Türkei-Wahl

Erdogan behält die Mehrheit im Parlament

Trotz Verlusten bleibt die AKP stärkste Kraft. Der ehemals in der Türkei inhaftierte Schriftsteller Deniz Yücel kritisiert die Glückwünsche des Bundeskanzlers. Derweil wird gegen mehrere Oppositionssender wegen "demütigender Aussagen" in der Wahlnacht ermittelt.

31.05.2023 UPDATE: 31.05.2023 06:00 Uhr 1 Minute, 55 Sekunden
Gebete zum Himmel: Vor dem Präsidentenpalast in Ankara feierten die Anhänger von Recep Tayyip Erdogan euphorisch den Wahlsieg ihres Präsidenten. Foto: AFP

Von Anne Pollmann und Mirjam Schmitt

Istanbul. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kann sich nach seiner Wiederwahl auch auf eine Mehrheit im Parlament stützen. Dies geht aus dem am Dienstag veröffentlichten Endergebnis der Parlamentswahl vor zwei Wochen hervor. Die Zweidrittelmehrheit für Verfassungsänderungen verpasste Erdogan mit seiner Partei AKP jedoch. Als Präsident kann er zwar mit Dekreten weitgehend am Parlament vorbeiregieren, braucht aber in bestimmten Fällen die Zustimmung der Volksvertretung.

Der 69-Jährige hatte sich am Sonntag in der Stichwahl gegen den Oppositionskandidaten Kemal Kilicdaroglu durchgesetzt. Das Parlament wurde bereits vor zwei Wochen gewählt. Die AKP verlor zwar 27 Sitze, bleibt aber stärkste Kraft (268 Sitze). Vier ihrer Abgeordneten gehören der kurdisch-islamistischen Partei Hüda Par an, die über die Liste der AKP erstmals ins Parlament gelangten.

Im Wahlkampf hatte das Bündnis mit den Islamisten viel Kritik ausgelöst. Die Hüda Par will etwa den Schutz der "traditionellen Familie" vor "abweichenden Ideologien" durchsetzen. Mädchen und Jungen sollen nach ihren Vorstellungen getrennt unterrichtet werden. Erdogan selbst hatte mit schwulen-, lesben- und transfeindlichen Parolen Wahlkampf gemacht. Gemeinsam mit den Abgeordneten der islamistischen Yeniden Refah und der ultranationalistischen MHP kommen die Erdogan-Unterstützer auf 323 Sitze.

Die oppositionelle CHP gewann 23 Sitze dazu und kommt nun auf 169 Abgeordnete. Darin enthalten sind auch 10 Sitze der Gelecek-Partei und 15 der Deva-Partei. Die prokurdische HDP, die wegen eines drohenden Verbots gemeinsam mit der Grünen Linken Partei antrat, verlor hingegen 6 Sitze und kommt nun auf 61 Mandate.

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Der Schriftsteller Deniz Yücel hat die Glückwünsche von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) an Erdogan kritisiert. "Am Wahlabend war er einer der ersten ausländischen Politiker – also kurz nach Viktor Orban, dem Emir von Katar und den Taliban – der Erdogan zum Wahlsieg gratulierte", sagte Yücel am Dienstag. Scholz habe es versäumt, "ein Wort darüber zu verlieren, wie unfair diese Wahl gelaufen ist". Ebenso habe er nichts zur Frage der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei gesagt.

Wegen ihrer Berichterstattung über die Wahlen müssen Oppositionssender mit negativen Folgen rechnen. Die nationale Rundfunkbehörde gab am Dienstag bekannt, dass Untersuchungen gegen insgesamt sieben Sender eingeleitet wurden, die in der Wahlnacht "demütigende Aussagen" über das türkische Volk verbreitet hätten. Unklar blieb, ob es dabei um die Präsidenten- und Parlamentswahl am 14. Mai oder die Stichwahl am Sonntag ging. Als Beispiel wurden Aussagen einer Journalistin zitiert, Wahlurnen machten noch keine Demokratie.

Die türkische Regierung kontrolliert einen Großteil der Medienlandschaft direkt oder indirekt. Beobachter sehen die eingeschränkte Pressefreiheit als einen Grund für Erdogans Wahlerfolg. Die Rundfunkbehörde gilt als regierungsnah. Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" führt die Türkei bei der Pressefreiheit auf Platz 165 von 180 Ländern. Deutschland hat Platz 21.

Yücel plädierte auch dafür, künftig die Nutzung der türkischen Konsulate in Deutschland als Wahllokale zu untersagen. Auslandsdeutsche könnten in der Regel nur wählen, wenn sie nicht länger als 25 Jahre außer Landes leben – und dann nur per Briefwahl, betonte er. Es verstoße "gegen den Demokratie-Gedanken", wenn Menschen, "die woanders leben, woanders ihre Steuern zahlen", in türkischen Konsulaten wählen könnten.

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