Völkerrecht

"Kriegspartei zu werden ist nicht per se verboten"

Selbst beim Kriegseintritt von Nato-Staaten dürfte Russland nicht angreifen

09.05.2022 UPDATE: 10.05.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 15 Sekunden
Ukraine-Krieg - Hostomel
Blindgänger auf dem Flughafen Kiew-Hostomel.
Interview
Interview
Alexander Wentker
Max-Planck-Institut für Völkerrecht in Heidelberg

Von Daniel Bräuer

Heidelberg. Alexander Wentker (Foto: zg) arbeitet am Max-Planck-Institut für Völkerrecht in Heidelberg. In seiner Dissertation beschäftigt er sich mit dem Begriff der Kriegspartei.

Herr Wentker, Deutschland ergreift im Ukraine-Krieg eindeutig Partei. Sind wir damit bereits Kriegspartei?

Dass politisch Partei ergriffen wird, sollte man von der völkerrechtlichen Frage nach dem Status als Kriegspartei trennen. Im völkerrechtlichen Sinne gibt es da zwar keine ganz ausdrückliche Regelung. Man kann aber rechtliche Kriterien herleiten.

Gibt es eine Rote Linie?

Zum einen müssen die eigenen Handlungen Teil der Militäroperation des Konflikts sein. Es braucht einen direkten operationellen Bezug zu den Kampfhandlungen. Der dürfte vorliegen, wenn die Handlungen des jeweiligen Staates in nur einem kausalen Schritt Schäden bei der gegnerischen Partei hervorrufen. Zum anderen muss das auch eng mit den Militäroperationen der unterstützten Partei koordiniert sein. Das wird dann gegeben sein, wenn der betreffende Staat auch in die Entscheidungsprozesse über das Ob und Wie konkreter Operationen involviert ist.

Kann man durch Waffenlieferungen zur Kriegspartei werden?

Mir scheint, dass Waffenlieferungen in diesem Sinne nicht Teil der Militäroperationen sind, weil sie eben nicht hinreichend direkt Schaden bei Russland hervorrufen. Das tut erst der Gebrauch der Waffen. Da macht es auch erst einmal keinen Unterschied, ob es sich um sogenannte leichte oder schwere oder Angriffs- oder Verteidigungswaffen handelt.

Panzerhaubitzen der Bundeswehr samt Ausbildung für Ukrainer in deren Gebrauch, das hat schon einen sehr direkten Bezug zum Kampfgeschehen.

Ja, aber auch da würde ich sagen: Das bloße Training ist nicht Teil konkreter Militäroperationen mit hinreichendem operationellem Bezug. Das ist etwas anderes als beispielsweise die Mitplanung konkreter Militäroperationen.

Macht es einen Unterschied, ob deutsche Soldaten die Waffen bringen oder ob Ukrainer sie ins Land holen?

Auch das macht letztlich keinen Unterschied. Entscheidend ist, ob Deutschland unmittelbar an der Militäroperation beteiligt ist und die eigenen Handlungen hinreichend eng mit der Ukraine koordiniert.

Dass Polen seine MiGs nicht direkt in die Ukraine fliegen wollte, sondern in Ramstein abholen lassen wollte, war demnach übervorsichtig?

Da spielen sicherheitspolitische Erwägungen eine entscheidende Rolle. Da geht es um die Einschätzung, ab wann Russland eine neue Eskalationsstufe erreicht sähe und bereit wäre, den Konflikt auf westliche Staaten auszuweiten. Da geht es nicht notwendigerweise um die Frage, ab wann der rechtliche Status einer Konfliktpartei erreicht wäre.

Politisch spielt diese Definition also gar keine so große Rolle? Wir sind Kriegspartei, wenn Putin uns dafür halten will?

Davor ist man nicht gefeit, dass Putin den Konflikt aufgrund strategischer Erwägungen auf westliche Staaten ausweitet. Trotzdem sind westliche Regierungen in dem Moment, wo sie den Rechtsbegriff Konfliktpartei als ihre Rote Linie vorgeben, auch in der Verantwortung darzustellen, wann sie diese Schwelle erreicht sehen. Außerdem ist das aufgrund der völkerrechtlichen Implikationen wichtig.

Nämlich welche?

Da ist wichtig klarzustellen: Es nicht per se verboten, Konfliktpartei zu werden. Und es ist auch nicht so, dass ein Kriegseintritt an der Seite der Ukraine Russland zur Gewalt gegen westliche Staaten berechtigen würde. Das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine erlaubt auch kollektive Selbstverteidigung. Umgekehrt hat Russland aber keine völkerrechtlich tragfähige Rechtfertigung für seine Gewaltanwendung. Deswegen verstößt jede einzelne Gewaltanwendung Russlands gegen das Gewaltverbot. Das wäre auch bei Angriffen Russlands gegen westliche Konfliktparteien so. Aber es gibt eine Reihe anderer Rechtsfolgen, die an den Status geknüpft sind.

Welche Folgen sind das?

Zum einen sind viele wichtige Pflichten nach dem humanitären Völkerrecht an Kriegsparteien adressiert. Auch Kombattant oder Kriegsgefangener kann zum Beispiel nur sein, wer Mitglied der Streitkräfte einer Konfliktpartei ist. Auch für Fragen von völkerstrafrechtlicher Verantwortung kann die Verbindung eines potentiellen Täters zu einer Konfliktpartei eine Rolle spielen.

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