Regierungserklärung

Merz wirbt für Kraftakt: "Der Staat, das sind wir alle"

In seiner ersten Regierungserklärung wirbt der Kanzler für mehr Gemeinsinn und Vertrauen in die Kraft des Landes. Und er erneuert ein Versprechen, das aus der Nachkriegszeit stammt.

14.05.2025 UPDATE: 14.05.2025 00:34 Uhr 3 Minuten, 31 Sekunden
Bundestag
Merz verspricht in seiner ersten Regierungserklärung unter anderem «Wohlstand für alle".

Von Thomas Vitzthum, Berlin

Berlin. Mitten in der ersten Regierungserklärung von Bundeskanzler Friedrich Merz fällt ein Satz, der aus dem Rahmen fällt. Und der, wäre er an diesem Ort vor zwanzig, vor dreißig Jahren oder gar noch früher in Bonn ausgesprochen worden, eine politische Erschütterung enormen Ausmaßes provoziert hätte. Merz sagt: "Die Bundesregierung wird zukünftig alle finanziellen Mittel zur Verfügung stellen, die die Bundeswehr braucht, um konventionell zur stärksten Armee Europas zu werden." Das sei dem bevölkerungsreichsten und wirtschaftsstärksten Land Europas angemessen.

Deutschland will also massiv aufrüsten. Und gibt es einen Aufschrei? Nein. Nur aus Richtung der Linkspartei ruft jemand etwas Unverständliches dazwischen. Es gibt weder Aufschrei noch großen Applaus, schon gar nicht Hurra-Geschrei. So sind die Zeiten. Veränderte Zeiten. "Unser Ziel ist ein Deutschland und ein Europa, die gemeinsam so stark sind, dass wir unsere Waffen niemals einsetzen müssen", sagt Merz. Deutschland werde innerhalb der Nato und in der EU mehr Verantwortung übernehmen müssen.

In der Ankündigung, die Bundeswehr zur stärksten Armee machen zu wollen – das planen übrigens auch die Polen – verdichtet sich der Anspruch des neuen Kanzlers, der vor allem auf die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik zielt. Merz hat schon in der ersten Woche seiner Amtszeit entsprechende Schwerpunkte gesetzt. Etwa mit seinen Reisen, darunter eine in die Ukraine. In seiner einstündigen Regierungserklärung geht er zuvorderst ebenfalls auf diese Themen ein.

Für Merz geht es dabei nie nur um deutsche Verteidigungsfähigkeit, sondern immer um europäische. Maxime seines Handelns ist ein profundes Misstrauen gegenüber Moskau: "Denn wer glaubt, Russland gäbe sich mit einem Sieg über die Ukraine oder mit der Annexion von Teilen des Landes zufrieden, der irrt." Allen Versuchen der Spaltung und der Destabilisierung Europas und seiner Demokratien trete man mit allergrößter Entschiedenheit, mit Geschlossenheit und vor allem mit Verteidigungsbereitschaft entgegen, so Merz. Für Deutschland erhebt Merz dabei eine Führungsrolle in Europa.

Der Ukraine verspricht er weiterhin eine "kraftvolle Unterstützung". Konkreter wird er nicht. Was dazu passt, dass die neue Bundesregierung die öffentliche Debatte über bestimmte Waffensysteme wie den Taurus möglichst nicht mehr öffentlich führen will.

All diese Ausführungen ernten im Bundestag so gut wie keinen Widerspruch – außer bei den Linken. Das mag auch daran liegen, dass Merz umgeschaltet hat vom Oppositionsführer zum Staatsmann. Er, der beim Reden ganz schön hinlangen kann, langt nicht hin. Er spricht teilweise wie ein Buchhalter, zitiert – was ihm die Grünen dann auch vorhalten – bisweilen nur Inhalte des Koalitionsvertrags. Sehr nüchtern wird er, als er aus der von ihm favorisierten Außen- in die Niederungen der Innen- oder gar Sozialpolitik absteigt.

Man erfährt erneut, dass die Koalition schnell eine Senkung der Stromsteuer anstrebt, dass sie mit 30-Prozent-Abschreibungen die Wirtschaft ankurbeln will. Dass sie die deutschen Interessen zum Maßstab der Wirtschaftspolitik machen will. Allen, die arbeiten und produzieren, von der Industrie bis zur Landwirtschaft verspricht Merz ein neues Grundverständnis. "Dass wir unseren Unternehmen und ihren Beschäftigten nicht mit Misstrauen und Kontrollansprüchen begegnen, sondern mit Vertrauen und eben mit Verantwortung."

Merz resümiert schließlich: "Wir streben kein ideologisches Großprojekt zur Veränderung unserer Gesellschaft an. Wir wollen einen guten Rahmen setzen für das Zusammenleben der Menschen in Deutschland." Das klingt sehr wenig ambitioniert. Ist aber eine bewusste Botschaft und Entscheidung. Veränderungen, die im Alltag positiv wirken, die will die schwarz-rote Koalition erreichen. Aber nicht für noch mehr Unruhe sorgen. Dazu passt Merz‘ neuer Stil: gemessen, leiser, angriffsscheu, ein bisschen langweilig.

Lange verharrt die stille Zuhörerschaft sicher auch in der Erwartung, ob da vielleicht noch ein Knaller kommt. Unruhe stellt sich erst spät ein, als Merz auf die Energiepolitik zu sprechen kommt. Für sein Bekenntnis zu den Klimazielen gibt es Zwischenrufe von der AfD. Die Partei gibt sich ansonsten während der Rede erstaunlich gemäßigt. Intern soll es in der Fraktion bereits Ansagen gegeben haben, das laute Auflachen, das wüste Dazwischenschreien künftig zurückzufahren. Die AfD will nun, da die Union wieder regiert, als bürgerliche Alternative auftreten.

Gleichwohl hält die neue Oppositionsführerin Alice Weidel eine klassische AfD-Rede. Sie nennt Merz einen "Kanzler der zweiten Wahl", in Anspielung auf sein Scheitern im ersten Wahlgang. Die AfD begrüßt generell etwa die neue Migrationspolitik mit verstärkten Zurückweisungen; nicht wenige in der Fraktion ließen sich in der Merz-Rede da gar zu Applaus hinreißen. Aber noch geht der AfD natürlich alles zu langsam. Und Weidel unterstellt, das würde alles bald wieder beendet. Eine plausible Begründung liefert sie nicht. Es ist zu bemerken, dass die AfD nach einer Strategie sucht, Deutungshoheit bei ihrem Kernthema Migration zu behalten.

Die machen ihr andere streitig. Schärfe, die in Merz‘ Rede fehlt, würzt Unionsfraktionschef Jens Spahn in seine Rede. Spahn spricht ausführlich über die Migrationspolitik, während Merz nur Grundzüge erläutert. Es ist offensichtlich, dass Kanzler und Fraktionschef eine Arbeitsteilung vornehmen. Merz staatstragend, Spahn zuspitzend. Auf die Kritik europäischer Staaten an den verstärkten Zurückweisungen an den Grenzen wiegelt er ab: "Die Frage, wie es Deutschland und den Deutschen dabei geht, spielt für unsere Regierung eben auch eine entscheidende Rolle." Die bisherige Migrationspolitik habe halt keine Mehrheit. Spahn blickt zurück auf die Wahl und konstatiert einen "Vertrauensverlust in die Parteien der Mitte". Aber man habe "den Schuss gehört". Zusammen mit seinem Kollegen Matthias Miersch von der SPD verspricht er, dass die Fraktionen den Kurs der Regierung mitzutragen und "Stabilitätsfaktor" sein zu wollen. Noch überzeugender wäre dies gewesen, wenn die Reihen der SPD während der Regierungserklärung nicht zur Hälfte leer geblieben wären.