Der Traum von „normalen Zeiten“: Eine Passantin läuft im bayerischen Fürstenfeldbruck an einem Werbeplakat vorbei. Foto: AFP
Von Tim Müller und Alexander Rechner
Heidelberg/Mannheim/Berlin. Um der Ausbreitung des Coronavirus Herr zu werden, ist Automatisierung das Gebot der Stunde. Ob Unterstützung für die Gesundheitsämter oder Kontaktverfolgung bei Großveranstaltungen. Forscher und Software-Entwickler habe immer neue Ideen in Sachen digitale Pandemiebekämpfung. Die RNZ stellt zwei ambitionierte Apps mit regionaler Beteiligung vor:
Quarano – Wie geht’s uns heute?
Jeden Tag anrufen und das zwei bis drei Mal – so zumindest die Anspruchshaltung der Gesundheitsämter im Hinblick auf die Betreuung von Corona-Infizierten in der Quarantäne. Doch mit steigenden Infektionsfällen liegen Anspruch und Wirklichkeit schnell weit auseinander.
Das Problem war auch einer rund 30-köpfigen Gruppe von IT-Experten mit Schwerpunkt in der Rhein-Neckar-Region klar, die sich Mitte März 2020 zusammenfanden. Ihre Lösung: Es braucht ein Computerprogramm, das den Mitarbeitern der Gesundheitsämter die täglichen Anrufe abnimmt und so die Arbeit der Behörde vereinfacht – die Idee zur Quarano-Software und dem gleichnamigen Verein war geboren. "Die Entlastung der Gesundheitsämter ist von Anfang an unser Hauptanliegen gewesen", erklärt der Vorsitzende Ferdinand Biere.
Quarano macht es für die Infizierten selbst möglich, jeden Tag ihre Symptome und Körpertemperatur an das Gesundheitsamt zu übertragen. Mittels eines Links erhalten die Betroffenen Zugriff zu einer Online-Plattform, die das Gesundheitsamt mit wenig Aufwand pflegen kann. "Innerhalb von zwei Tagen hatten wir damals das Programm im Grunde genommen einsatzbereit", erklärt Biere stolz. Dann sei die Arbeit aber erst richtig losgegangen, schiebt er hinterher. Denn Quarano musste sich noch in einer praktischen Phase beweisen.
An dieser Stelle kam das Gesundheitsamt Mannheim ins Spiel. Über Beziehungen von Vereinsmitgliedern wurde der Kontakt hergestellt. Die Behörde entschloss sich rasch die Software mitzugestalten. "Die Kooperation war enorm wichtig", so Biere. In den darauffolgenden Wochen habe man mit Hilfe des Amts die Benutzeroberfläche des Programms so entwickelt, dass "alle wichtigen Daten erhoben werden können".
Nach insgesamt gerade einmal acht Wochen war es am 4. Juni 2020 soweit: Die Quarano-Software ging in den regulären Betrieb. Auch die Stadt Mannheim war stolz: "Dies zeigt, dass das Thema Digitalisierung in Mannheim (...) auch in einem klassischen Verwaltungsbereich wie dem Gesundheitsamt eine hohe Priorität genießt", erklärt Bildungs- und Gesundheitsbürgermeister Dirk Grunert.
Doch Quarano, das eigentlich für Begeisterung in den Gesundheitsämtern der Republik sorgen sollte, blieb unbeachtet. "Bis Ende November gab es außer Mannheim keinerlei Interessenten. Auch im Hinblick auf den Einsatz unserer Software war es ein Sommer der verstrichenen Chancen", erklärt Biere. Mittlerweile stehe der Verein aber wieder in Kontakt mit mehreren Gesundheitsämtern – welche es genau sind, darf er nicht verraten.
Luca – Endlich wieder Kultur
"Luca" – so heißt die App, die für ein Aufatmen in der gebeutelten Kulturszene, bei Restaurantbesitzern und der Veranstaltungsbranche sorgen könnte. Davon ist Patrick Hennig, der aus dem Neckar-Odenwald-Kreis stammende Geschäftsführer des Berliner Unternehmens Nexenio, überzeugt. Wenn man ein Museum, Restaurant oder ein Konzert besucht, braucht man dann keinen Stift und Block mehr, um Kontaktdaten zu hinterlassen. Ein Klick genügt. Die Mitarbeiter der Gesundheitsämter müssten mit der Luca-App bei der Nachverfolgung von Infektionsketten nicht mühsam forschen.
Hinter Luca stehen die Rap-Gruppe "Die Fantastischen Vier", die Entwickler von Nexenio sowie das Hasso-Plattner-Institut, das die wissenschaftliche Begleitung übernommen hat. Das Sicherheitskonzept wurde mit Marian Margraf vom Fraunhofer Institut entwickelt. Das Robert-Koch-Institut meint auf Anfrage der RNZ, dass die App "eine sinnvolle Anwendung für viele Veranstaltungssituationen sein" könne. Auch das Bundesgesundheitsministerium steht mit den Entwicklern im Austausch und bewertet dabei "die Umsetzung auf Basis der vorliegenden Informationen positiv".
Zur Funktionsweise erklärt Patrick Hennig, nach der Installation der App auf dem Smartphone muss man zunächst seinen Namen und seine Handynummer eingeben. Die Nummer wird überprüft. Danach generiert die App permanent sich verändernde, anonyme QR-Codes. Beim Besuch etwa eines Museums lässt man den eigenen QR-Code einscannen. Die Codes werden bei den Betrieben oder Veranstaltern in verschlüsselten Kontaktlisten hinterlegt. Das Besondere: Weder die Veranstalter, Betreiber noch die Gäste haben Zugriff darauf. In einem Infektionsfall besteht laut Patrick Hennig für den Besucher bzw. den Betrieb die Möglichkeit, die 14-tägige Kontakthistorie bzw. die Anwesenheitsliste für das Amt freizugeben. Erst wenn das Gesundheitsamt Zugriff erhält, können die Daten ausgelesen werden.