Von Klaus Welzel
Heidelberg. Seit März berichtet Hans-Georg Kräusslich Woche für Woche im Rahmen des RNZ-Corona-Podcasts über die Situation in der Region. War seiner Einschätzung lange Zeit von einer zurückhaltenden Zuversicht geprägt, so wirkt der Chefvirologe am Heidelberger Universitätsklinikum in den letzten beiden Wochen deutlich besorgter. Ob Deutschland die Pandemie in den Griff bekommt, entscheidet sich seiner Meinung nach in Kürze.
RNZ-Corona-Podcast - Folge 24: Wie tödlich ist Covid-19 wirklich?
Interview: Klaus Welzel / Schnitt und Produktion: Götz Münstermann
Prof. Kräusslich, als wie dramatisch schätzen Sie die Corona-Lage in der Region ein?
Wir sehen einen deutlichen Anstieg der Infektionen, im Land, bundesweit und in der Welt – als dramatisch würde ich dies nicht bezeichnen, sondern weiterhin als beunruhigend. Wir müssen die Situation beobachten und sehen, wie die ergriffenen Maßnahmen sich auswirken.
Wie sieht es am Universitätsklinikum aus – zuletzt gab es acht schwer erkrankte Patienten?
Die Zahlen sind ungefähr gleich geblieben. Wir sehen aber auch in der Region, dass sich wieder zunehmend ältere Personen infizieren. Im September waren es meist Menschen zwischen 20 und 50 Jahren, jetzt wieder mehr Personen über 60 und älter. Wir wissen, dass die Krankheit bei dieser Altersgruppe oft schwerer verläuft, und müssen deshalb damit rechnen, dass die Zahl der stationär aufzunehmenden Patienten, auch auf den Intensivstationen, steigen wird. Wir glauben aber auch, dass das vom Universitätsklinikum eingerichtete so genannte "Corona-Taxi" dazu beitragen kann, dass wir Patienten mit beginnender Verschlechterung früher behandeln und dadurch den Verlauf der Krankheit abmildern können.
Was passiert beim Projekt Corona-Taxi genau?
Es geht darum, dass Menschen, die mit Corona-Infektion in häuslicher Quarantäne sind, hinsichtlich möglicher Verschlechterung überwacht werden. Mit dem "Corona-Taxi" kommt eine Pflegekraft zu ihnen, stellt einige Fragen, misst z.B. die Sauerstoffsättigung im Blut und nimmt Blut ab. So wollen wir Patienten mit beginnender Verschlechterung frühzeitig erkennen und gegebenenfalls stationär betreuen. Wenn das gut funktioniert, können die Personen danach relativ bald wieder entlassen werden und wir hoffen, so einen möglicherweise schwereren Verlauf zu verhindern. Gleichzeitig kann sich der Patient in häuslicher Quarantäne sicherer fühlen.
Nur bei einem Viertel der Infizierten ließ sich bisher feststellen, wo sie sich infiziert haben. Ist da die These, die meisten steckten sich bei privaten Feiern an, nicht etwas zu kühn?
Wir hatten unterschiedliche Phasen der Pandemie, in denen unterschiedliche Personengruppen betroffen waren. Im Winter waren das Reisende, die das Virus z.B. aus Ischgl mitgebracht hatten, dann kamen die Infektionen in Schlachthöfen, z.B. bei Tönnies und die zahlreichen Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen bis in den Mai hinein. Im Sommer lösten dann vor allem Reiserückkehrer die erneute Ausbreitung aus und dann ging es über die größeren Feiern wie z.B. Hochzeiten weiter. Ich glaube, dass wir mittlerweile über diese Phase hinaus sind und bereits so viele Infizierte haben, dass das Virus breiter streut. Mein Eindruck ist, dass wir derzeit von einer hauptsächlichen Ausbreitung über bestimmte Ereignisse zu einer diffusen Ausbreitung in der Bevölkerung übergehen, die deutlich schwerer nachzuverfolgen sein wird.
Wie können wir reagieren?
Wir sollten die Maske tragen, Abstand halten, die Hygieneregeln einhalten. Wir sollten uns gut überlegen, wo wir hingehen und hinfahren. Wir sollten Veranstaltungen mit größerem Risiko meiden und unser eigenes Verhalten stets hinterfragen. Wenn das gelingt, dann werden wir nicht in die Situation kommen wie Spanien, Frankreich, Tschechien oder Belgien – aber sicher ist das nicht.
Die Pandemie wütet weltweit, die Sterblichkeitsrate ist aber sehr unterschiedlich ausgeprägt. Liegt das daran, dass zum Beispiel Menschen in Entwicklungsländern über eine robustere Gesundheit verfügen?
Christian Drosten hat ja kürzlich eine Hypothese für Afrika in seinem Podcast angesprochen. Dort ist die Bevölkerung im Durchschnitt viel jünger und der Krankheitsverlauf und die schwere Erkrankung korrelieren direkt mit dem Alter. Es gibt keine wirklich guten Zahlen zu Infektionsraten und Sterblichkeit für diesen Kontinent; insofern kann ich nicht sicher sagen, ob es sich wirklich so verhält, aber es ist auf jeden Fall plausibel, dass die Sterblichkeit in einem Land mit junger Bevölkerung insgesamt niedriger ist.
Wie verhält sich eigentlich die Sterblichkeit von Covid-19 im Verhältnis zur klassischen, saisonalen Grippe?
Die Schätzungen zur Covid-19-Sterblichkeit variieren und liegen in den letzten Berichten bei ca. 0,3 bis 0,4 Prozent, wenn man auch asymptomatisch und unerkannt Infizierte einbezieht. Das ist deutlich höher als bei einer normalen Grippe, aber nicht so viel höher als in manchen Jahren mit schwer verlaufenden Grippe. Es ist also bei Corona höher, aber nicht dramatisch anders.
Es gibt Menschen, die kritisieren ja genau deshalb die Radikalität der Pandemiebekämpfung und behaupten, diese sei nicht gerechtfertigt.
Man muss immer überlegen, ob getroffene Maßnahmen verhältnismäßig, nachvollziehbar und verstehbar sind. Gerade weil Corona so leicht übertragbar ist, würden auch bei einer Sterblichkeit von 0,3 Prozent angesichts von Zehntausend Infizierten pro Tag, oder mehr, sehr viele Menschen schwer erkranken und sterben, die sonst noch viele Jahr leben könnten. Hinzukommen die Langzeitfolgen bei Genesenen. Insofern haben wir im Gesundheitswesen die Verantwortung, dies bestmöglich zu verhindern. Wir sollten aber nicht so tun, als würden Menschen wie die Fliegen an Corona sterben – und alle anderen Krankheiten würden keine Rolle spielen. Aber es ist eine neue Krankheit, die sich schnell ausbreitet, die ein gefährliches Potenzial hat, die bei vielen Menschen schwere Verläufe und Spätfolgen auslösen kann. Hier müssen sich Politik und Gesellschaft zum richtigen Vorgehen verständigen: Was sind wir bereit zu tun, was können wir unternehmen, um die Folgen bestmöglich zu verhindern, und was sind wir bereit, zu akzeptieren?