Neue Nachhaltigkeit

Staatsrechtler Paul Kirchhof fordert ein nachhaltigeres Wirtschaften

Kultur, Recht, Ökologie und Moral gehören mit in die Bilanz: "Wir müssen Wachstum neu definieren"

01.03.2019 UPDATE: 02.03.2019 06:00 Uhr 1 Minute, 19 Sekunden
Paul Kirchhoff. Foto: privat

Von Klaus Welzel und Daniel Bräuer

Heidelberg. Spätestens der Klimawandel hat gezeigt, dass der Mensch an die Grenzen des ökologisch verträglichen Wachstums geraten ist. In die Debatte um eine neue Nachhaltigkeit, höhere Steuern und dem Ruf nach einem ökologischen Fußabdruck für Produkte mischt sich nun der Heidelberger Staats- und Steuerrechtler Prof. Paul Kirchhof. Er fordert im Gespräch mit der RNZ, die ökonomische Bilanz beim Wirtschaften durch eine moralische Bilanz zu ergänzen.

Kirchhof wendet sich mit dieser Forderung insbesondere gegen Spekulanten, die gezielt Firmen aufkaufen, um diese danach in profitable und nichtprofitable Bereiche zu zerschlagen. "Diese Zerstörungstechniken entsprechen nicht der Idee der Freiheit", sagt der frühere Bundesverfassungsrichter. Die "bewusste Zerstörung eines Unternehmens" sei als gesellschaftliches Phänomen nicht länger hinzunehmen: "Wer seinen wirtschaftlichen Erfolg auf das Verdrängen kleiner Betriebe stützt", müsse "die Wirkungen auf diese Betroffenen mitverantworten", so Kirchhof.

Konkret fordert der Rechtsgelehrte, der 2011 seinen Vorschlag für ein komplett neues Steuergesetzbuch vorgelegt hatte: "Wir müssen Wachstum neu definieren. Wir sollten jedes Produktions- und Wirtschaftswachstum nicht nur wirtschaftlich bilanzieren, sondern auch eine kulturelle, rechtliche und ökologische Bilanz ziehen. Notwendig ist auch eine wertende, moralische Bilanz."

Kirchhof liegt mit seinem Plädoyer im Trend einer weltweiten Bewegung, die mehr Verantwortung seitens des Kapitals fordert. In den USA setzen mittlerweile Politiker innerhalb der Demokraten auf mehr Steuergerechtigkeit, um die Ungleichheit in der Gesellschaft zu beseitigen. So schlägt der ehemalige Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders eine Erbschaftssteuer in Höhe von bis zu 77 Prozent vor. In Europa wiederum wird der Ruf nach einem nachhaltigen Wirtschaften lauter. So fordert die Deutsche Umwelthilfe Wirtschaftsminister Peter Altmaier auf, sich beim Treffen der EU-Minister in der kommenden Woche "für eine treibhausgasneutrale EU weit vor 2050 einzusetzen".

Auch interessant
Paul Kirchhof im RNZ-Interview: "Wir müssen beim Wachstum auch eine moralische Bilanz ziehen"

Der Vorschlag für eine Unternehmensbilanz nach moralischen Kriterien deckt sich auch mit den Zielen der Initiative "Gemeinwohlökonomie". Dabei legen Firmen oder Gemeinden nicht nur ihre wirtschaftlichen Ergebnisse offen, sondern lassen auch die Folgen ihres Handelns für Umwelt und Gesellschaft bewerten. Die Bewegung stammt ursprünglich aus Österreich, mittlerweile haben sich ihr mehr als 500 Firmen auf mehreren Kontinenten angeschlossen. Auch in der Region arbeiten derzeit sieben Unternehmen an ihrer "Gemeinwohlbilanz".