahnte Höhen treiben könnte . Zudem droht noch eine Strom-Knappheit im Nachbarland Frankreich wegen vieler brachliegender Atomkraftwerke. Hier könnten auf Deutschland im Rahmen der europäischen Solidarität Zulieferungen zukommen.
Für Jung und viele weitere Unionsabgeordnete wird es daher ohne eine befristete Verlängerung der Laufzeiten für die drei noch betriebenen Kernkraftwerke nicht gehen. Auch von prominenten Grünen und aus dem Umkreis von Kanzler Scholz gab es zuletzt Signale, die das nicht mehr ausschlossen.
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In der FDP geht man einen Schritt weiter. Michael Kruse, der energiepolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, denkt schon an eine größere Laufzeitverlängerung. In deutschen Medien ließ er sich mit dem Satz zitieren: "Die Laufzeiten sollten bis Frühjahr 2024 verlängert werden." Damit liegt er nahe bei Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Der forderte "einen klaren Beschluss zur Verlängerung der Kernkraft". Die verbliebenen Atommeiler sollten weiterlaufen, bis die Krise vorbei ist, also frühestens bis Mitte 2024, so Söder. Das allerdings geht weit über das hinaus, was momentan namentlich die Grünen mitmachen würden. Im Übrigen beharrt die FDP darauf, auch die Gasförderung in Deutschland auszubauen.
Einig sind sich alle in der deutschen Politik: Die jüngste Gas-Lieferkürzung Russlands wird nicht die letzte bleiben. Man müsse davon ausgehen, dass Deutschland den kommenden Winter womöglich ganz ohne russische Energien auskommen müsse, so die verbreitete Erwartung in der Hauptstadt.
Entscheidend dafür, wie Deutschland durch den Winter kommt, wird sein, ob im November die Speicher mit 95 Prozent fast voll sind. Die Bundesnetzagentur mahnt, bleibe es bei niedrigen russischen Lieferungen, werde das "kaum ohne zusätzliche Maßnahmen" zu schaffen sein.
In der Wirtschaft zeigen die wachsenden Energieprobleme Wirkung. Angesichts dieser Risiken hat sich die Stimmung bei den deutschen Exporteuren laut Ifo-Institut weiter eingetrübt. "Die Gasknappheit belastet den Ausblick der deutschen Exportwirtschaft", so das Institut. Die chemische Industrie, ein Großverbraucher russischen Gases, warnte vor den Folgen einer dauerhaften Senkung der russischen Gas-Liefermengen.



