Pflegerats-Präsidentin im Interview

Darum ist die Pflegereform viel zu wenig

"Das ist kein Gesetz, das die Zukunft sichert": Christine Vogler kritisiert die geplante Pflegereform als unzureichend.

25.05.2023 UPDATE: 25.05.2023 06:00 Uhr 2 Minuten, 18 Sekunden
Symbolfoto: Bodo Marks/dpa
Interview
Interview
Christine Vogler
Präsidentin des Deutschen Pflegerates

Von Daniel Pfeifer, RNZ Berlin

Berlin. Christine Vogler (53) ist Präsidentin des Deutschen Pflegerates.

Frau Vogler, das Pflegegesetz ist am Freitag im Bundestag. Es soll die häusliche Pflege stärken und die Arbeitsbedingungen für professionell Pflegende verbessern. Wird es das tun?

Nein, aus unserer Sicht ist das keine Pflegeunterstützung, das Gesetz hält am Status quo fest. Es ist ein Versuch, zu retten, was wir übermorgen gar nicht mehr mit der vorhandenen Pflegeversicherung gestemmt bekommen. Das ist kein Gesetz, das die Zukunft sichert. Es ist eine sehr kleine Entlastung, viel zu wenig.

Aber das Pflegegeld und die Sachleistungsbeträge steigen doch immerhin.

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Ja, sie steigen um 4,5 Prozent. Das liegt weit unter dem, was es bräuchte, um mit der Inflation mitzuhalten.

Hätten Sie mehr erwartet?

Wir müssen uns fragen, ob wir dieses System überhaupt stabilisiert bekommen. Wir hätten uns gewünscht, dass die Gesundheitsversorgung endlich insgesamt angefasst wird. Es ist fraglich, ob die beiden Sozialgesetzbücher Pflegeversicherung und Krankenversicherung noch zeitgemäß sind.

Zum Beispiel ein kompletter Systemwechsel hin zu einer steuerfinanzierten Pflege, wie manche es fordern?

Wir haben eine Pflege-Teilkasko-Versicherung. Pflegebedürftige zahlen über Umlagen in den Heimen Investitionen, Ausbildungsgelder und vieles mehr. Viele können bereits heute diese Kosten nicht mehr selbstständig tragen und die Sozialämter springen dafür ein. Da muss man sich fragen: Ist das noch gerecht oder müssen wir das nicht mindestens zum Teil durch Steuern finanzieren? Auf Dauer werden wir das alles auch mit der nächsten Reform, den nächsten vier, fünf Prozent mehr nicht hinbekommen.

Kann man dem Bürger denn immer höhere Beiträge aufbürden?

Eine wichtigere Frage ist: Wohin gehen die Gelder? Einiges fließt aus dem Sozialsystem ab, etwa an Renditeunternehmen. Wenn die Menschen aber wüssten, dass ihre Beiträge unmittelbar für die Pflege verwendet würden, wären sie sicher auch bereit, mehr zu zahlen.

Die Pflegegesetzgebung ist sehr kompliziert, versteht das denn der Bürger?

Nein, da blickt niemand mehr durch. Das ist ein Riesenproblem. Wir haben so ein komplexes System, dass wir den Beruf der "Gesundheitslotsen" einführen müssen. Deren Job ist, Patienten und Pflegebedürftige durch unser System zu führen, damit sie überhaupt verstehen, welche Leistungen sie in Anspruch nehmen können. In Zukunft müssen wir das System viel transparenter, einfacher, klarer machen.

Manche wollen ein Recht auf einen Pflegeplatz für jeden. Wie finden Sie das?

Die Idee finde ich spannend. Denn was ist denn die Gegenkonsequenz, wenn niemand Anspruch auf Pflege hat? Dann würden Menschen vielleicht zu Hause verdursten, weil niemand da ist. Sie würden sterben oder einsam und isoliert leben. Das sind alles Folgen fehlender Pflege. Daher finde ich: Pflegerische Versorgungssicherheit gehört ins Grundgesetz!

Ließe sich das umsetzen?

Die Schweizer haben es schon geschafft: Sie haben die pflegerische Versorgung in die Verfassung geschrieben. Pflege benötigt jedoch mehr. Es geht auch um Angehörigenversorgung, um Prävention, mehr Handlungsautonomie für Pflegeberufe, um neue Gesundheitsberufe.

Haben Sie Hoffnung, dass so grundlegende Änderungen kommen?

Ich will gar keinem Vorwürfe machen. Ich weiß, wie komplex das Gesundheitssystem geworden ist. Politiker wie Jens Spahn oder Karl Lauterbach haben versucht, Wege zu bereiten. Aber ich glaube, einzelne Ministerien können das nicht mehr bewältigen. So bleibt am Ende, das System notdürftig zu retten, am Laufen zu halten. Aber ich vermisse eine Strategie für ein funktionierendes Gesundheitssystem.

Wie lange kann das gutgehen?

In vier bis fünf Jahren werden wir den Kipppunkt erreichen. Dann geht so viel Pflegefachpersonal in Rente, dass wir es niemals durch Ausbildung nachbesetzt bekommen. Gleichzeitig werden die Menschen immer älter und es wird immer mehr Pflegebedürftige geben. Wieder einmal hat die Politik mit diesem Gesetz nur bis morgen gedacht. Wenn überhaupt.

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