"Der Mindestlohn steigt nur unzureichend"
Wirtschaft insgesamt profitiert von Untergrenze

Von Andreas Herholz, RNZ Berlin
Berlin. Peter Bofinger ist Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Ökonom an der Uni Würzburg.
Herr Bofinger, der Mindestlohn wirkt, heißt es in einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Demnach verdienen nicht nur die Menschen im Niedriglohnsektor deutlich besser. Auch die Wirtschaft profitiere. Teilen Sie diese Einschätzung?
Der Mindestlohn ist eine Erfolgsgeschichte. Es gab vor seiner Einführung furchtbare Horrorszenarien und die Warnung vor dem Verlust von Arbeitsplätzen. Tatsächlich ist die Beschäftigung um zwei Millionen gestiegen. Das ist interessanterweise auch in dem Bereich gestiegen, der vom Mindestlohn besonders betroffen ist, etwa im Gastgewerbe.
Der Mindestlohn soll bis 2020 in zwei Stufen auf 9,35 Euro steigen. Eine angemessene Erhöhung?
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Die jetzt beschlossene Erhöhung ist unzureichend. Sie gewährt nur einen Inflationsausgleich. Die Arbeitnehmer werden überhaupt nicht am aktuellen Wohlstandszuwachs beteiligt. Rückblickend waren die von der Kommission festgesetzten 8,50 Euro in jedem Fall zu niedrig angesetzt. Deswegen hätte die Erhöhung jetzt viel deutlicher ausfallen müssen.
Die Arbeitgeber warnen davor, die Lohnschraube allzu hochzudrehen …
Das sind die alten Schreckgespenster, die jetzt wieder aus der Kammer geholt werden. Es gibt keinen ökonomischen Grund dafür, den Arbeitnehmern nicht auch einen Anstieg ihrer realen Kaufkraft zu gewähren.
Trotz des Mindestlohns haben laut der Studie manche Arbeitnehmer nicht mehr Geld in der Lohntüte, weil die Unternehmer zugleich die Arbeitszeiten deutlich verkürzt haben. Wie kann man diesen Nulleffekt beseitigen?
Das mag in einzelnen Fällen so sein. Ich sehe diesen Nulleffekt aber nicht. Dazu ist mir auch keine Statistik bekannt. Messbar ist aber, dass die Beschäftigung massiv gestiegen ist. Auch in den unteren Lohnbereichen. Der Mindestlohn hat dazu geführt, dass viele Tätigkeiten aus der Schwarzarbeit in reguläre Arbeit überführt wurden. Hier haben sicher die strengen gesetzlichen Aufzeichnungspflichten für 400-Euro-Jobs geholfen.
Wie kann man erreichen, dass Geringverdiener mehr Geld bekommen?
In den unteren Lohnbereichen, ab 8,50 Euro, schlagen ab dem ersten zusätzlichen Euro sofort die vollen Sozialabgaben zu Buche. Hier sollte der Arbeitnehmeranteil gesenkt werden. Die Wiedereinführung der Parität bei der Krankenversicherung entlastet schon etwas. Man sollte gezielt in den unteren Lohnbereichen den Arbeitnehmeranteil von den Sozialabgaben entlasten und das mit Steuermitteln ausgleichen. Die Pläne von Bundesarbeitsminister Heil, Geringverdiener bei den Rentenbeiträgen zu entlasten, gehen da in die richtige Richtung.