Von Daniel Bräuer
Heidelberg. Der frühere Finanz- und Wirtschaftsminister von Baden-Württemberg Nils Schmid (46) ist außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.
Herr Schmid, der britische Premier Palmerston sagte im 19. Jahrhundert: Staaten haben keine Freunde, sie haben Interessen. Hatte er Recht?
Das stimmt, die internationalen Beziehungen werden von Interessen bestimmt. Allerdings gibt es gemeinsame Werte, die Länder und Gesellschaften teilen. Dann kann es auch Freundschaften geben.
Hat Deutschland Freunde in der Welt?
Zum Glück hat es die, insbesondere haben wir zum ersten Mal in unserer Geschichte zu all unseren Nachbarn freundschaftliche Beziehungen. Durch die europäische Einigung ist es möglich geworden, dass dieser enge Austausch nicht auf politische und wirtschaftliche Eliten beschränkt geblieben ist, sondern an gesellschaftlicher Breite gewonnen hat, wenn ich nur an die zahlreichen Städtepartnerschaften denke.
Wenn man sich anguckt, welche Kräfte zuletzt auch in Nachbarländern erstarkt sind: Wie stabil ist diese Wertegemeinschaft eigentlich? Sollte man von Freundschaft mit Polen, Ungarn, Italien sprechen?
Davon bin ich überzeugt. Die Engmaschigkeit der Kontakte über die letzten Jahrzehnte kann auch schwierige Phasen zwischen den Regierungen überdauern. Ehrlich gesagt haben wir ja in unserer eigenen Gesellschaft ähnlich bedenkliche Tendenzen, wenn ich an das Aufkommen des Rechtsextremismus denke.
Widerspricht das nicht Ihrer Eingangsthese, wenn nationalistische Reflexe so stark wieder hochkommen?
Natürlich kann auch eine enge Freundschaft Nationalismus nie endgültig ausmerzen. Aber die Widerstandsfähigkeit gegenüber nationalistischen Übertreibungen ist sicher durch diese engen Kontakte gestärkt worden. Selbst die französischen Rechtsextremen tun sich schwer damit, das alte Feindbild vom Teutonen, der Frankreich Territorien wegnehmen will, wiederzubeleben. Diese nationalistischen Stereotypen sind zurückgedrängt worden.
Wie würden Sie derzeit das Verhältnis zu den USA beschreiben?
Es ist unverändert eng und freundschaftlich. Allerdings getrübt durch die einseitig isolationistische Politik des aktuellen Präsidenten.
Sind sie noch unsere "Freunde"?
Trump als Freund Deutschlands zu bezeichnen, wäre schwierig. Aber Deutsche und Amerikaner sind unverändert in Freundschaft miteinander verbunden. Allerdings ist die Politik Trumps geeignet, das Zutrauen der Deutschen in diese Freundschaft zu schwächen.
Könnten sich auch die Interessen so weit auseinanderentwickelt haben - siehe Iran, siehe Klimapolitik?
Natürlich haben Europa und die USA gemeinsame Interessen, wenn es darum geht, Bedrohungen für die Sicherheit in Europa abzuwenden. Aber richtig: Was Trump als Interessenpolitik definiert, ist sehr kurzsichtig. Da laufen die Interessen häufiger auseinander, als man das gewohnt war.
Wie wichtig ist die persönliche Chemie zwischen Staatsmännern für die Beziehung von Staaten?
Das ist hilfreich, aber es wäre zu wenig, nur darauf zu setzen, wie man gerade am Beispiel Trump sieht.
Welche persönliche Freundschaft hat über politische Krisen hinweggeholfen?
Wir haben das am Beispiel von Helmut Schmidt und Valérie Giscard d’Estaing gesehen. Das war eine Freundschaft, die über die Amtszeit hinaus angedauert hat und die Deutschland und Frankreich eng zusammengeführt hat. Oder Mitterand und Kohl: Wenn man sich die Nachrüstungsdebatte anschaut, die in Deutschland für Kohl schwierig war, und Mitterand ist trotz anderer politischer Herkunft an der Seite Kohls gestanden.
Bei vielen Deutschen, vor allem im Osten, gibt es den Wunsch nach einer Äquidistanz zwischen Moskau und Washington. Ist das denkbar?
Äquidistanz ist der falsche Begriff. Der Erfolg der deutschen Entspannungspolitik unter Willy Brandt war auch davon abhängig, dass wir eine klare Westbindung Deutschlands hatten. Das hat den Spielraum eröffnet, gegenüber dem Sowjetblock auf Entspannung zu setzen. Deshalb gilt unverändert, dass die Einbindung in die westlichen Bündnisse der Ausgangspunkt für Gespräche mit Russland sein sollte. Gerade auch, weil zahlreiche mittel- und osteuropäische Staaten Teil dieser Gemeinschaft in EU und Nato geworden sind...
… die gerade die Nato als Schutz vor Russland sehen.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir den Zweiklang aus Westbindung und Dialog mit Russland auch jetzt weiterführen, auch wenn das derzeit wenig ergiebig erscheint, wie man an der Ukraine sieht. Aber aufgrund der geographischen Nähe ist klar, dass Europa mit Russland im Dialog bleiben muss.
Mit Blick auf die Festnahmen in Moskau: Ist eine Annäherung überhaupt denkbar? Oder geht es nur um eine Auseinandersetzung über Differenzen?
Wir müssen immer wieder neue Anläufe unternehmen. Aber die russische Politik ist gerade auf einen Abbau von Freiheiten und demokratischen Beteiligungsmöglichkeiten ausgerichtet. Das erschwert den Dialog. Bei internationalen Themen wie Iran oder Syrien ist es besonders wichtig, mit den Russen im Gespräch zu bleiben. Aber die innenpolitische Situation ist besorgniserregend. Das gezielte Ausschalten von Oppositionskandidaten ist mit unseren Wertvorstellungen nicht vereinbar. Aber es schwächt auch Russland langfristig selber: Wie will man um die besten Lösungen für die Stadt Moskau ringen, wenn abweichende Meinungen nicht geduldet werden?
Wie sollte Deutschland reagieren?
Wir haben das ja schon kritisiert und immer wieder freie Wahlen angemahnt. Von außen kann man keine Demokratie erzwingen. Jetzt müssen wir erstmal aufklären, was mit Nawalny geschehen ist. Gegebenenfalls muss man eine unabhängige Untersuchung im Ausland ermöglichen, wie wir das bei anderen Fällen von Vergiftungen gehabt haben.
Stünde Deutschland bereit, Nawalny aufzunehmen und zu behandeln?
Wenn er es wünscht, dann sollten wir das ermöglichen. Aber das ist zunächst mal seine Sache.