Die Frankfurter Paulskirche gilt als die Wiege der Demokratie in Deutschland. Foto: dpa
Von Michael Abschlag
Heidelberg. Alexander Wuttke (34; Foto: Daniela Haupt) ist Politologe am Mannheimer Zentrum für europäische Sozialforschung (MZES) an der Universität Mannheim. Mit seinen Kollegen Harald Schoen und Konstantin Gavras hat er die Demokratiemüdigkeit in Europa erforscht.
Herr Wuttke, was haben Sie bei Ihrer Studie herausgefunden?
Vor dem Hintergrund des Erstarkens von autoritären Politikern wie Donald Trump sowie der Fragilität von etablierten Demokratien wie den USA haben wir uns gefragt, wie eigentlich die ganz normalen Bürger über Demokratie denken. Unter einigen Forschern gibt es die Vermutung, dass sich die Bürger von der Demokratie abwenden. Nun haben wir in einer Reihe von europäischen Ländern untersucht, ob die Menschen die Demokratie ähnlich stark unterstützen, wie sie das früher getan haben, und ob insbesondere die jüngere Generation weiterhin hinter demokratischen Prinzipien stehen. Wir konnten nur wenig Anzeichen dafür finden, dass die Bürger demokratiemüde geworden sind.
Hat Sie das selbst überrascht?
Das hat uns überrascht, weil es andere Befunde aus anderen Ländern gegeben hat. In den USA etwa gibt es in der Tat eine Evidenz dafür, dass insbesondere die jungen Menschen sich von der Demokratie abgewendet haben. Insofern lag die Vermutung nahe, dass es in europäischen Ländern und etwa auch in Deutschland genauso sein könnte. Dass das nicht der Fall ist, ist aber natürlich ermutigend.
Haben Sie denn auch größere Unterschiede zwischen den verschiedenen Ländern festgestellt?
Wir sehen etwa in Italien Anzeichen dafür, dass junge Menschen autoritären Regierungssystemen positiver gegenüberstehen als noch vor 10 oder 20 Jahren. In Großbritannien gibt es auch einige besorgniserregende Phänomene. Deutschland ist aber ein Musterland der Demokratie. Gerade in Deutschland ist das Zutrauen in das demokratische System stabil und bisher nicht erschüttert.
Im Zusammenhang mit Italien haben Sie von sogenannten "Pseudodemokraten" geschrieben. Können Sie das erklären?
Wir sehen, dass Menschen zwar in Befragungen äußern, große Unterstützer der Demokratie zu sein, zugleich aber ebenso ein System unterstützen würden, in dem ein starker Führer ohne Parlament und ohne Gerichte regiert. Das ist natürlich ein undemokratisches System. Sie glauben also von sich selbst, dass sie lupenreine Demokraten wären, vertreten aber Einstellungen, die mit Demokratie nicht vereinbar sind.
Weil sie offenbar keine genaue Vorstellung davon haben, was Demokratie wirklich bedeutet?
Genau. Wir sehen etwa auch in den USA, dass Menschen angeben, Unterstützer der Demokratie zu sein, dann aber an der Wahlurne – oder an der hypothetischen Wahlurne im sozialwissenschaftlichen Experiment – sich eher für Kandidaten entscheiden, die ihnen ideologisch nahestehen, auch wenn diese Kandidaten demokratische Normen verletzt haben. Das heißt, der große Rückhalt für demokratische Einstellungen ist zwar erfreulich, wird aber oft nicht in politisches Handeln umgesetzt.
Es gab ja auch ein Erstarken der Rechtspopulisten in den letzten Jahren. Wie lässt sich das denn erklären?
Rechtspopulistische Parteien sind ja nicht per se antidemokratisch. Von daher ist das nicht unbedingt ein Widerspruch. Das unterscheidet sich zwischen den Ländern. In den USA sehen wir durchaus antidemokratische Tendenzen bei einem noch amtierenden rechtspopulistischen Präsidenten.
Sie haben auch geschrieben, die große Unterstützung für die Demokratie bedeute nicht automatisch, dass die Menschen auch bereit sind, sie zu verteidigen.
Ja, das sehen wir auch in sozialwissenschaftlichen Untersuchungen: Am Ende ist für viele Bürger die ideologische Nähe zu Politikern und Parteien wichtiger als die Einhaltung demokratischer Normen. Uns ist also ein Politiker, der unsere Meinung zu Steuern oder zum Gesundheitssystem teilt, aber nicht demokratische Normen vertritt, oft lieber als ein überzeugter Demokrat, der aber unsere ideologische Grundorientierung nicht teilt.