Ist Moldau Putins nächstes Ziel?
Deutsche Außenpolitiker fürchten einen Angriff auf die Republik an der ukrainischen Grenze.

Von Thomas Vitzthum, RNZ Berlin
Berlin. Zwischen den moldauischen Städten Tiraspol und Chisinau liegen knapp 70 Kilometer, so viel wie zwischen Mannheim und Heilbronn. Während Tiraspol als Hauptort des Gebiets Transnistrien aber zum Einflussbereich Wladimir Putins gehört, ist Chisinau Hauptstadt der Republik Moldau, die seit Juni den Bewerberstatus für die EU hat. Die geringe Distanz zeigt: Moldau ist verletzlich. Eine Armee kann die Strecke an einem Tag überwinden und das kleine Land überrennen. Genau das erwartet Moldaus Geheimdienst.
"Die Frage ist nicht, ob die Russische Föderation eine neue Offensive gegen das Territorium der Republik Moldau durchführen wird, sondern wann", sagte Geheimdienstchef Alexandru Musteata im Staatsfernsehen. Möglich sei ein Zeitraum zwischen Januar und April. Mit der "neuen" Offensive bezog sich Musteata auf die Stationierung russischer Soldaten in dem seit 1992 abtrünnigen Landesteil Transnistrien.
Gerade weil Putin in der Ukraine nicht den erhofften Erfolg verbuchen kann, sehen deutsche Außen- und Verteidigungspolitiker Moldau in Gefahr. "Ich nehme die Warnungen der Moldauer sehr ernst. Der 24. Februar 2022 hat gezeigt, zu was Russland fähig ist. Ein so kleines Land kann von russischen Truppen, die ohnehin in Transnistrien im Land sind, schnell überrannt werden", sagte der außenpolitische Sprecher der Union im Bundestag, Jürgen Hardt (CDU), unserer Berliner Redaktion. Das arme Moldau sei durch die große Anzahl ukrainischer Flüchtlinge wirtschaftlich ohnehin erschöpft.
Auch der verteidigungspolitische Sprecher der Union, Florian Hahn (CSU), hält das Szenario "für absolut plausibel. Militärisch würde es dort kaum Widerstand geben." Russland binde damit aber Personal und Material, das es in der Ukraine brauche. "Sollte aber der Widerstand der Ukrainer nachlassen, wäre Moldau für Putin ein mögliches Ziel."
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Die Armee Moldaus ist nur 5000 Mann stark, Russland hat alleine in Transnistrien bis zu 2000 Soldaten stationiert. Im Fall einer Invasion darf das Land militärisch nicht mit Beistand rechnen. Es ist kein Nato-Mitglied, Sicherheitsgarantien hat es nicht, in die Ausbildung der Armee wurde, anders als bei der Ukraine, von Seiten des Westens kaum investiert.
Der außenpolitische Sprecher der FDP im Bundestag, Ulrich Lechte, sieht schnellen Handlungsbedarf: "Ziel sollte es sein, das Land frühzeitig und mit zielführendem Material zu unterstützen, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Dazu gehört die Lieferung entsprechender Fähigkeiten, damit sich die Republik Moldau im Notfall selbst verteidigen kann, und eine funktionierende Infrastruktur, um die gelieferten Fähigkeiten zu unterhalten, sowie ausreichend Munition." Über internationale Sicherheitsgarantien sollte man "dringend mit unseren Verbündeten sprechen".
Auch der CDU-Europaabgeordnete Daniel Caspary erwägt Garantien: "Eine Sicherheitsgarantie durch die Nato hätte sicherlich abschreckende Wirkung auf Putin. Nichtsdestotrotz birgt sie das Risiko einer gefährlichen Eskalation." Europa müsse für den Ernstfall gerüstet sein und dürfe nicht wieder kalt erwischt werden wie im Fall der Ukraine. "Ich setze darauf, dass europäische und amerikanische Geheimdienste mittlerweile so eng zusammenarbeiten, dass wir in diesem Fall besser vorbereitet wären."
Trotz der geringen Größe der Moldau-Armee ist Hardt für Waffenlieferungen: "Analog der Ausbildung und Ausrüstung der ukrainischen Streitkräfte muss darüber nachgedacht werden, die moldauischen Streitkräfte zu ertüchtigen." Es sei Aufgabe der Bundesregierung, aktiv zu werden. Auch die Nato müsse sich vorbereiten: "Neben umfangreicher Wirtschaftshilfe durch Deutschland und die EU muss die Nato in Rumänien stark und präsent sein. Ein Szenario, dass sich an der rumänisch-moldauischen Grenze russische Truppen und Nato-Verbände direkt gegenüberstehen, wird bei einem russischen Überfall auf Moldau real." Abschreckung müsse das Mittel sein, um ein Ausgreifen des Krieges zu verhindern.
Die EU soll als Reaktion auf die drohende Gefahr den Annäherungsprozess beschleunigen, meint Manfred Weber, Chef der EVP und CSU-Vize. Die Bundesregierung müsse Vorkehrungen treffen. "Für Moldau gilt dasselbe wie für die Ukraine: Das Land muss sich auf seine europäischen Partner verlassen können. Es ist klar, dass Moldau zielgerichtet an die EU herangeführt wird und bereits heute eine starke Unterstützung durch die EU benötigt." Dem pflichtet der außenpolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Nils Schmid, bei: "Die Sorgen Moldaus sind begründet und nachvollziehbar. Das Land ist besonders vom russischen Angriffskrieg auf die Ukraine betroffen, weil die Energieversorgung zu einhundert Prozent von russischem Gas abhängt. Gerade deshalb ist es ausgesprochen wichtig, die Beziehungen zwischen Moldau und der EU auszubauen und die moldauische Abhängigkeit von russischen Energieträgern langfristig zu reduzieren."
Der Diplomatie geben die Politiker hingegen keine Chance, die Lage zu entspannen. "Die Möglichkeiten Europas und des Westens, Moldau diplomatisch zu verteidigen, sind äußerst begrenzt. Effektive Instrumente, Russland von einer Invasion abzuhalten, sehe ich nicht", sagt Hahn. Und auch Hardt befürchtet: "Putin und seine Vasallen im Kreml haben sich in eine ausweglose Lage gebracht. Deshalb habe ich Zweifel, ob die russische Führung gegenwärtig auf Druck reagiert."