Karl Lauterbach. Foto: dpa
Von Andreas Herholz, RNZ Berlin
Berlin. Karl Lauterbach (57) ist SPD-Gesundheitspolitiker und Epidemiologe.
Herr Lauterbach, der Lockdown light geht weiter. Bund und Länder haben sich auf weitere Beschränkungen, aber auch auf Lockerungen zu Weihnachten verständigt. Eine wirksame Strategie, um die Zahl der Corona-Neuinfektionen zu verringern?
Das ist auf jeden Fall ein gutes Paket. Wir haben derzeit vor allem Probleme mit Infektionsherden in Schulen und im privaten Bereich. Die werden jetzt angegangen. Im privaten Bereich gibt es eine Kontaktbegrenzung auf fünf Personen. In den Schulden soll eine Maskenpflicht ab Klasse 7 gelten. Wenn es einen Infektionsfall gibt, geht die gesamte Klasse in Quarantäne. In Hotspotregionen mit über 200 Fällen pro 100.000 Einwohnern sollen weitere Verschärfungen von den Ländern getroffen werden. Es wäre zwar auch mehr denkbar gewesen. Es ist das Minimum dessen beschlossen worden, das nötig ist. Ob uns das über die Feiertage trägt, bleibt abzuwarten. Ich bin da sehr vorsichtig optimistisch. Auch die Wellenbrecher-Beschlüsse von vor drei Wochen haben nicht die erhoffte Wirkung erzielt. Es hängt von der Mitwirkung der Bevölkerung ab, von jedem einzelnen.
Sie haben an der Strategie für die Schulen mitgewirkt. Ist es nicht paradox, wenn in den Schulen Abstand gehalten, Maske getragen und gelüftet werden soll, wenn die Schülerinnen und Schüler dicht gedrängt in Bus und Bahn zum Unterricht und nach Hause fahren?
Wir sollten mehr Busse einsetzen. Es stehen derzeit die Reisebusse leer, die dafür eingesetzt werden könnten. Kinder drängeln sich in völlig überfüllten Bussen manchmal sogar ohne Masken. Der Schulbeginn muss auch entzerrt werden. Da sind die Länder gefordert.
Kritiker sagen, es gehe den Staat nichts an, wie man Weihnachten unter dem Baum verbringt…
Das ist falsch und so unhaltbar. Die Familienangelegenheit hört in dem Moment auf, wo die Familienangehörigen andere infizieren, die dann schwer krank werden und das nächste Weihnachten womöglich gar nicht mehr erleben werden. Das ist keine Privatangelegenheit in einer Pandemie, ob man sich an Regeln hält und andere gefährdet und ansteckt. Mit dieser Argumentation könnte man keine Pandemie bekämpfen. Sich nicht an die Regeln zu halten, zu fordern, sind sehr radikale Positionen wie die der AfD.
Andere halten die Lockerungen von Weihnachten bis Neujahr für zu riskant. Sie auch?
Wir müssen abwarten, wie die Maßnahmen wirken und was wir erreichen. Das Weihnachtsfest ist für die Menschen von größer Bedeutung. Deshalb sind die geplanten Lockerungen zu Weihnachten auch richtig. Ob die Lockerungen auch bis Silvester sinnvoll sind und weiter laufen können, sei dahingestellt. Da habe ich eher Zweifel. Silvester mit anderen zu feiern, Alkohol zu trinken und zu böllern, das sind alles sehr schlechte Ideen, die das Infektionsrisiko erhöhen. Es wäre besser gewesen, ein komplettes Feuerwerksverbot auszusprechen.
Wie steht es mit dem Infektionsrisiko bei den Weihnachtseinkäufen?
Die Beschlüsse sehen ja vor, dass der Handel die Zahl der Kunden je nach Größe der Ladenfläche stärker begrenzen muss. Man kann nur an alle appellieren: Das beste und größte Weihnachtsgeschenk ist, dass wir nach einer Vorquarantäne selbst gesund beim Weihnachtsfest erscheinen und niemanden anstecken. Es ist kein Weihnachten, vor dem wir wie verrückt shoppen sollten. Weniger ist hier mehr und kann sicherer sein.
Wo bleibt die flächendeckende Teststrategie? Warum mangelt es an den Schnelltests?
Die Engpässe sind industriell bedingt. Es ist einfach nicht möglich, mehr als die bestellten 27 Millionen Test-Kontingente bis zum Jahresende zu besorgen. Die Produktion ist begrenzt. Es gibt eine Teststrategie. Wir testen in den Pflegeheimen, das medizinische Personal und demnächst Schüler nach fünf Tagen Quarantäne nach einem Verdacht auf eine Infektion. Das sind sinnvolle Schritte. Für darüber hinaus gehende Tests, etwa bei Besuchen von Restaurants oder Kinos, fehlt die Kapazität.
Droht ein solcher Engpass künftig auch beim Corona-Impfstoff?
Das ist Unkerei. Wir werden sehr schnell Impfzentren aufbauen. Der Impfstoff wird schnell produziert. Die bisher bekannten Impfstoffe sind sehr wirksam. Wir werden große Erfolge beim Impfen haben. Die sind aber erst von langfristiger Bedeutung.