AfD und Co. im Aufwind

Woher kommt der europaweite Erfolg der Rechtspopulisten?

Keine "Entzauberung" in Regierungsverantwortung. Wichtige Faktoren sind ein niedriges Bildungsniveau sowie die Stadt-Land-Differenz.

22.07.2023 UPDATE: 22.07.2023 06:00 Uhr 2 Minuten, 49 Sekunden
Symbolfoto: dpa

Von Joris Ufer

Heidelberg. Sinkende Arbeitslosenzahlen, niedrige Inflation und wirtschaftliche Erholung von der Pandemie – eigentlich hat die spanische Koalition unter Regierungschef Pedro Sánchez einiges vorzuweisen. Trotzdem sieht es so aus, als könnte das linke Bündnis bei den Wahlen dieses Wochenende durch ein rechts-konservatives abgelöst werden. Und nicht nur hier, sondern überall in Europa sind Rechtspopulisten auf dem Vormarsch. Wo liegen die Ursachen für ihren Erfolg?

In Frankreich ist es längst nichts ungewöhnliches mehr. Schon zweimal schaffte es Marine Le Pen vom rechtsextremen "Rassemblement National" in die Stichwahl ums Präsidentenamt. In Deutschland jedoch war es für viele ein Schock, als im Juni zum ersten Mal ein Landrat und kurz darauf ein hauptamtlicher Bürgermeister von der AfD gewählt wurden. In Umfragen liegt die Partei mit 20 Prozent auf Platz zwei. In Schweden sind die rechtspopulistischen "Schwedendemokraten"seit letztem Jahr sogar an der Regierung beteiligt.

"Deutschland und Schweden sind nicht die Länder, wo der Wohlfahrtsstaat am kleinsten ist. Aber es sind diejenigen, wo er in den letzten 20 Jahren am deutlichsten abgebaut worden ist", erklärt Lars Rensmann, Professor für Politikwissenschaft in Passau. "Und das fällt in denselben Zeitraum wie eine deutliche Zunahme der Migration in Länder, die vom Selbstverständnis her bislang keine Einwanderungsländer waren." Den Rechten sei es gelungen, diese eigentlich getrennten Themen miteinander zu verknüpfen. Ein falsches Narrativ, dass durch den zeitlichen Zusammenhang aber oberflächlich richtig wirken könne.

Doch was bringt heute immer mehr Menschen dazu, sich dem rechten Rand zuzuwenden? "Es gibt ein Gefühl von Prekarisierung und gesellschaftlichem Druck, was diesen Parteien in die Hände spielen kann", erklärt der Politikwissenschaftler. "Trotzdem gibt es keine Gleichung, dass wirtschaftlich schwächere Schichten prinzipiell stärker populistisch wählen."

Auch interessant
Parteien: Kretschmann: Grüne nicht verantwortlich für AfD-Umfragehoch
Umfrage: Mehrheit hält AfD für rechtsextrem

Wichtigere Faktoren seien ein niedriges Bildungsniveau sowie die Stadt-Land-Differenz. Das Beispiel des ländlichen Sachsens zeige: Dort wo es wenig Erfahrung mit Migration gebe, sei die Skepsis im Schnitt sehr viel größer. Auch politische Kultur spiele eine Rolle. So ließe sich erklären, warum populistische Politiker in vielen osteuropäischen Ländern schon seit Jahren dominieren.

Die "Brandmauer nach Rechts" ist bei vielen konservativen Parteien in Europa gefallen. In mehreren Ländern sind Rechtspopulisten längst Teil der Regierung oder führen sie sogar an. Ein aktuelles Beispiel ist Finnland, wo seit dem 20. Juni eine Koalition im Amt ist, zu der auch die rechtspopulistische Partei "Die Finnen" gehört. Bereits nach zehn Tagen musste deren Wirtschaftsminister Vilhelm Junnila wegen rechtsextremer Kontakte zurücktreten. Nun steht die Finanzministerin und Parteichefin Riikka Purra wegen rassistischer Äußerungen in der Kritik. Aber können solche Skandale Regierungen aus dem Sattel zu heben?

"Es gibt die falsche Annahme, dass Rechte in der Regierung entzaubert würden", analysiert Rensmann. "Natürlich sind sie dort auch mit Grenzen wie dem europäischen Recht oder der eigenen Verfassung konfrontiert, doch diese versuchen viele Akteure, schrittweise zu erodieren." Ein Beispiel dafür sei die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni mit ihren Angriffen gegen die freien Medien.

Victor Orbáns "Fidesz"-Partei habe auch schon die ungarische Verfassung zu ihren Gunsten geändert. "Es wird immer wieder versucht, das System schleichend umzubauen", sagt der Politikwissenschaftler. "Auch die Pis Partei in Polen hat es sehr gut geschafft kulturelle Narrative wie die Elitenfeindlichkeit zu bedienen – obwohl sie schon lange selbst an der Macht ist."

Trotz ihres nationalistischen Kernanliegens versuchen sich Europas Rechtspopulisten immer stärker zu vernetzen. Aber zumindest im EU-Parlament sprechen sie aktuell nicht mit einer Stimme, sondern sind aufgespalten. Der Fraktion "Identität und Demokratie" gehören unter anderem die AfD, die italienische "Lega" und das französische "Rassemblement National" an. Doch auch die Fraktion "Europäische Konservative und Reformer" beherbergt Rechtspopulisten wie etwa die "Fratelli d’Italia" von Giorgia Meloni.

"Man kann nicht davon sprechen, dass hier alle Rechtspopulisten verbunden sind und das zeigt sich auch immer wieder im Abstimmungsverhalten", erklärt Rensberg. "Die ansonsten hochproblematische Fidesz-Partei etwa stimmt fast immer für Gesetze zur Bekämpfung des Klimawandels, während die AfD oder Lega prinzipiell dagegen sind." Trotzdem gebe es heute stärkere strategische Bündnisse als früher.

Spanien könnte nun das nächste Land mit Rechtspopulisten in Regierungsverantwortung werden. Wenn sie nach ihrem prognostizierten Wahlsieg keine eigene Mehrheit zustande bringt, könnte die "Konservative Volkspartei" auf die rechtsextreme Partei Vox angewiesen sein. Doch die Themen wandeln sich. Auch immer mehr rechte Parteien sehen, dass viele europäische Gesellschaften auf Arbeitsmigration angewiesen sind. "Vox in Spanien geht thematisch deshalb immer weiter weg von Antimigration hin zu Anti-LGBTQ+", erläutert Rensmann. "Kulturelle Konfliktlinien sind es, die Menschen am meisten bewegen – und das nutzt der Rechtspopulismus aus."

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.