Ab Mittwoch dürfen Angehörige von Flüchtlingen nach Deutschland
Familiennachzug hält sich in Grenzen

Von Petra Sorge, RNZ Berlin
Berlin. Erbittert hatte die Große Koalition über den Familiennachzug gestritten, nun tritt er in Kraft: Ab Mittwoch dürfen Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus wieder Angehörige zu sich nach Deutschland holen. Dann treten die neuen Regeln zum Familiennachzug in Kraft, den die Bundesregierung vor zwei Jahren ausgesetzt hatte. Gerungen hatten SPD und Union vor allem um die Kontingente. Der jetzt betroffene Personenkreis umfasst die subsidiär Schutzberechtigten, die zwar keinen Anspruch auf politisches Asylrecht haben, aber ein Bleiberecht, weil ihnen in ihrer Heimat Folter oder Tod droht. Das sind vor allem Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien und dem Irak.
Die Regel enthält jedoch eine Obergrenze. Pro Monat dürfen nur 1000 Personen nach Deutschland kommen. Bis Jahresende sind es 5000, nicht ausgeschöpfte Monatskontingente dürfen jeweils noch auf den Folgemonat übertragen werden. Ab 1. Januar 2019 gilt dann die strenge Obergrenze - kommen nur 900 Familienangehörige, verfallen die restlichen 100 Plätze. Zudem wird die Zahl angerechnet auf die Obergrenze von 200.000, die die CSU durchgesetzt hatte. Die Unionsparteien hatten so hart verhandelt, weil sie einen regelrechten Ansturm von Nachzügen befürchtet hatten. Kirchen und Menschenrechtler hatten die Regelung als Zeichen von Humanität verteidigt.
Bei den deutschen Auslandsvertretungen liegen seit 2016 aber nur 34.000 Terminanfragen für eine Visa-Ausstellung vor, teilte gestern ein Sprecher des Außenministeriums mit. Zudem könnten viele der Terminwünsche, die seit September 2016 bei den Botschaften und Konsulaten vor allem in Jordanien, Libanon, Irak und der Türkei eingereicht wurden, inzwischen erledigt sein. Möglich sei auch, "dass sich Menschen an mehrere Auslandsvertretungen für einen Termin registriert haben", so der Sprecher. Die SPD zeigte sich von der Zahl der Anfragen nicht überrascht. Dies sei kein "großer Andrang", sagte Burkhard Lischka, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, unserer Berliner Redaktion. "Dies ist exakt die Zahl, die wir bei den Beratungen zum Gesetzentwurf als realistisch zu Grunde gelegt haben. Zum Ende der Legislaturperiode werden wir somit wie vorausgesagt all diese Familien wieder zusammengebracht haben."
Die jetzt Berechtigten können humanitäre Visa für ihre Ehepartner oder Kinder beantragen. Minderjährige Flüchtlinge dürfen auch ihre Eltern nachholen, sofern sie ihren Antrag vor dem Erreichen der Volljährigkeit bei einer deutschen Botschaft gestellt haben. Das Verfahren regeln das Auswärtige Amt und das Bundesinnenministerium, die letztendliche Entscheidung für den Einzelfall unterliegt dem Bundesverwaltungsamt. Die Anfragen werden in chronologischer Reihenfolge bearbeitet, erklärte der Sprecher des Außenministeriums. Denn es sei davon auszugehen, dass bei Personen, die ihren Antrag bereits Mitte 2016 gestellt hätten, "die Trennung auch am längsten besteht und deswegen der Bedarf am höchsten ist".
Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl kritisierte, die Verfahren seien völlig intransparent. "Es müssen auch andere Kriterien als der zeitliche Eingang der Anfrage berücksichtigt werden, etwa Krankheiten oder das Alter der Betroffenen", sagte Rechtsexpertin Bellinda Bartolucci im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion. "Das ist eine reine Ermessensentscheidung und das macht es besonders dramatisch für die Betroffenen." Bartolucci empfiehlt den subsidiär Schutzberechtigten in Deutschland notfalls den Gang vor Gericht: "Diese Regelung ist rechtlich angreifbar, und deswegen sollte versucht werden zu klagen."
Die stellvertretende Vorsitzende der Fraktion Die Linke, Sevim Dagdelen, sagte, "der Familiennachzug gleicht einer Lotterie zulasten Tausender Kinder und Frauen." Das vorgesehene Personal für solch lebenswichtige Entscheidungen sei "völlig unzureichend", sagte Dagdelen. "Die Ermessensregelung öffnet der Willkür Tür und Tor." Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Stephan Thomae bezeichnete die Regelung zum Familiennachzug als "dilettantisch". Sie führe unter anderem "zu erheblichen Unsicherheiten im Vollzug", und die starre Obergrenze sei "nicht praxistauglich".