Von Tobias Schmidt, RNZ Berlin
Berlin. In Sachsen-Anhalt regieren SPD, CDU und Grüne bereits: Schwarz-Rot-Grün - nach den Farben der Flagge auch "Kenia"-Koalition genannt. Nun mehren sich die Stimmen für ein solches Modell im Bund. "Dann gäbe es ein Gleichgewicht des konservativen und des eher progressiven Lagers", sagte der Politologe Wolfang Merkel am Freitag im RNZ-Interview. Seitens der SPD sprachen sich Wolfgang Thierse und Gesine Schwan für diese Lösung als "kreativen Ausweg". Doch die Grünen sind skeptisch - wie Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt (51) im Interview vor dem heutigen Parteitag erläutert.
Die Grünen treffen sich am Samstag zum Parteitag. Welches Signal nach dem Jamaika-Aus wollen Sie geben?
In den Jamaika-Sondierung ist ja eines klar geworden: Es gibt nur eine Partei in Deutschland, die sich wirklich um die ökologische Frage schert und für Klimaschutz kämpft. Alle anderen tun es nicht. Im Wahlkampf hörten wir oft: Öko machen doch alle. Das war ein großer Irrtum. Und wir sind die Menschenrechtspartei, die sich für die Belange von Flüchtlingen einsetzt und nicht den Rechtspopulisten hinterherläuft. Das werden wir heute auf unserem Parteitag noch mal ganz deutlich machen.
Jamaika ist Geschichte, die SPD ist nun zu Gesprächen über eine Regierungsbildung bereit, die Grünen auch. Kommen nach dem Scheitern von Schwarz-Gelb-Grün jetzt Kenia-Sondierungen?
Von Jamaika nach Kenia? Deutschland braucht jetzt schnellstmöglich eine stabile Regierung, dieser Verantwortung müssen sich alle Parteien stellen. Und nachdem die FDP Jamaika platzen lassen hat, liegt der Ball nun bei Union und SPD, um eine Regierungsmehrheit zustande zu bringen.
Schwarz-Rot-Grün wäre doch eine stabile Regierung…
Union und SPD haben zusammen 399 Stimmen im Bundestag, die Kanzlerinnenmehrheit liegt bei 355 Stimmen. Warum sollten wir da noch beitreten? Union und SPD müssten uns schon sehr gut erklären können, warum sie uns brauchen, damit wir in eine Koalition eintreten, in der wir nummerisch nicht gebraucht werden. Unser Hebel um grüne Inhalte durchzusetzen - wie den Kohleausstieg - - wäre ja nicht sehr groß.
> Eine schwarz-grüne Minderheitsregierung, toleriert von der SPD: Wäre das eine Alternative zur GroKo?
Zunächst ist klar: der Weg zu Neuwahlen ist weit. Man kann das Volk nicht so lange wählen lassen, bis es einem gefällt. Vorrang hat die Bildung einer Regierung. Für die Grünen ist eine Regierungsbeteiligung aber nur denkbar, wenn unsere Kernanliegen umgesetzt werden können: Ein wirklicher Klimaschutz und eine humanitäre Flüchtlingspolitik. Ich sehe nicht, wie der Kohleausstieg in einer Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten durchsetzbar wäre. Hinzu kommt: Eine Minderheitsregierung ist in Skandinavien eingeübt, hierzulande aber nicht. Sie würde sicher nicht als stabil wahrgenommen und wäre es wahrscheinlich auch nicht. Und Deutschland braucht eine stabile Regierung.
Wenn die Grünen auf der Oppositionsbank bleiben, wird es beim Klimaschutz doch noch weniger vorangehen…
So ist es wohl und das treibt mich um. Aber ich habe ja schon meine Skepsis zum Ausdruck gebracht, was Klimaschutz in einer von uns Grünen getragenen Minderheitsregierung angeht. Ansonsten gilt: Die Oppositionsrolle ist konstitutiv in der Demokratie und wir haben Erfahrung damit, sie auszufüllen. Der Bundestag wird zudem in dieser Legislaturperiode eine deutlich größere Rolle spielen als in der vergangenen, weil mit sechs Fraktionen und einer "normalen" Regierungsmehrheit, härter debattiert werden wird als bei 80 Prozent Mehrheit der GroKo, die es in der vergangenen Legislaturperiode gab.
FDP-Chef Christian Lindner macht die Grünen für das Scheitern von Jamaika verantwortlich, es habe kein Vertrauen gegeben. Hat Jürgen Trittin die Sondierungen durch seine FDP-Kritik vor der entscheidenden Runde torpediert?
Die Anschuldigungen von Christian Lindner gegen Jürgen Trittin sind blanker Unfug! Jürgen Trittin hat sehr, sehr konstruktiv verhandelt, dafür bin ich ihm dankbar. Er hat beim Streit über den Abbau des Solidaritätszuschlages dafür gesorgt, dass Grüne und Union am Sonntag noch mal auf die FDP zugegangen sind! Wenn sich Herr Lindner von einem Interview hat irritieren lassen, zeugt das nicht von politischer Coolness. Vertrauen entsteht in der Sache, und nicht, weil die Akteure miteinander kuscheln.
> Ist das Tischtuch zwischen Grünen und Liberalen zerschnitten?
Natürlich werden wir weiter mit allen demokratischen Parteien im Gespräch bleiben - auch mit der FDP wenn nötig. Es war allerdings schon gewöhnungsbedürftig, wochenlang mit anhören zu müssen, dass man als Grüne schief gewickelt sei. Wenn Herr Lindner so ein Bild von den Grünen hat, das absolut im Kontrast meiner Wahrnehmung von uns in diesen Wochen steht, ist es vielleicht kein Wunder, das er auch gar nicht mit uns zusammenkommen will. Es ging am Ende wohl nicht mehr um Inhalte, nicht mehr um die Suche nach Lösungen. Herr Lindner hatte plötzlich Angst, weil die FDP so viel auf der Haben-Seite hatte und es für eine Koalition vermutlich gereicht hätte, denn er ging in dem Moment, als man einer Einigung am nächsten war. Die Bewertung, ob die Inszenierung gut war, überlasse ich anderen, aber sie war zumindest pompös.
Wie hoch ist der Anteil der Kanzlerin am Scheitern von Jamaika?
Es war eine Mammutsaufgabe, diese Sondierungen zwischen vier sehr unterschiedlichen Parteien zu koordinieren. Sicherlich hätte auch Angela Merkel an der einen oder anderen Stelle mehr eigene Akzente setzen können. Aber wenn die FDP jetzt mit Häme auf die Kanzlerin zeigt, wird das zum Bumerang. Wir waren alle gemeinsam Herren des Verfahrens. Jeder hätte seinen Leuten sagen können: Macht kürzere Papiere, damit wir uns auf das Wesentliche konzentrieren. Die FDP, aber auch die CSU, hat ihren Unterhändlern keine Prokura gegeben, sie konnten nicht wirklich verhandeln. Sich dann zu beschweren, man sei nicht vorangekommen, und mit dem Finger auf andere zu zeigen, ist albern und lenkt von den eigenen Fehlern ab.
Was überwiegt fünf Tage nach dem Aus: Frust oder Erleichterung?
Natürlich ist das enttäuschend. Wir wollten ja was erreichen und sind dafür weit über unsere Schmerzgrenze hinausgegangen. Aber wir müssen jetzt nach vorn blicken. Die SPD ist gefragt, bei der Regierungsbildung mitzumachen. Und die anderen Parteien müssen ihre Rolle finden. Wir haben das getan: Wir sind die ökologische Partei in Deutschland und wir sind die Partei der Humanität und sozialen Verantwortung in Europa.
Ein Hauptstreitpunkt war der Familiennachzug für Flüchtlinge. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) will jetzt gleich einen Antrag in den Bundestag einbringen, um einen dauerhaften Stopp zu erreichen. Wie sehr ärgert Sie das?
Ich will nicht hoffen, dass Thomas de Maizière jetzt auf die AfD setzt, um die Aussetzung des Familiennachzugs im Bundestag zu verlängern. Wer in dieser schwierigen Situation der AfD die Bühne bietet, einen solchen Antrag gemeinsam zu beschließen, setzt ein fatales Signal.