"Die Regierung will eine Art Diktatur"
Historiker Pawel Maciejko: Hinter polnischem Gesetz zu NS-Lagern steckt langfristige Strategie - Radikaler Antisemitismus gewachsen

Von Michael Abschlag
Heidelberg. Die polnische Regierung will den Begriff "polnische Lager" im Zusammenhang mit deutschen Konzentrations-lagern im Zweiten Weltkrieg verbieten lassen. Pawel Maciejko, Historiker an der Johns Hopkins University (Baltimore), kritisiert die Regelung.
Herr Maciejko, die polnische Regierung will den Begriff "polnische Lager" verbieten. Wie bewerten Sie das?
Hintergrund
Das polnische Gesetz zu NS-Lagern
Die umstrittene neue Strafvorschrift in Polen sieht vor, dass künftig unter anderem die historisch falsche Bezeichnung "polnische Todeslager" für deutsche Vernichtungslager der Nazis im besetzten Polen während des
Das polnische Gesetz zu NS-Lagern
Die umstrittene neue Strafvorschrift in Polen sieht vor, dass künftig unter anderem die historisch falsche Bezeichnung "polnische Todeslager" für deutsche Vernichtungslager der Nazis im besetzten Polen während des Zweiten Weltkriegs geahndet werden. Die Verwendung der Bezeichnung kann mit Geldstrafen oder Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft werden. Strafen drohen den neuen Regelungen zufolge auch, wenn jemand öffentlich und entgegen den Fakten dem polnischen Volk oder dem polnischen Staat die Verantwortung oder Mitverantwortung für vom "Dritten Reich" begangene Nazi-Verbrechen zuschreibt oder für andere Verbrechen, die Verbrechen gegen den Frieden, die Menschheit oder Kriegsverbrechen darstellen. Bestraft werden kann zudem, wer die Verantwortung der tatsächlichen Täter extrem verkleinert. Die Regelungen müssen aber noch vom Senat verabschiedet und vom Präsidenten unterschrieben werden.
Mit den strengen Strafen will Polens Regierung den Ruf des Landes schützen. Das polnische Institut für Nationales Gedenken (IPN), das das Gesetz ausführen soll, erklärt, Polen sei zuletzt vielfach verleumdet und als "Hitlers Komplize" dargestellt worden.
Scharfe Kritik kam aus Israel. Dort wird befürchtet, dass das polnische Gesetz eine offene Debatte über historisch belegte Verbrechen polnischer Bürger an ihren jüdischen Nachbarn während der deutschen Besatzung im Keim ersticken soll.
Wenn es nur darum ginge, wäre die Regelung ja in Ordnung. Aber die Frage ist, was die Regierung damit bezweckt. Da gibt es drei denkbare Erklärungen. Erstens könnte es sich um eine Überreaktion handeln, hinter der keine Strategie steckt. Die jetzige Regierung ist nicht homogen,und Jaroslaw Kaczynski kontrolliert nicht alles. Gut möglich also, dass jemand aus der zweiten Reihe auf eigene Faust die Initiative ergriffen hat. Zweitens ist es möglich, dass die Regierung versucht, den rechten Rand ihrer Unterstützer zu bedienen. Zuletzt wurden einige Minister vom rechten Flügel durch moderatere Kräfte ersetzt. Also könnte es darum gehen, den rechten Rand wieder zu besänftigen. Und drittens könnte dahinter eine langfristige Strategie stehen.
Bei der es darum geht, ein bestimmtes Geschichtsbild zu verbreiten?
Es geht gar nicht mal so sehr um die Geschichte. Die Regierung schaut nach legalen Möglichkeiten, eine Art Diktatur zu errichten. Das wird nicht von heute auf morgen geschehen, aber langfristig. Und dieses Gesetz ermöglicht es, politische Gegner strafrechtlich zu verfolgen. Denn die Haltung, eine polnische Mitverantwortung am Holocaust zu bestreiten, ist ein Merkmal der politischen Rechten in Polen. Das ist Teil ihres Selbstverständnisses, so wie die Ablehnung von Homosexualität oder von Abtreibungen. Wenn also dazu politische Debatten geführt werden, kann das als Vorwand dienen, um kritische Journalisten zu verfolgen.
Nun ist das polnische Volk ein Opfer des Nationalsozialismus. Ist die Empfindlichkeit da nicht gerechtfertigt?
Absolut. Nach dem Zweiten Weltkrieg war von deutschen Konzentrationslagern die Rede, dann irgendwann nur noch von nationalsozialistischen. Jetzt taucht immer häufiger der Begriff "polnische Lager" auf. Viele Polen haben deshalb das Gefühl, dass die Schuld von den Deutschen langsam auf sie abgeschoben wird. Aber darum geht es der Regierung nicht. Sie macht sich diese Stimmung zunutze, um ihre eigenen Ziele zu verfolgen.
Gibt es in Polen ein Problem mit Antisemitismus?
Als ich aufgewachsen bin, war primitiver Antisemitismus durchaus verbreitet. Wenn jemand jüdisch aussah, konnte er angegriffen werden, und es gab antisemitische Graffiti. Gleichzeitig gab es aber keinen radikalen Antisemitismus in der Politik, an Schulen oder Universitäten. Das hat sich in den letzten zehn Jahren verändert. Es gibt einen Anstieg von radikalem Antisemitismus, und es gibt ihn in Bereichen, wo er vorher nicht anzutreffen war. Heute gibt es im Parlament Abgeordnete, die offen antisemitisch sind. Das war vor 20 Jahren noch undenkbar.
Woher kommt das?
Erstens fühlt sich die Rechte in Polen heute weit sicherer als früher. Zweitens ist das Teil einer Entwicklung, die wir in vielen Ländern beobachten können.
Wird das auch von der polnischen Regierung gefördert?
Die Regierung hat keine einheitliche Ideologie. Aber es gibt Antisemiten in der Regierung und solche, die damit Stimmung machen. Und es gibt die anderen, die das zwar nicht teilen, aber zumindest geschehen lassen.
Warum sind rechtspopulistische Bewegungen so stark, gerade in Ländern wie Polen oder Ungarn?
Diese Bewegungen sind überall stark. Aber sie sind stärker in Ländern, in denen ihre Gegner schwach sind. Eines der Probleme mit dem Aufstieg etwa der PiS-Partei in Polen ist, dass die Linke in Polen so schwach ist. Viele Menschen sind Verlierer des Übergangs vom Kommunismus zum Kapitalismus und wollen gegen die Eliten protestieren. Von der Linken fühlen sie sich im Stich gelassen.
Sehen Sie auch eine fehlende Aufarbeitung von negativen Aspekten der eigenen Geschichte, wie eben von Nationalismus oder Antisemitismus?
Ja, das ist ein Problem. Polen hat keinen Weg gefunden, sich mit diesem Aspekt seiner Geschichte zu beschäftigen. Als ich in der Schule war, in den 1970ern und 1980ern, da wurde über nationale Minderheiten in Polen gar nicht geredet. Das Thema existierte einfach nicht, Polen galt als homogenes Volk. Dieses Denken überwindet man nicht so leicht.
Info: Pawel Maciejko spricht heute um 20 Uhr im DAI in Heidelberg, Sofienstr. 12.