Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident von Israel, sitzt im Sheba Medical Center und erhält eine Spritze mit dem Corona-Impfstoff. Netanjahu hat seine zweite Impfung gegen das Coronavirus erhalten. Foto: dpa
Von Harald Raab
Jerusalem. Israel im Wahlkampfmodus – zum vierten Mal innerhalb zweier Jahre. Politischer Ausnahmezustand. Alles ist möglich. Auch dass Benjamin Netanjahu eine Kehrtwende um 180 Grad macht. Er geriert sich neuerdings als Kümmerer für die Belange der israelischen Araber, immerhin rund 20 Prozent der Gesamtbevölkerung von 9,2 Millionen.
Der Taktiker, seit 2009 Regierungschef, ist bekanntermaßen ohne jegliche Prinzipien, wenn es um seinen Machterhalt geht. Er signalisiert jetzt sogar Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit Kräften der Vereinigten Arabischen Liste in der Knesset. Sie hat zur Zeit 15 Abgeordnete. Die hat Netanjahu bisher als Verbündete des palästinensischen Terrors bei jeder sich bietenden Gelegenheit beschimpft.
Sein Kalkül ist eine Doppelstrategie: Zum einen will er die vier sehr heterogenen Parteien der arabischen Liste spalten, aber auch arabische Wähler für seinen rechten Likud gewinnen. Parteistrategen sprechen von einem Stimmenpotenzial für zwei zusätzliche Sitze im Parlament. Es soll arabische Kandidaten auf der Likud-Liste geben.
Netanjahus Hauptstoßrichtung ist, bis zum Urnengang am 23. März den größten Teil der Israelis gegen Covid-19 geimpft zu haben. Er, der für die Versäumnisse bei der Corona-Bekämpfung verantwortlich ist, will nun als Retter in der Pandemie punkten. Dafür hat er zu überhöhten Preise – angeblich für neun Dollar mehr pro Ampulle von Pfizer – in den USA Impfstoff einkaufen lassen.
Die Impfstationen sind sieben Tage in der Woche geöffnet. Geimpft wird im Rekordtempo. Der Regierungschef setzt sich dabei fernsehgerecht ins Bild, gern auch in arabisch dominierten Orten. So auch, als der millionste Bürger in Umm al-Fahm seine Spritze bekam – ein Araber.
Netanjahu spricht bei seiner Charmeoffensive gegenüber der arabischen Bevölkerung davon, dass sie eine Schlüsselrolle in den neuen Beziehungen zu arabischen Nachbarstaaten spielen könnte. In Aussicht gestellt wird auch, mehr Geld für Schulen und andere öffentlichen Einrichtungen der Araber zur Verfügung zu stellen. Auch soll endlich energischer gegen Kriminalität vorgegangen werden.
Netanjahus Berater Natan Eshel ist dabei, den Meinungsumschwung seines Chefs publizistisch unters Volk zu bringen. In einem Gastbeitrag in der israelischen Tageszeitung Haaretz, die ansonsten eher links-liberal eingestellt ist, rief er dazu auf, "eine Brücke zur Mehrheit der arabischen Gemeinschaft" zu bauen.
Die ersten Erfolge dieser Strategie sind bereits sichtbar: Der Knesset-Abgeordnete Mansour Abbas, Vorsitzender einer der Parteien der Vereinigten Arabischen Liste, plädiert dafür, dass arabische Belange nur durch ein positives Verhältnis zur Regierungsmacht wirksam durchgesetzt werden könnten. Dabei sieht er sich dem rechten Block näher als dem linken. Abbas gibt auch zu erkennen, dass er einem Gesetz zustimmen würde, das Netanjahu vor Strafverfolgung schützen könnte. Der Ministerpräsident ist zur Zeit in einem Bestechungsprozess vor dem Jerusalemer Bezirksgericht angeklagt.
Auch hier ergibt sich für den Premier ein Hoffnungsschimmer. Die Richter haben wegen der Corona-Kontaktsperren die Einvernahme von Zeugen und der vier Angeklagten auf unbestimmte Zeit verschoben, sodass die zu erwartenden Enthüllungen Netanjahus Rolle als Wahlkämpfer nicht noch mehr belasten können.
Die Strategie Netanjahus hat freilich auch einen Pferdefuß: Bislang galt es als eiserne Regel in Israels Politik, nicht mit arabischen Politikern zusammenzuarbeiten. Daran hielt sich noch Benny Gantz. Er hätte nach der letzten Wahl mit den Abgeordneten der Arabischen Liste eine Mehrheit für eine Mitte-Links-Regierung gehabt, zog es aber vor, Regierungspartner von Netanjahu zu werden. An dieser Entscheidung ist sein Blau-Weiß-Bündnis zerbrochen. Seiner Partei, die ursprünglich 33 Abgeordnete in der Knesset mit ihren insgesamt 120 Sitzen hatte, droht bei den März-Wahlen der Absturz. Nach Netanjahus Tabubruch können nun auch seine Gegner mit arabischen Politikern Zweckbündnisse schließen – gegen Netanjahu.