Wolfgang Niedecken im Interview

"Papa, du hättest ruhig mal strenger sein können"

BAP-Frontmann Wolfgang Niedecken so persönlich wie selten

23.10.2017 UPDATE: 29.10.2017 06:00 Uhr 4 Minuten, 24 Sekunden

Von Alexander R. Wenisch

Deutschrock-Legende - auf nur wenige passt dieses Emblem so wie auf Wolfgang Niedecken, für sein politisches und gesellschaftliches Engagement bekannt. Nun hat der Kölner ein Album ("Reinrassije Stroßekööter") aufgenommen, auf dem er alte BAP-Songs neu interpretiert - und zwar solche Lieder, die sich mit seinem Familienleben beschäftigen. Grund genug, Niedecken mal nicht zur aktuellen politischen Lage zu befragen, sondern ganz privat über seine Kindheit, das Verhältnis zu seinem Vater und seine eigene Rolle als Bap von vier Pänz.

Wolfgang, welchen Geruch verbindest du mit deiner Kindheit?

Gegorene Milch und Seifenlauge. Kein angenehmer Geruch. Unsere Eltern hatten in Köln einen Lebensmittelladen, da mussten wir alle immer wieder gebrauchte Milchkannen spülen. Ich war vor ein paar Jahren in Uganda unterwegs, da stieg mir in einem Dorf plötzlich dieser Geruch in die Nase - ich wusste, was es war, bevor ich es gesehen habe. Eine Frau saß vor ihrer Hütte und hat Milchkannen gereinigt. Der Geruch meiner Heimat, mitten in Afrika 60 Jahre später.

Hintergrund

Name: Wolfgang Niedecken

Geboren am 30. März 1951 in Köln

Ausbildung: 1962 bis 1970 wohnte Niedecken im Konvikt St. Albert, einem Internat in Rheinbach, und besuchte das Gymnasium. Ohne Abi studierte er ab 1970 freie Malerei an

[+] Lesen Sie mehr

Name: Wolfgang Niedecken

Geboren am 30. März 1951 in Köln

Ausbildung: 1962 bis 1970 wohnte Niedecken im Konvikt St. Albert, einem Internat in Rheinbach, und besuchte das Gymnasium. Ohne Abi studierte er ab 1970 freie Malerei an den Kölner Werkschulen und schloss das Studium 1974 mit dem Examen ab. Niedecken ist bis heute aktiver bildender Künstler.

Musiker: Erste Schülerbands (z.B. "The Convicts", "Troop") in den 60ern. 1976 schrieb er seinen ersten kölschen Songtext; im selben Jahr Proben mit einer noch namenlosen Freizeitcombo, die im Juli 1977 unter ihrem heutigen Namen BAP (Kölsch für "Vater") erstmals auftrat. 1979 Durchbruch gleich mit der ersten LP. Niedeckens Texte sind stark von Bob Dylan geprägt. 25 Alben, 19 in den Top 10, elf Nummer 1 der Charts.

Engagement: Niedecken rockt seit Jahren gegen rechts, setzt sich für ehemalige Kindersoldaten in Afrika ein und ist Botschafter von World Vision. Dafür 2013 Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.

Familie: Erste Ehe mit Frau Carmen (1983- 1992); mittlerweile seit 25 Jahren mit Tina Niedecken verheiratet. Zwei Söhne, Severin und Robin, und zwei Töchter, Jojo und Isis.

[-] Weniger anzeigen

Als Kind in einer ausgebombten Stadt groß zu werden - wie viel Freiheit hattest du da?

Alle Freiheit. Ich bin als "Straßenköter" aufgewachsen. Meine Eltern wussten allerdings immer wo ich war, wenn wir durch die Gassen streunten. Die Südstadt war wie ein Dorf. Als Kind: eine gefühlte Idylle.

Die Eltern mit eigenem Laden. Hatten sie überhaupt Zeit für dich?

Ja, es war immer jemand da, wenn ich jemanden gebraucht habe. Und wenn es Ärger auf der Straße gab, hatte ich direkt eine Armada von weißen Schürzen hinter mir, die mich beschützt hat. Das war großartig. Meine Kindheit war sehr behütet.

Später bist du auf ein Internat gekommen - fühltest du dich abgeschoben?

Nein, aber es war für mich und für die Eltern eine ganz schwere Zeit. Ich sah zwar die Notwendigkeit ein - trotzdem war ich plötzlich aus meiner heilen Familienwelt rausgerissen. Auf der Volksschule war ich immer Klassenbester ohne großartig etwas dafür zu tun. Als ich dann in Köln aufs Gymnasium kam, war es damit vorbei. Meine Eltern konnten mir nicht bei den Hausaufgaben helfen, weil sie beide keine höhere Schule besucht hatten. Also war die Wahl: Entweder kein Gymnasium oder ein Internat mit Dauerbetreuung.

Eine Klosterschule - an der es zu Misshandlungen kam.

Ja. Es gab einen sadistischen Päderasten unter den Patres, der schlug die Schüler und ging ihnen "zum Trost" danach an die Hose. Unter dem Kerl habe ich fast ein Jahr lang gelitten. Irgendwann sah mein Vater, als ich daheim unter der Dusche stand, die Striemen auf meinem Rücken. Und er hat dafür gesorgt, dass der Pater augenblicklich entlassen wurde. Das war das einzige Mal, dass mein Vater wirklich Zivilcourage gezeigt hat, weil er sich für mich eingesetzt hat. Ansonsten war er immer ein angepasster Mitläufer.

Wie würdest du das Verhältnis zu deinem Vater beschreiben?

Bis zur Pubertät war unser Verhältnis großartig. Aber dann habe ich meinen eigenen Kopf entwickelt. Es war die Zeit des Vietnam-Krieges - und ich war politisch in einem total anderen Lager wie er. Bei jeder Gelegenheit habe ich ihm seine frühere NSDAP-Mitgliedschaft unter die Nase gerieben. Das war natürlich unfair und selbstgerecht. Irgendwann war zwischen uns gar kein Gespräch mehr möglich. Alles war gesagt und ich hatte den Eindruck: Was ich auch immer sage, es kommt bei ihm gar nicht an.

Die beiden Töchter Jojo (l.) und Isis.

Konntest du dich vor seinem Tod mit ihm aussprechen?

Nein, dazu ist es nie gekommen. Genau darum geht es ja auch in "Verdamp lang her" - ein Gespräch mit meinem Vater, das so nie stattfand.

Jetzt hast du selbst vier Kinder. Ist es dir gelungen, offener mit ihnen umzugehen als dein eigener Vater mit dir?

Ja, wahrscheinlich viel zu gut. (lacht) Ich habe dermaßen viel Verständnis dafür, wenn sich jemand selbst verwirklichen will, dass ich manchmal denke: Ich habe die Kinder nie darauf vorbereitet, dass das Leben auch schon mal hart sein kann.

Hast du je gezweifelt, ob man in diese Welt Kinder setzen sollte?

Klar. Davon handelt mein Song "Bahnhofskino". Meine erste Frau Carmen war zu der Zeit gerade mit unserem ersten Sohn Severin schwanger. Und kurz vor der Geburt, das war im Herbst 1983, gab es in der Südstadt Krawalle: Rechte Hooligans randalierten vor einem türkischen Lokal. Die Angst, in welche Welt ich meinen Sohn da bringe, habe ich in den albtraumhaften Text gepackt, den ich am nächsten Morgen fast an einem Stück runtergeschrieben habe.

Du hast dich von deiner ersten Frau Carmen getrennt. Wie schwer war es, Kontakt zu deinen beiden Söhnen zu halten?

Das haben wir ganz gut hingekriegt. Aber die Entscheidung zur Trennung, die war schwer. Die Alternative wäre gewesen, wir halten das für die Kinder durch. Aber der Spagat wurde einfach unerträglich. Als wir uns kennengelernt hatten, war ich ein Maler und nebenbei Freizeitmusiker, der am Wochenende durch Kölner Kneipen getingelt ist. Jetzt plötzlich war ich mit BAP ständig unterwegs - und irgendwann war die Stimmung zuhause dermaßen mies, dass ich keine Lust mehr hatte, nach Hause zu kommen. Das war bitter. Wir hatten eine Familie gegründet und das Ding komplett in den Sand gesetzt!

Niedecken mit seinen beiden Söhnen Severin (re.) und Robin.

Und heute hast du kein Problem mehr, abends auf der Bühne bejubelt zu werden und am Morgen daheim die Spülmaschine ausräumen zu müssen?

(Frau Tina lacht im Hintergrund laut auf) Überhaupt kein Problem. Ich bin ein leidenschaftlicher Spülmaschinen-Ausräumer (Tina aus dem Off: "Lügner! Lügner!")

Wann haben deine Kinder aufgehört, dich als Helden zu sehen?

Weiß nicht, ob die mich je als Helden gesehen haben. Die haben alle relativ spät gemerkt, dass ihr Vater einen unkonventionelleren Beruf hat - und dass es bei anderen Eltern eben nicht so ist, dass die ständig mit Foto in der Zeitung oder im Fernsehen sind.

Bist du ein anderer Vater für deine Söhne als für deine Töchter?

Das kann ich so gar nicht sagen. Die Töchter sind ja bei uns aufgewachsen und die Söhne bei Carmen. Wir waren zusammen im Urlaub oder an Wochenenden unterwegs. Was ich aber sehe ist, dass den Jungs in der Pubertät der Mann im Haus gefehlt hat, der Vater, der auch mal sagt: Pass auf, Mann, bis hierher und nicht weiter!

Man kämpft einige Kämpfe mit den Kindern: Worauf hättest du gerne verzichtet?

Auf gar nichts. Die Jungs haben einiges an Unfug angestellt. Aber das haben sie vom Vater geerbt (lacht).

Und - im Rückblick betrachtet - wofür lohnt es sich zu kämpfen?

Da bin ich ein schlechter Ratgeber. Bis heute weiß ich nicht, wie man seine Kinder zum Beispiel dazu bringt, konsequent ein Instrument zu lernen. Schlagzeug, Klavier, Gitarre, egal. Ich habe die Kinder nie zum Üben gezwungen. Gut, wenn du nicht willst, dann lässt du’s eben. Und heute sagen mir meine Töchter, ich hätte ja ruhig mal strenger sein können. Wie mer‘t määt ess et verkeet (lacht).

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.