Marco Binder. Foto: Jutta Jung/DKFZ
Von Tim Müller
Heidelberg. Marco Binder (43) ist Virologe und Forschungsgruppenleiter am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg.
Herr Binder, wenn Sie eine der Corona-Varianten für eine Ansteckung wählen müssten, würden Sie die britische oder die südafrikanische Mutation bevorzugen?
Bei dieser bescheidenen Auswahl wäre ich da nicht wählerisch – beide Varianten ähneln sich und unterscheiden sich in erster Linie durch ein möglicherweise unterschiedliches Ansprechen auf die Impfung. Da ich bislang aber weder geimpft bin noch eine Corona-Infektion durchgemacht habe, würde ich keinen Unterschied erwarten, ob ich mich nun mit der britischen oder südafrikanischen Variante anstecke.
Beide Mutationen gelten als deutlich ansteckender als die momentan dominierende Variante. Woran liegt das?
Dazu muss man etwas ausholen: diese Viren tragen auf ihrer Oberfläche das sogenannte Spike-Protein. Mit ihm docken sie an unsere Zellen an und injizieren ihr Erbgut, damit die betroffene Zelle neue Viren produziert. Beide Varianten weisen an diesen Eiweiß-Strukturen Veränderungen auf, die ihnen ein Andocken im Vergleich zum ursprünglichen Virus erleichtert. Deshalb reichen wohl einerseits weniger Viren aus, um eine Person zu infizieren. Andererseits können in einem erkrankten Menschen mehr Zellen vom Virus erfolgreich gekapert werden, die wiederum mehr Viren produzieren. Es sind also zwei Faktoren, die hier zu einer höheren Infektionsrate führen.
Mit der höheren Ansteckungsgefahr werden doch jegliche Lockdown-Lockerungen fatale Folgen haben …
Nur wenn wir nachlässig werden. Denn die gute Nachricht ist: sämtliche Hygiene-Maßnahmen, die wir bereits seit fast einem Jahr praktizieren, schützen uns auch vor den neuen Varianten! Die Mutanten sind kein grundlegend anderes Virus. Wenn wir diszipliniert bleiben, Abstand halten, Masken tragen sowie unsere Hände waschen, dann schützt uns das auch weiter wirkungsvoll vor Ansteckungen. Lassen wir hierbei aber nach, dann werden die Varianten das gleich doppelt ausnutzen.
Momentan scheint eine erneute Infektion nach einer überstandenen Covid-Erkrankung zumindest bei der südafrikanische Mutation möglich. Ist dafür auch die Veränderung am Spike-Protein verantwortlich?
Ja, zumindest, wenn die erste Infektion mit dem ursprünglichen Virus stattfand, dann besteht ein gewisses Risiko, dass man sich mit einer Variante wie der südafrikanischen erneut anstecken kann. Der Grund ist wieder das besagte Spike-Protein, denn für unser Immunsystem ist das der entscheidende Angriffspunkt – hier binden die von unserem Körper gebildeten Antikörper und blockieren das Andocken des Virus an die menschliche Zelle. Bei der südafrikanischen gibt es hier zusätzlich zu denen der britischen Variante noch eine weitere Mutation, die es den durch Impfung oder Infektion gebildeten Antikörpern schwerer macht, das Virus zu erkennen und zu blockieren.
Bedeutet das für die verfügbaren Impfstoffe, dass sie nicht mehr wirken?
Es deutet sich an, dass zumindest bestimmte Varianten, wie eben die südafrikanische oder die brasilianische, messbar weniger gut von den nach Impfung gebildeten Antikörpern erkannt werden. Hier sind die ersten Firmen bereits daran, ihre Impfstoffe anzupassen, so dass sie zukünftig auch diese Varianten wieder optimal abdecken. Aber an dieser Stelle muss ich auch etwas klarstellen: Wirksam oder nicht wirksam, so ein schwarz-weiß Schema greift hier einfach zu kurz. Denn selbst wenn es nach einer Impfung noch zu einer Ansteckung und zu milden Symptomen kommt, ein schwerer Verlauf aber ausbleibt, zeigt das Vakzin Wirkung. Nach meinem derzeitigen Kenntnisstand schützen alle Impfstoffe ziemlich gut vor schweren Verläufen – und das wohl auch bei den Varianten. Wir müssen uns klar machen, dass jede Impfung, die eine gewisse Wirkung gegen das Virus zeigt, besser ist als keine Impfung.