"In den Lagern lebten auch Frauen und Kinder"
Von Manfred Bechtel
Heidelberg. Während Kurfürst Friedrich V. seine Familie im niederländischen Exil in Sicherheit gebracht hatte, braute sich vor seiner Residenz das Unglück zusammen: Mit 15.000 Mann der Katholischen Liga zog General Tilly im Juli 1622 vor Heidelberg. Erste Angriffe von Norden wurden abgewehrt.
Doch dann überquerte Tilly den Neckar. Er besetzte die Höhenlagen auf der Südseite und ließ die Kanonen auf Stadtbefestigungen und Schloss hinunterfeuern. Für die Bewohner begann eine Zeit voller Angst. Am 16. September fiel die Stadt - und war nun der Willkür der Soldateska preisgegeben. Das Schloss kapitulierte Tage später, die Besatzung durfte abziehen.
Im Waldboden haben die Belagerer "Andenken" in großer Zahl hinterlassen, die Einblicke in das Lagerleben des Dreißigjährigen Krieges geben. Im Gespräch erklärt Renate Ludwig, Leiterin Archäologie und Denkmalschutz am Kurpfälzischen Museum, die Bedeutung des "Tilly-Fundes".
>>> Hier gibt es alles zum Thema Dreißigjähriger Krieg <<<
Frau Ludwig, unter der Leitung Ihres Vorgängers Berndmark Heukemes wurde der sogenannte "Tilly-Fund" zusammengetragen. Wie kam es dazu?
Heukemes hat da oben mit vielen Amerikanern gearbeitet, die schon Metall- und Minensuchgeräte eingesetzt haben. Das waren systematische Geländebegehungen. Auf diese Weise hat er von den 60er bis in die 80er Jahre mehrere tausend Einzelfunde herausgeholt. Die Zusammensetzung zeigt einen überdurchschnittlichen Anteil von Metallfunden, ganz wenig Keramik, ganz wenig Glas. Das würde bei einer Ausgrabung genau umgekehrt sein.
Wo wurde gesucht?
Das Lager auf dem Gaisberg bei der Hutzelwaldhütte ist das am besten dokumentierte. Da haben wir das meiste Fundmaterial. Auch vom Lager auf der Sprunghöhe kam einiges zu Tage und schließlich vom Lager am Königstuhl. Im Gelände sichtbar ist davon heute gar nichts mehr. Das waren ja Zeltstädte gewesen. Was wir heute im Gelände noch erkennen können, sind diese Laufgräben, in denen sich die Soldaten zu den Stadtbastionen Trutzkaiser und Trutzbayer vorschoben.
Woraus besteht der "Tilly-Fund"?
Aus Ausrüstung und Bewaffnung, die Reiterei ist vertreten, das Fußvolk mit seinen Musketen und Degen, die Artillerie, wir haben riesige Kanonenkugeln, Schanzwerkzeug. Und der zweite Aspekt lässt sich unter ‚Tross und Wagen‘ zusammenfassen. Da lebten ja nicht nur kämpfende Soldaten, sondern auch deren Frauen und ihre Kinder. Der Fund spiegelt das Lagerleben im Dreißigjährigen Krieg wider, mit den Händlern, den Schankwirten, den Frauen und Dirnen. Es ist gut möglich, dass man käufliche Frauen im Lager an ihren Gürteln erkannte, die mit derben erotischen Szenen versehen sind. Es gab auch Funde, die die ärztliche Versorgung abbilden. Da gibt es wiederum historische Quellen, da tritt einem der Schweiß ins Gesicht, wie Gliedmaße amputiert und "behandelt" wurden.
Wie versorgten sich die Belagerungstruppen denn?
Zu Anfang des Dreißigjährigen Krieges sorgt der Kriegsherr noch für die Soldaten. Aber schon im Laufe des Krieges mussten sie sich dann selbst versorgen. Da spielten die Frauen der einfachen Soldaten, die eben im Tross mitzogen, eine ganz besondere Rolle. Die sind mit ihren Männern zum Plündern gezogen oder, wenn ihre Männer im Kampf waren, auch auf eigene Faust.
Wie endete die Belagerung?
Nach drei Monaten, am 16. September 1622, nahm die Soldateska die Stadt ein. Dann sind die Soldaten plündernd durch die Straßen gezogen, haben gebrandschatzt und alles niedergemacht, was sich ihnen da in den Weg stellte.
Zum Weiterlesen: Renate Ludwig, Schlachtfeldarchäologie II, Das Leben der Belagerer, in: Spektrum Spezial Archäologie, Geschichte, Kultur 1/2018 "Der Dreißigjährige Krieg". Das Heft erschien am 26. März 2018 im Handel. Es kann für 8,90 Euro im Online-Shop auf www.spektrum.de bestellt werden.