Von Klaus Welzel
Heidelberg. Alles begann am 23. Mai 1618 in Prag. Böhmische Adlige warfen drei katholische Repräsentanten in den Burggraben. Einfach so. Das wertet man gemeinhin als den Auslöser des Dreißigjährigen Kriegs. Ein Krieg, der das Zentrum Europas verwüstete, der hauptsächlich auf deutschem Boden ausgetragen wurde und der sich als traumatische Katastrophe ins Gedächtnis der Menschen brannte. Und Schuld daran war ein Mann. Irgendwie. Zwar nicht allein. Aber ohne seine Leichtfertigkeit wäre womöglich alles anders gekommen.
Winterkönig nannten sie ihn spöttisch. Weil er nur ein knappes Jahr lang regierte. Ach, was heißt regieren. Kein Geld in der Staatskasse, keine richtige Armee. Ein Trauerspiel war’s, nachdem Friedrich V. am 31. Oktober 1619 seinen Sitz vom provinziellen Heidelberg ins weltstädtische Prag verlegte. Die Burg war frei. Der Adel suchte einen König. Friedrich schlug ein. Ein Fehler.
Wobei: Der Einmarsch mit 153 Wagen und 568 Begleitern wurde erst einmal als triumphal beschrieben. Doch schon bald begannen die Streitereien. Friedrich brachte ausschließlich seine Gefolgsleute in die Schlüsselstellungen am Hof. Schließlich war er jetzt böhmischer König. Der Landadel fühlte sich übergangen, dabei hatte er doch Friedrich die Krone angeboten. Die Missgunst kroch in die Burg.
Das ist alles deshalb wichtig, weil der Kaiser versuchte, Friedrich wieder in seine Schranken zu weisen. Der widerstand, hatte aber zu wenige Verbündete. Das Gemetzel begann. Es ist müßig, zu streiten, ob denn nun Bayern mehr zerstört worden war oder der Norden Deutschlands. Fakt bleibt aber, dass die Kurpfalz danach eine andere war. Nahezu bedeutungslos. Gedemütigt. Gebrandschatzt und sturmreif geschossen für folgende Kriege. Doch der Reihe nach.
Europa war bereits im 16. Jahrhundert konfessionell tief gespalten. Der Augsburger Religionsfrieden von 1555 verschaffte für 60 Jahre Stabilität. Hätte Maximilian I. von Bayern 1607 nicht Donauwörth überfallen - der Augsburger Frieden hätte vielleicht gehalten. Doch daraufhin gründete sich die protestantische Union, der die calvinistische Kurpfalz vorstand. Und im Gegenzug schmiedete Maximilian die katholische Liga - unterstützt von Spanien. Zwei unversöhnliche Fronten standen parat.
Friedrich war damals noch ein Kind. Aufgrund der französischen Verwandtschaft seiner Mutter genoss der Kurpfälzer eine umfassende Ausbildung in calvinistischer Theologie und Französisch am Hof von Sedan. 13-jährig kam er nach Heidelberg zurück.
Der Grund für die Rückkehr war traurig: Friedrichs Vater starb im Alter von erst 34 Jahren aufgrund seines "ausschweifenden Lebenswandels". Ein Vormund übernahm die Regierungsgeschäfte, bis Friedrich 1614 das 18. Lebensjahr erreichte und volljährig wurde. Eigentlich hätte ab da Vieles gut werden können. Denn Friedrich galt als geistreich, gebildet, den Menschen zugewandt.
Doch kurz nach seinem Regierungsantritt erlitt der junge Kurfürst bei einem Treffen der protestantischen Union in Heidelberg einen Fieberanfall, dem er fast erlag. Das veränderte Friedrichs Persönlichkeit radikal. Kraftlos wurde er. Schläfrig. Melancholisch. Depressiv.
Von da an vertraute er nur noch dem umtriebigen Christian I. von Anhalt-Bernburg, der von nun an die Geschicke der Kurpfalz lenkte. Für vier Jahre, an deren Ende Friedrich den Fehler begann und von den aufständischen protestantischen Adligen in Böhmen die Krone annahm.
Alle waren dagegen gewesen. Alle, die ihn schützen wollten. Sein Schwiegervater, Jakob I., König von England. Die Mehrheit der protestantischen Union. Doch Christian riet zum Griff nach der Macht. Zum einen, um eine "Verschwörung der Jesuiten" zu unterlaufen - zum anderen, um den Protestantismus zu stärken. Eine unglückliche Rolle spielte auch Friedrichs Hofprediger Abraham Scultetus. Noch jemand riet zu: Friedrichs hübsche junge Frau, Elisabeth Stuart von England, die Heidelberg nicht als adäquaten Ort für ihr weiteres Leben sah.
So deutete es Friedrich Schiller in seinem großen Werk über den Dreißigjährigen Krieg. Der schönen Elisabeth legt der Dichter in den Mund: "Konntest Du dich vermessen, die Hand einer Königstochter anzunehmen, und dir bangt vor einer Krone, die man freiwillig dir entgegenbringt? Ich will lieber Brod essen an deiner königlichen Tafel, als an deinem kurfürstlichen Tische schwelgen". Gut gedichtet. Aber wahr?
Jedenfalls ließ sich Friedrich auf das "böhmische Abenteuer" ein und bezahlte dafür teuer. Die Böhmer hatten zuvor etliche andere Kurfürsten gefragt, ob sie nicht ihr Herrscher werden wollten. Denn nach dem Fenstersturz war das Tischtuch mit den katholischen Habsburgern gründlich zerschnitten. Alle lehnten ab. Aus Angst vor dem Kaiser.
Zu Recht, wie sich zeigten sollte. Denn schon im März 1620 stellte der Kaiser Ferdinand II. dem rebellischen Friedrich ein Ultimatum. Der weigerte sich zurückzutreten, erhöhte massiv die Steuern, um ein Heer aufzubauen, ließ zwei Tonnen Gold von Heidelberg nach Prag schaffen (wodurch die Kurpfalz zahlungsunfähig war) und kassierte eine Absage nach der anderen. Jakob I., sein Schwiegervater, verweigerte jegliche Unterstützung, die protestantische Union zog ihre Truppen aus der Pfalz ab.
Der Krieg begann. Maximilian von Bayern marschierte in Absprache mit Kaiser Ferdinand II. mit 25.000 Mann los. Dann setzte Generalleutnant Spinola aus den spanischen Niederlanden ein ebensogroßes Heer in Bewegung. Es ging in die Kurpfalz. Am 10. September 1620 fiel Kreuznach, am 14. Oppenheim. Friedrich versuchte derweil, im November mit einem Heer aus 15.000 zusammengewürfelten Soldaten Böhmen zu verteidigen. Sein Heer wurde von Maximilians Truppen bei der Schlachten am Weißen Berg vernichtend geschlagen und löste sich auf.
Friedrich trat die Flucht an - kreuz und quer: Calais, Paris, dann Heidelberg, um noch einmal Akten und Wertgegenstände zu sichern. Doch es war vorbei. Friedrichs Statthalter in Heidelberg dankte ab. Die Kämpfe gingen weiter - zugunsten der Katholiken. General Tilly wurde dann zwar einmal in Mingolsheim geschlagen (die protestantischen Söldner hatten die Stadt angezündet und den nachrückenden Tilly in die Mangel genommen), doch am 6. Mai wendete sich bei Wimpfen das Blatt endgültig. Die Kurpfalz brannte. Heidelberg fiel nach elftägiger Belagerung durch Tillys Truppen.
Es war ein Blutbad. Am 16. September 1622 drangen Tillys Soldaten in die Stadt ein. Für die Einwohner begann eine dreitägige "Orgie von Mord, Schändung und Plünderung". In einem zeitgenössischen Bericht ist die Rede von einem "jämmerlichen Zetergeschrei durch Massakrieren, Plündern und Geldherausmartern mit Däumeln, Knebeln, Prügeln, Peinigen, Nägelbohren, Sengen an heimlichen Orten, Aufhenken, Brennen an den Fußsohlen, mit Schänd- und Wegführung der Frauen und Jungfrauen". So war das, wenn die Soldaten ihren Sold eintrieben. Weiter ging’s nach Mannheim, das am 2. November 1622 fiel. Die Torturen nahmen kein Ende.
Friedrich war endgültig entmachtet. Der Kaiser hatte über ihn die Acht verhängt. Der Kurhut, der zur Wahl des Königs berechtigte, ging als Kriegsbeute an Maximilian nach Bayern. Dort blieb er auch - denn beim Westfälischen Frieden 1648 wurde der Kurpfalz lediglich eine achte Kurwürde zugesagt, die weit weniger bedeutend war, als die ehemals erste. Die Kurpfalz wurde geteilt. Die Oberpfalz blieb bei Bayern. Der alte Glanz mit Verbindung an die wichtigsten europäischen Höfe - dahin. Friedrich bat den Kaiser 1630 noch einmal um Verzeihung. Vergebens.
Derweil eilte Tilly zehn Jahre lang von Sieg zu Sieg gen Norden, bis er 1631 vom protestantischen Heer Gustav Adolfs von Schweden geschlagen wurde. Friedrich schöpfte in seinem luxuriösen Den Haager Exil Hoffnung. Er reiste nach Mainz ins Lager des Schweden. Doch der wollte das ganze Land für sich, war nur bereit, es als Lehen an Friedrich zu geben. Und während dann der König die Kurpfalz eroberte, starb Friedrich am 29. November 1632 in dessen Lager - an der Pest.
Und die Kurpfalz? Wurde schon drei Jahre später wieder von den Katholiken erobert. Frieden gab es erst 1648 - Zeit für einen Neuanfang.