Von Klaus Welzel
Heidelberg. Hans-Georg Kräusslich analysiert seit Ende März für die RNZ die Coronalage.
Prof. Kräusslich, vor einer Woche haben Sie gesagt, der November-Lockdown hat sein eigentliches Ziel nicht erreicht. Jetzt schärfen die Ministerpräsidenten nach. Wie zuversichtlich sind Sie denn, dass der Dezember-Lockdown die Trendwende bringt?
Im Wesentlichen werden die Maßnahmen aus dem November weitergeführt, mit einigen Ergänzungen. Aktuell gibt es eine Seitwärtsbewegung, allenfalls einen leichten Abfall. Man kann hoffen, dass die Neuinfektionen in den nächsten Wochen stärker sinken, deutlich unter 10.000 pro Tag. Aber es ist unmöglich, dies heute zuverlässig vorherzusagen.
Es tobt ein Streit um die mögliche Schließung der Skigebiete. Hotels und Restaurants sind ohnehin zu – als wie hoch schätzen Sie da noch die Ansteckungsgefahr unter den Tagestouristen am Skilift ein?
Diese Frage habe ich mir auch persönlich gestellt. Ich fahre jedes Jahr mit meinen Söhnen in Ski-Urlaub und wir haben erst letztes Wochenende dazu gesprochen. Ich würde mich derzeit auch mit Mundschutz nicht in eine Gondel setzen oder unter das drängelnde Ski-Volk vor dem Lift mischen. Natürlich kann man den Zugang zum Lift anders führen, aber auf die Disziplin in der Liftschlange würde ich nicht vertrauen. Also: Ich würde aktuell nicht Skifahren gehen.
RNZ-Corona-Podcast - Folge 29: Lohnt es sich Geld, für Schnelltests auszugeben?
Interview: Klaus Welzel / Schnitt und Produktion: Götz Münstermann
Wo stecken sich die Menschen überhaupt an? Schulen gelten als sicher, in den Innenstädten ist viel weniger los, als sonst in der Vorweihnachtszeit. Abendkultur gibt es auch nicht – was bleibt derzeit als Ansteckungsort?
Ansteckungen können passieren, wo immer Menschen sich treffen. Es gibt Ansteckungen in den Familien und außerhalb, aber entscheidend ist die Zahl und Dauer der Kontakte mit unzureichendem Schutz. Deswegen haben die Ministerpräsidenten und die Kanzlerin beschlossen, die Zahl der Menschen, die sich treffen dürfen, weiter zu reduzieren. Natürlich gibt es auch in Schulen Infektionen. Wir sagen ja nicht, dass dort keine Infektion möglich ist, sondern dass Schulen nicht der Hotspot der Ausbreitung sind.
Worauf ich hinaus will: Immer wieder heißt es, diese oder jener Bereich sei sicher, dann wird aber doch nachgebessert – wie jetzt bei der Bahn. Sollte man da nicht gleich rigider durchgreifen?
Diese Diskussion wird seit Beginn der Pandemie geführt. Eine Position besagt, durch sehr strikte Beschränkungen die Ausbreitung bestmöglich zu stoppen; die andere Position plädiert für möglichst milde Maßnahmen, um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen abzumildern und die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen möglichst wenig zu beeinträchtigten. Die Politik muss versuchen, diese Aspekte auszutarieren. Das Ergebnis wird von verschiedenen Gruppen – verständlicherweise – sehr unterschiedlich bewertet. Eine absolut richtige Antwort gibt es aber nicht und es bleibt eine politische Entscheidung.
Was sagt der Virologe?
Am Beispiel von Frankreich sehen wir, dass massive Beschränkungen wirksam sind. Dort sind die Neuinfektionen schneller und stärker angestiegen als bei uns. Dann wurden massive Einschränkungen mit Ausgangssperren eingeführt und die Neuinfektionen sind in den letzten Wochen von über 50.000 auf 15.000 pro Tag zurückgegangen. Das ist immer noch so hoch wie derzeit in Deutschland, aber eben ein Rückgang auf ein Drittel, während wir eine Seitwärtsbewegung hatten. Wenn man also schnell einen sehr deutlichen Abfall erreichen will, muss man wie in Frankreich und anderen Ländern handeln – mit allen damit einhergehenden Folgen. Aber das muss man abwägen.
Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund die Ausnahmen über Weihnachten?
Ich verstehe die Gründe für die Ausnahmen und den Wunsch, Weihnachten mit Familie und Freunden zu feiern. Aber natürlich besteht die Gefahr, dass dies im neuen Jahr zu einem deutlichen Wiederanstieg der Infektionen führen kann. Diese Gefahr ist nicht gering.
Thema Schulen: Die Winterferien werden jetzt verlängert: Bremst das wirklich die Ausbreitung von Corona aus?
Grund für den früheren Beginn der Weihnachtsferien ist die Möglichkeit für eine Art Vorquarantäne. Wenn man seine Kontakte eine Woche vor dem Besuch bei Großeltern oder älteren Verwandten stark reduziert, ist das Risiko, eine Infektion zu übertragen deutlich geringer. Das funktioniert aber nur, wenn die Kontakte in den "Vorferien" auch wirklich viel weniger werden und daran habe ich Zweifel.
Das Virus springt jetzt immer öfter auf Tiere über, erst bei Nerzen, jetzt bei anderen Spezies – stellt das eine besondere Gefahr für Menschen dar?
Man muss dies natürlich beobachten. Bei den Nerzen war es besonders, weil sich das Virus dort sehr schnell ausgebreitet hat und Mutationen aufgetreten sind, die möglicherweise Bedeutung für die menschliche Immunabwehr haben könnten. Bei anderen Spezies ist das bisher nicht der Fall. Wir müssen das engmaschig beobachten, aber einen Grund zu besonderer Sorge sehe ich im Moment nicht.
Ein Blick in die Region: Stimmen Sie die Zahlen der letzten Woche eher skeptisch?
Die Zahlen sind nicht viel anders als in Baden-Württemberg insgesamt. Besorgt stimmen uns insbesondere die größeren Ausbrüche in Heimen, weil sie eine Gruppe betreffen, die besonders gefährdet ist.
Da liegt die Region im Bundestrend: Immer mehr Ältere infizieren sich.
Ja, das hat auch bei uns zugenommen, zuletzt zum Beispiel in Neckargemünd. Die Ausbrüche in den Alten- und Pflegeheimen müssen wir unbedingt und sehr dringend in den Griff bekommen. Hier müssen wir über Schulungen und verbesserte Teststrategien mehr erreichen.
Eine Praxis in Schwetzingen will in naher Zukunft Corona-Tests für Selbstzahler anbieten. Für 49 Euro kann man sich testen lassen – wem würden Sie so einen Test empfehlen?
Ich glaube, das ist eher eine psychologische Maßnahme. Jeder, der Symptome hat, die auf eine Corona-Infektion hinweisen oder Kontakt zu einer infizierten Person hatte, kann sich ja testen lassen. Dazu muss man keinen Selbstzahlertest machen. Ich sehe keinen medizinischen Grund, viel Geld dafür auszugeben, um eine Momentaufnahme ohne spezifischen Grund zu bekommen. Wenn jemand heute negativ ist, sagt das nichts darüber aus, wie es ein paar Tage später sein wird. Insofern bietet der Test primär das Gefühl "Ich habe etwas getan und fühle mich sicher". Wenn Sie mich fragen, wem ich dies empfehle: Keinem.