Romani Rose führt Irmgard Schwaetzer und Heinrich Bedford-Strohm (v.l.) durch das Dokumentationszentrum deutscher Sinti und Roma in Heidelberg. Foto: Henschel
Von Michael Abschlag
Heidelberg. Dieses Treffen ist nicht selbstverständlich. Am frühen Nachmittag betritt Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), das Dokumentationszentrum der Sinti und Roma in Heidelberg. "Historisch" nennt der Vorsitzende des Zentralrats der Sinit und Roma, Romani Rose, den Moment.
Denn die christlichen Kirchen hatten über die Jahrhunderte beigetragen zur Diskriminierung und Verfolgung der Minderheit – eine Entwicklung, die mit der teilweisen Kollaboration mit den Nationalsozialisten ihren Tiefpunkt fand. "Wir haben als Kirche in der NS-Zeit Schuld auf uns genommen", räumt Bedford-Strohm ein. Und im Oktober 1945 räumte die evangelische Kirche zwar im "Stuttgarter Schuldbekenntnis" ihre Mitschuld an den Verbrechen der Nationalsozialisten ein - nannte die Verfolgung der Sinti und Roma aber nicht explizit, ebensowenig wie die der Juden, von Homosexuellen oder Behinderten.
Schließlich aber sei "über Jahrzehnte Vertrauen gewachsen", so Bedford-Strohm. Am 2. August dieses Jahres gedachten schließlich Juden, Sinti und Roma und die EKD in Auschwitz zum ersten Mal gemeinsam der Opfer des Holocaust. Es sei "ein berührendes Ereignis" gewesen, sagt Bedford-Strohm. Nun will man die Kontakte vertiefen.
"Wir wollen heute kein Schuldeingeständnis einfordern", sagt Romani Rose. "Es geht um Verantwortung in der Gegenwart." Und: "Schuld ist nicht übertragbar, Verantwortung schon."
Bedford-Strohm sieht das ähnlich - und leitet daraus den Auftrag ab, sich gegen Diskriminierung jeder Art einzusetzen. "Die Kirchen können mit ihrer moralischen Autorität mit klaren Worten schon viel tun", sagt er. "Wenn sich Rechtspopulisten auf das ,christliche Abendland’ berufen, dann muss widersprochen werden. Es darf nicht salonfähig werden, christliche Worte zu missbrauchen." Es sei "Teil der DNA" der Kirchen, "zu lernen, hinzusehen, einzumischen". Er verweist auf das Schiff "United4Rescue", mit dem sich die EKD an der Seenotrettung im Mittelmeer beteiligt. "Gerade erst konnten 350 Flüchtlinge, die von der Seawatch 4 gerettet wurden, in Palermo an Land aufgenommen werden", verkündet er stolz.
Mit großer Sorge betrachtet er deshalb das Anwachsen des Rechtspopulismus - insbesondere mit Blick auf die Ereignisse vom vergangenen Samstag, als Hunderte Demonstranten mit Reichsflaggen die Treppe zum Parlament erstürmten. "Spätestens jetzt muss da eine klare Grenze gezogen werden", fordert er. "Alle, die sich ernsthafte Sorgen wegen der Corona-Politik machen, müssen sich jetzt entscheiden, mit wem sie demonstrieren wollen."
Romani Rose geht noch weiter. Die Entwicklung sei "gefährlich für unser Land", sagt er, die Demonstration erinnere ihn "an die Feldherrenhalle" - dort war 1923 ein Putschversuch Adolf Hitlers niedergeschlagen worden. "Das war sehr bewusst von den Organisatoren so geplant worden", glaubt er. "Sie wollten testen, wie weit sie gehen können." Bei den Demonstrationen seien auch "antisemitische, antiziganistische und rassistische Verschwörungstheorien" verbreitet worden. Auch andere Dinge bereiten ihm Sorge. "Ich sehe Tendenzen, dass Funktionsträger, Polizisten, Soldaten, Mitglieder von Spezialeinheiten mit solchen Leuten sympathisieren", kritisiert er. "Wieso ist es möglich, dass solche Leute unsere Verfassung verteidigen?"
Auch Irmgard Schwaetzer, Präses der Synode der Evangelischen Kirche, fordert mehr Zivilcourage. "Im Alltag sehen wir oft nicht so genau hin, wenn Leute etwas gegen Migranten sagen oder die Demokratie verächtlich machen", kritisiert sie. "Wir müssen aber stärker für unsere Werte einstehen. Wenn jemand so etwas sagt, im Freundeskreis, bei Familienfeiern, dann müssen wir widersprechen." Es brauche eine "wirklich wehrhafte Demokratie."
Um Vorurteile und Rassismus abzubauen, helfe auch, "das positive Zusammenleben im Alltag" darzustellen, sagt Bedford-Strohm. "Wir haben als Mehrheitsgesellschaft oft eine schiefe Wahrnehmung, weil etwa Menschen mit Migrationshintergrund häufig nur gesehen werden, wenn es Probleme und Konflikte gibt", beklagt er. "Wir müssen stärker wahrnehmen, welchen Beitrag diese Menschen zum Gemeinwohl leisten, und die vielen Begegnungen und Freundschaften in den Vordergrund rücken." Schwaetzer verweist auf die gemeinsamen Netzwerke und Initiativen. "Es geht darum, einen Weg in die Zukunft zu zeigen."