Der Dreißigjährige Krieg im Kraichgau

Erst kamen die Soldaten, dann die Pest und die Wölfe

Durchzugsort von Truppen - Feldherr Tilly quartierte in Neckarbischofsheim und in Waibstadt

11.05.2018 UPDATE: 12.05.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 51 Sekunden

Kirchenbücher sind die besten Quellen der örtlichen Geschichtsschreibung. Peter Beisel hat sich durch dicke Folianten gearbeitet. Foto: Günther Keller

Von Günther Keller

Kraichgau. Es sollte ein großartiger Festgottesdienst werden. Über 2000 Menschen, viele von auswärts, drängten sich in der Bischofsheimer Kirche vor der Alabasterkanzel mit dem Bildnis Luthers. Seit 20 Jahren verkündete das wuchtige Gotteshaus in der Stadtmitte den protestantischen Glauben, erst kürzlich hatte man noch eine Orgel angeschafft. Es sollte die Geburt des Erlösers, dessen Name die Kirche trägt, gefeiert werden.

Pfarrer Johann Ulrich Pauli hielt die Weihnachtspredigt, in der der "Friede auf Erden" beschworen werden sollte, doch es blieb beim frommen Wunsche. Plötzlich stürmten kaiserliche Reiter, vermutlich ein kroatisches Kommando, durchs Portal. Wild schossen sie um sich, schlugen und stachen mit Säbeln und Lanzen auf die Kirchenbesucher ein, raubten sie aus. Man schrieb den 24. Dezember 1634 und damit das 16. Kriegsjahr. Halbzeit beim großen Schlachten.

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"Es gab immer wieder ruhige Perioden, in denen die Bauern die Felder bestellten und in denen der Alttag seinen gewohnten Gang nahm", sagt der Neckarbischofsheimer Geschichtsforscher Peter Beisel. Um die Vorgänge im 17. Jahrhundert zu erkunden, hat sich Beisel durch das 800 Seiten dicke älteste Kirchenbuch des Städtchens gearbeitet, die Handschriften der Pfarrer entschlüsselt und die Schilderungen zeitlich eingeordnet. Eine Fleißarbeit, die viele historische Details ans Licht brachte.

Eine Erkenntnis war, dass im nördlichen Kraichgau zwar nie richtig Krieg tobte, die einzige Schlacht im nahen Wimpfen zwischen den Truppen des Kaisers und des badischen Markgrafen tobte, aber auch, dass der Landstrich als Folge des Krieges schwer geschlagen war.

In der Schlacht bei Wimpfen schlugen die Kaiserlichen unter Tilly die Truppen des badischen Markgrafen. Foto: Günther Keller

Jahrelang war der nördliche Kraichgau vom seit 1618 tobenden Ringen der europäischen Großmächte relativ wenig berührt worden. Ab und zu zogen Truppen durch, sehr zum Leidwesen der Bevölkerung, bedienten sich doch die Söldnerheere in heimischen Kellern und Ställen einfach selbst.

Aber alles in allem war man vom Schrecken des großen Krieges verschont worden, sogar als der kaiserliche Feldherr Johann T’Serclaes von Tilly mit über 10.000 Mann im März 1622 vor der Stadt lagerte und schließlich im Schloss des geflüchteten Grafen von Helmstatt vier Wochen lang sein Hauptquartier aufschlug, um den Vormarsch auf Heidelberg zu organisieren. Anschließend zog er mit seinem Tross nach Waibstadt weiter. Auch dieses Städtchen wurde - vermutlich weil katholisch - verschont, während die Daisbacher Burg, quasi im Vorübergehen, zerstört und der Ort verwüstet wurde.

Der kaiserliche Feldherr Johann T’Serclaes von Tilly. Foto: Günther Keller

Dass Tilly den Bischofsheimern bei seinem Kurzaufenthalt einen Schutzbrief ausgestellt hatte, zählte zwölf Jahre später nicht mehr. Außerdem war der kaiserliche Kommandeur schon zwei Jahre tot, als die Reiter an Weihnachten 1634 die Kirche überfallen hatten. Aber das sollte erst der Anfang gewesen sein: Am 26. Dezember, dem St. Stefanstag, fielen die Truppen erneut ins Städtchen ein, ritten durch die Straßen, schlugen die Menschen nieder und stürmten abermals die Kirche, in der gerade das Abendmahl gefeiert wurde.

Die Neckarbischofsheimer Kirche war Schauplatz zweier brutaler Übergriffe auf die Bevölkerung. Foto: Günther Keller

Zwei Frauen wurden getötet, Schultheiß Neher erschlagen. Elf Tage lang wurde die Stadt geplündert, und es wurde weggeschleppt, was die Soldateska brauchen konnte und nicht niet- und nagelfest war. Die Frauen wurden geschändet, "ohne Unterschied, auch alte, hochbetagte Weiber u. kleine theils 10, 11, 12jährige maydlin", so protokollierte Pfarrer Pauli in seinem Kirchenbuch. Und wenig später schreibt er: "Anno 1634 hat die seuch eingerissen." Zum Krieg kam jetzt noch die Pest hinzu.

Das befestigte Neckarbischofsheim und das ebenfalls von einer Stadtmauer umkränzte Hilsbach waren immer wieder Brennpunkte des kriegerischen Geschehens. Unzählige Flüchtlinge suchten hier ungewissen Schutz, weil ihre eigenen Dörfer den aufmarschierenden Truppen kaum Widerstand leisten konnten. Im benachbarten Helmstadt ging ein ganzer Ortsteil im Krieg zugrunde; Epfenbach wurde zuerst 1622 von Tillys Truppen niedergebrannt, 20 Jahre später hausten lothringische Reiter im Dorf.

Die Daisbacher Burg wurde wie das übrige Dorf beim Einmarsch der Kaiserlichen weitgehend zerstört. Foto: Günther Keller

Zum Kriegsende sollen hier gerade noch 15 Menschen gewohnt haben. Reichartshausen wurde zuerst von den Schweden, dann von den Kaiserlichen heimgesucht. Als sie wieder abgezogen waren, brachen Wölfe ins Dorf ein. Und dann kam noch die Pest. Zuzenhausen war mehrfach Durchzugsort, weil eine wichtige Straße entlang der Elsenz führte. Der Ortsadel derer von Venningen war damals evangelisch - mit der Konsequenz, dass bayrische Kohorten die Burg am Ortsrand schleiften und das Dorf, ebenso das benachbarte Eschelbronn, fast völlig zerstörten. Nicht anders erging es der Michelfelder Wasserburg.

Teilweise völlig entvölkert waren Siedlungen wie Reihen, Neidenstein, Hoffenheim oder Dühren, wo nach dem Westfälischen Frieden schließlich Mennoniten für eine Wiederbelebung sorgten. Sinsheim erlitt wiederholte Verwüstungen, mal durch Tillys Truppen, mal durch Schweden, Kroaten oder Franzosen - ein Vorgeschmack auf das, was auf die Stadt dann 1674 mit Marschall de Turenne und einer kompletten Ausplünderung und 3000 Toten zukommen sollte.

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