Von Jan Draeger
Den Polizeidienst hat sie doch nicht hinter sich gelassen. Nach ihrem Ausstieg beim Dortmunder "Tatort" ermittelt Aylin Tezel nun in der ZDF-Miniserie "Unbroken". Ein eindringlicher Krimi, in dem sie als Kommissarin selbst Opfer einer dramatischen Entführung wird. Unser Autor Jan Draeger sprach mit der Schauspielerin über das Glück, das sie beim Tanzen empfindet, darüber, wie sie ihre Angst im Flugzeug bekämpft und was das Wort Instinkt für sie bedeutet.
Frau Tezel, Sie sind nicht immer den geraden Weg gegangen – Schauspielschule haben Sie geschmissen, mit dem "Tatort" aufgehört. Vertrauen Sie auf Ihren Instinkt?
Ich glaube, dass ich viele Entscheidungen instinktiv treffe. Das macht für mich am meisten Sinn. Selbst wenn man rationale Entscheidungen trifft, sollte man im besten Fall an einen Punkt kommen, an dem man sich damit wohl fühlt. Und wohlfühlen kann man sich nur, wenn man etwas macht, was für einen richtig ist.
Wie macht man so Karriere?
(lacht) Ich verstehe das Wort "Karriere", ehrlich gesagt, nicht so richtig. Ich bin ein Mensch, der sich seiner Arbeit hingibt. Sie bereitet mir aber auch auf einem privaten und persönlichen Level viel Freude. Deshalb kann ich das überhaupt nicht auseinander dividieren.
Nehmen wir ein anderes Wort: Mut. Sie sollen einmal gesagt haben: Ich möchte mutig mit dem Leben umgehen – was meinten Sie damit?
Mut gehört auf jeden Fall zu meinen Lieblingswörtern. Es bedarf heute Mut, auf seine innere Stimme, seinen Instinkt zu vertrauen. Unsere Gesellschaft ist doch sehr auf Leistung fokussiert und auf funktionieren. Deswegen finde ich die Corona-Pandemie gerade sehr spannend, weil diese Funktionalität so durcheinander gebracht wird. Viele Menschen entwickeln gerade eine neue Form des Bewusstseins.
Wann waren Sie zum letzten Mal mutig?
Ich bin jetzt gerade mutig, weil ich dieses Interview gebe. Es entspricht eigentlich nicht meinem Naturell, mich so öffentlich zu äußern.
Ihr Vater ist Arzt, ihre Mutter Krankenschwester, haben Sie auch überlegt, etwas mit Medizin zu machen?
Als Kind wollte ich Kinderärztin werden. Das hat aber nicht lange angehalten. Das nächste was kam, war dann tatsächlich ein Interesse am Schauspiel. Kunst war bei uns in der Familie schon ein Thema, aber eher im Hobbybereich.
Was heißt das?
Tanz, Musik, Malerei. Aber es ist natürlich was Anderes, wenn man beruflich den künstlerischen Weg einschlägt. Ich komme ja aus Bielefeld. Eine Stadt, in der man nicht so einfach wie in Berlin, Köln oder Hamburg schon als Kind oder Jugendliche mit Schauspiel, Film und Fernsehen in Berührung kommt. Ich hatte Glück. Ich habe früh angefangen zu tanzen – und hatte daher eine Verbindung zur Bühne.
Gab es einen Aha-Moment, wo Sie sagten: Ich möchte Schauspielerin werden?
Ich war damals in einer Tanzgruppe, mit der haben wir in einem Bielefelder Theater bei einem Musical mitgewirkt: "Black Rider", mit der Musik von Tom Waits. Als ich zum ersten Mal auf der Theaterbühne stand, hat meine Intuition eingesetzt. Ich habe gefühlt: Davon möchte ich mehr machen. Im Endeffekt ist es dann nicht die Bühne geworden, sondern Film und Fernsehen. Aber das "Spielen wollen" ist es geworden und das habe ich damals schon sehr stark in mir gespürt.
Als Jugendliche haben Sie lieber Theaterstücke gelesen als die "Bravo".
Stimmt. Ich mochte besonders das Stück "Undine" von Jean Giraudoux, eine tragische Liebesgeschichte zwischen einer Nixe und einem Ritter. Als Undine habe ich auch an Schauspielschulen vorgesprochen. Als Kind habe ich Märchen geliebt und mir oft selber Geschichten ausgedacht und sie mit Bildern ergänzt.
Welche Werte haben Ihnen Ihre Eltern mitgegeben?
Dass ich meine Mitmenschen respektvoll behandele. Dankbarkeit für kleine Dinge. Und auch Mut.
Mut bedeutetet auch neugierig zu sein.
Ich habe große Freude an allem Neuen. Das Tolle an meinem Beruf ist, dass er mich in Länder und Städte bringt, in denen ich noch nie war. Gerade habe ich einen Kinofilm in Deutschland und Israel gedreht. Diese Neugier auf Menschen und Orte – die ist ein großer Antrieb für mich.
Sie leben ja auch nicht Deutschland, sondern in London.
Ich lebe in Berlin und pendle viel nach London. Ich habe dort eine Agentur als Schauspielerin und auch als Autorin und Regisseurin. Zum anderen habe ich einfach eine Verbindung zu dieser europäisch-englischsprachigen Welt, dazu zählen auch Irland und Schottland. Ich fühle mich da sehr zu Hause.
Fliegen Sie eigentlich in Ihre zweite Heimat – Sie haben doch Flugangst?
Ich unterdrücke sie seit vielen Jahren.
Wie geht das?
Ich habe mir so eine Mischung aus Noch-vor-dem-Start-einzuschlafen-versuchen, zu lesen oder Musik zu hören ausgedacht. Meistens versuche ich, alle drei Sachen gleichzeitig zu machen. Außerdem versuche ich, einfach zu vertrauen. So bekomme ich das hin.
2013 wurden Sie beim Filmfestival "Sehnsüchte" für den Film "Am Himmel der Tag" mit dem Preis für "Bestes Schauspiel" ausgezeichnet. Die Jury lobte Ihren "Mut, sich dieser Rolle schutzlos auszuliefern". Trifft das Ihr Schauspieler-Credo?
Da ist sehr viel Wahres dran. Die Hingabe an eine Rolle ist etwas, das einen verletzlich machen kann. Aber darin liegt für mich auch die Kraft im Moment des Spielens: in der Ehrlichkeit, die dahinter steckt – verbunden mit dem Spaß, sich gleichzeitig überraschen zu lassen.
Sie spielen in dem Sechsteiler "Unbroken" die Kommissarin Alex Enders, die selbst Opfer eines Verbrechens wird. Ihr Baby wird entführt. Kann eine solche Rolle weh tun oder waren Sie da einfach "Schauspielerin"?
Beides. Natürlich beschäftigt eine so schmerzhafte Rolle auch das Unterbewusstsein. Ich bin ja kein Roboter. Am Ende eines Drehtags bin ich dann aber zum Glück der Mensch, der ich wirklich bin, der nichts mit der Rolle zu tun hat.
Wie haben Sie sich vorbereitet?
Mit Kickbox-Training, Stunt-Training und dann auch mit einem Schauspielcoach. Also, gleichermaßen physisch und mental. Eine genaue Vorbereitung ist wichtig, aber trotzdem muss in dem Moment, in dem man spielt, alles möglich sein dürfen. Es kommen viele Energien zusammen, die Energien der Kollegen und die inszenatorische Energie der Regie.
Tanzen hat ja auch mit Energie zu tun. Sie haben mit sechs damit angefangen – Ballett, zeitgenössischer Tanz und Hip-Hop, haben auch eine Tanzpädagogen-Ausbildung gemacht. Was unterscheidet die Tänzerin von der Schauspielerin Aylin Tezel?
Das ist dieselbe Person. Was ja beide Kunstformen vereint, ist, dass man sich mit seinem Körper, mit seiner Stimme ausdrückt und Geschichten erzählt.
Was bedeutet Ihnen Tanzen?
Es macht mich glücklich. Ich habe früher viel Tanz trainiert. Das mache ich inzwischen nicht mehr. Aber es steckt trotzdem noch in mir. Mein Körper tanzt einfach gern. Ich glaube auch nicht, dass ich das jemals aus ihm rauskriegen werde.
Sind Sie auch gut beim Paartanz?
Klar. In meiner Jugend habe ich eine Tanzschule besucht und alle gängigen Paartanz-Richtungen gelernt. Inzwischen bin ich damit extrem eingerostet, aber für Partys reicht es noch.
Führen Sie oder lassen Sie führen?
Beim Paartanz ist es ja nun mal so, dass der Mann führt. Und wenn er gut führt, lasse ich mich auch führen.