Heidelberger Palästina-Konferenz

Israel boykottieren oder nicht?

Bundesweite Kampagne gegen die israelische Besatzung tagte in Heidelberg - Hoffnung auf Zweistaatenlösung

27.05.2018 UPDATE: 28.05.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 54 Sekunden

Szenen aus Gaza am Wochenende: Palästinenser tragen einen jungen Mann weg, der bei einer Demonstration an der Grenze verletzt worden ist. Bei israelischen Panzer- und Luftangriffen starben drei Menschen, zwei von ihnen Mitglieder der Al-Kuds-Brigaden. Foto: AFP

Von Daniel Bräuer

Heidelberg. Als vor einer Woche der UN-Menschenrechtsrat darüber abstimmte, eine Untersuchung zu den vielen Toten an der Grenze zwischen Gaza und Israel einzusetzen, enthielt sich der deutsche Vertreter. "Ich habe ihn danach gefragt: ,Warum?’", berichtet Rania Madi. Er habe ihr nicht in die Augen sehen wollen. Anweisung aus Berlin eben.

Die palästinensische Menschenrechtlerin ist zu Gast beim "Bündnis zur Beendigung der israelischen Besatzung" (BIB). Die Organisation setzt sich seit zwei Jahren dafür ein, zu einer Friedenslösung im Nahen Osten zu kommen. Auf einer dreitägigen Konferenz diskutierte sie am Wochenende in Heidelberg, was Deutschland zur Situation beiträgt. Konkret: "Verlängert Deutschland die Besatzung?", so der Titel der Abschlussrunde im Kirchheimer Bürgerzentrum.

Mit besetzten Gebieten, betont Madi, sei nicht nur das Westjordanland gemeint. Auch der Gaza-Streifen, 2005 von Israel geräumt und seither scharf abgeriegelt, zähle für sie weiter dazu. "Wenn alle Grenzen dicht sind, ist das Land besetzt", sagt sie unter dem Applaus der rund 200 Zuhörer. Just am Sonntag kündigt das israelischer Verteidigungsministerium den Bau einer neuen Seebarriere vor der Küste Gazas an.

Für Annette Groth, ehemalige Abgeordnete der Linkspartei, ist klar, wie Berlin die Besatzung verkürzen könnte: Es müsse Waffenlieferungen an Israel stoppen und das EU-Assoziierungsabkommen suspendieren. "Ich glaube, dass nur wirtschaftlicher Druck etwas bewirken kann", sagt sie. Die Welt dulde das Verhalten Israels, weil sie auf israelische Sicherheitstechnik und Expertise im Anti-Terror-Kampf angewiesen sei, zitiert sie aus der Zeitung "Haaretz".

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Eine Lösung im Nahost-Konflikt, das ist die Kernthese von BIB, sei auch im Interesse Israels. Selbst wenn man dazu zu drastischen Mitteln greifen müsse. So spricht sich Groth offen für die Kampagne BDS aus. "Boycott, Divestment, Sanctions": Investitionen aus Israel abziehen, Produkte von dort boykottieren.

Die Kritik daran kennt Groth - und entgegnet: "Das erinnert gar nicht an ,Kauft nicht bei Juden’", die Parole aus der NS-Zeit, sagt sie. "Das erinnert an den Boykott Südafrikas zu Zeiten der Apartheid." Madi assistiert: "Wenn die anderen Juden verstehen, warum sie keine Produkte exportieren können, werden sie Druck auf ihre Regierung ausüben."

Offiziell unterstützen will BIB die BDS-Kampagne nicht - auch um nicht die zu erwartende Kritik auf sich zu ziehen. Aber es sei gut, wenn Palästinenser inzwischen BDS forderten, statt Flugzeuge zu entführen oder Bomben zu bauen, sagt der BIB-Vorsitzende Rolf Verleger.

Auch Menachem Klein, einst Berater der Regierung von Ehud Barak, betont: "BDS spielt denen in die Hände, die wie die israelische Regierung sagen, dass es das Existenzrecht angreift. Es boykottiert den Staat, nicht das, was in den besetzen Gebieten passiert." Die Wirkung sei "gleich Null", sagt der Politologe unter hörbarem Raunen im Saal. Vielmehr fordert er, die UN-Resolution umzusetzen, wonach Produkte aus den besetzten Gebieten nicht als israelische gelten dürfen. "Fangen wird dort an", fordert er.

Klein sieht einen weiteren Einfluss, wie westliche Staaten den Status Quo zementierten: mit Finanzhilfen für die Autonomiebehörde in Ramallah - weil der Kollaps dort auch unter Palästinensern in Paris, Berlin oder London massive Proteste hervorrufen würde. "Das ist eine Frage der inneren Sicherheit, keine Außenpolitik", sagt er. Das sage offiziell niemand, er wisse es aber aus erster Hand.

"Eine problemlose Lösung gibt es nicht", sagt Klein. Aber die Zwei-Staatenlösung sei immer noch die am wenigsten problematische - und der Zeitpunkt, an dem die israelische Rechte nicht mehr dominiere, werde kommen.

Eine Weile verliert sich die Diskussion in Medienkritik über ein angebliches deutsches Tabu, Israel oder die US-Nahostpolitik zu kritisieren. Auch der RNZ-Bericht über die Gegendemonstration zum Auftakt der Tagung kommt zur Sprache. Verleger stößt sich am Vorwurf eines Demonstranten, er habe den Angriff auf einen Kippa-Träger in Berlin "gerechtfertigt". Verleger betont, dass er den Vorfall "unverzeihlich" genannt hat. Gegenüber der RNZ betont er, die Kippa sei zum "Symbol der nationalreligiösen jüdischen Siedler" geworden. Daher rufe sie "selbstverständlich Wut bei den Palästinensern" hervor. "Erklären heißt nicht rechtfertigen."

Kritik an der Politik Israels sei kein Antisemitismus, betont Groth. In einer umstrittenen Arte-Dokumentation ist sie mit der Aussage vertreten, Israel habe die Wasserversorgung Gazas zerstört und leite giftige Abwässer ins Mittelmeer. Kritiker sahen darin eine Parallele zum antisemitischen Vorwurf der "Brunnenvergiftung" aus dem Mittelalter. Bei der Konferenz wird der Filmausschnitt als Beispiel angeblich verzerrender Berichterstattung eingespielt. Die Frage, ob Groth mit ihrer Aussage ein antisemitisches Klischee wenn nicht gewollt, dann doch transportiert hat, bleibt ungestellt.

Der Publizist Michael Lüders sieht die Palästinenser in einem unentrinnbaren Dilemma: "Sind sie gemäßigt wie Abbas, bekommen sie nichts. Sind sie radikal, bekommen sie erst recht nichts", so der ehemalige Nahost-Korrespondent der "Zeit". Verleger hält in seinem Schlusswort optimistisch dagegen: "Wir haben keine Chance, also nützen wir sie."