Bilanz des Luther-Jubiläums

"Reformationstag sollte auf Dauer bundesweit Feiertag sein"

Margot Käßmann zieht eine positive Bilanz des Luther-Jubiläums - trotz und auch wegen der Playmobil-Figur

29.10.2017 UPDATE: 30.10.2017 06:00 Uhr 3 Minuten, 24 Sekunden

Margot Käßmann hält Luthers Fragen auch nach 500 Jahren noch für hochaktuell. Foto: dpa

Von Andreas Herholz, RNZ Berlin

Berlin. Margot Käßmann (59), ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, ist die Botschafterin des Rates für das Reformationsjubiläum.

Frau Käßmann, fünf Jahre lang waren Sie als Botschafterin des Rates für das Reformationsjubiläum im Dienst. Sind Sie des Reformators Martin Luther überdrüssig?

Nein. An Luther kann man immer wieder noch etwas Neues entdecken. Viele seiner Fragen von vor 500 Jahren sind immer noch aktuell. Seine Predigten etwa sind immer noch eine wichtige Quelle und Inspiration.

Wie fällt Ihre Bilanz des Reformationsjubiläums aus? Was wird bleiben?

Auch interessant
Debattenbeitrag: 95 Thesen, die die Welt verändern
500 Jahre Reformation: Was Luther heute von uns fordern würde
Luthers Disputation: "Kulturereignis von Weltrang"
500. Jubiläum der Reformation: Zum Greifen nahe

Historisch wird bleiben, dass das erste Mal ökumenisch und vor allem auch international gefeiert wurde. Früher waren die Reformationsjubiläen immer sehr deutsch-national und auch abgrenzend gegenüber der katholischen Kirche. Gut, dass es diesmal anders war. Es ist vielerorts gelungen, Menschen neugierig zu machen und zu beteiligen. Luther wollte, dass die Menschen sich beteiligen, selber denken, lesen und selbst Antworten auf ihre Fragen finden. Gut auch, dass wir nicht nur über die Vergangenheit gesprochen haben, sondern gerade auch bei der Weltausstellung Reformation darüber, was Reformation heute bedeutet.

Es gab aber auch Kritik am Konzept und den Feierlichkeiten. Die große Begeisterung ist ausgeblieben. Warum?

Für mich war es ein Erfolg, ja. Es kommt nicht darauf an, ob nun 500.000 oder 600.000 in der Lutherstadt Wittenberg waren. Gerade für die Kirchen in Mitteldeutschland und die Christen in Ostdeutschland war das einfach gut. Die Menschen, die dort gewesen sind, waren begeistert, vor allem auch die jungen Leute. Es waren etwa 15.000 Konfirmanden da. Die jungen Menschen kommen mit ihrer Offenheit, einer Neugier und vor allem mit ihrer Sprache, mit der sie manches Mal für unsere Zeit verständlicher ausdrücken können, worum es geht, als Theologen, die dann doch immer wieder für andere eine Fremdsprache sprechen. Wir haben dieses Reformationsjahr wirklich gut genutzt. Es gab über 10.000 Veranstaltungen in den Kirchengemeinden in ganz Deutschland. Wir haben Ausstellungen, Konzerte, Theateraufführungen erlebt. Auch die Medien haben den Fokus auf das Jubiläum gerichtet. Wir haben eingeladen zu Gesprächen über Gott und die Welt. Sicher wird es in der säkularer gewordenen Welt darum gehen, darüber zu sprechen, was Glaube für die Menschen bedeutet.

Sehen Sie Fortschritte auf dem Weg in Richtung Ökumene?

Kardinal Kasper hat in Wittenberg gesagt, das Reformationsjahr 2017 sei der günstige Zeitpunkt für eine Annäherung. Wir haben gelernt, dass uns mehr verbindet als trennt. Der nächste sichtbare Schritt ist die gegenseitige Einladung zur Eucharistie. Das Ziel der Ökumene ist für mich nicht eine Einheitskirche. Die Vielfalt ist durchaus spannend.

Welche Botschaft hat dieser machohafte, mittelalterliche und ruppige Geistliche Martin Luther heute?

Seine Frage, wie bekomme ich einen gnädigen Gott, stellt so natürlich heute niemand in unserem Land. Die müssen wir übersetzen. Aber die Frage, welchen Sinn macht mein Leben, wenn ich in dieser Leistungsgesellschaft nicht mithalten kann, wenn ich nicht aussehe wie die jungen Frauen bei Heidi Klum, stellen sich viele. Luthers Antwort lautet: Deinem Leben ist von Gott schon lange Sinn gegeben, bevor du etwas leisten kannst. Das müssen wir in die heutige Zeit übersetzen, dann kann es für viele Menschen auch aktuell eine große Befreiung sein.

Ein großer Erfolg war Luther als Playmobil-Figur. Manch einer kritisiert Kitsch und Kommerzialisierung. Heiligt der Zweck am Ende die Mittel?

Die evangelische Kirche hat ja nicht diese Luther-Figur erfunden. Soziologen aber sagen, was als Playmobil-Figur erscheint, ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Es gibt heute zu jedem großen Ereignis Merchandising. Wir hatten Luther-Bier, Luther-Brote und Luther-Playmobil. Den Papst gibt es als Spardose, als Anhänger und Postkarte. Da sollten wir es mit Luther halten, der gesagt hat: Das Evangelium kann nur mit Humor gepredigt werden. Und Humor tut der Evangelischen Kirche gut.

Was würde Luther heute sagen?

Luther hätte sich nie vorstellen können, dass so viele Menschen nicht mehr an Gott glauben. Wenn er dies heute erleben würde, würde er auf die Kanzel steigen und predigen. Eine seiner Botschaften wäre: Dein Leben ist mehr als Geld verdienen und die nächste Urlaubsreise. Es geht um die existenziellen Fragen des Lebens.

In diesem Jahr ist der Reformationstag einmalig bundesweit Feiertag. Sollte das auch in Zukunft so bleiben?

Der Reformationstag sollte auf Dauer bundesweit Feiertag sein. Es ist ein Ereignis, das nicht nur die Kirchen betrifft, sondern unser ganzes Land. Das reicht vom Bildungssystem bis zur Sprache und anderen Bereichen. Bei Klagen der Wirtschaft gegen einen weiteren Feiertag sei daran erinnert, dass Bayern die meisten Feiertage hat und dennoch die größte Wirtschaftskraft in Deutschland. Es tut den Menschen gut, einmal innezuhalten und nachdenken zu können.

Immer mehr Kinder und Erwachsene hierzulande feiern Halloween statt Reformation. Wie bewerten Sie diesen Trend?

Mir tut das leid, denn Luther wollte uns ja nun grade von der Angst vor Geistern befreien. Das ist ein reines Kommerzfest.

Nicht nur der Bundespräsident warnt vor einer Spaltung der Gesellschaft. Was kann die Kirche hier tun?

Der christliche Glaube und die Kirche können eine große Klammer bieten. In der Kirche kommen alle gesellschaftlichen Bereiche zusammen. Hier wird viel für die Integration geleistet. Und: Wir glauben nicht, dass das Volk Gottes an nationalen Grenzen endet. Das ist im Jahr des Reformationsjubiläums sehr deutlich geworden. Wir hatten Menschen aus aller Welt zu Gast. Da haben sich Menschen aus Südkorea, aus Tansania und Brasilien zu uns aufgemacht, um hier mit uns Reformation zu feiern. Das waren eine internationale Feier und eine klare Botschaft an die, die sich abgrenzen und andere ausgrenzen wollen.