RNZ-Interview

Das sagt Philosoph Richard David Precht über Hass im Netz

"Ich hoffe einfach, dass sich das irgendwann abnutzt, dass das keiner mehr liest und niemand mehr kommentiert. Ich hoffe, dass Hass im Internet aus der Mode kommt."

16.09.2020 UPDATE: 19.09.2020 06:00 Uhr 3 Minuten, 36 Sekunden
Richart David Precht. Foto: Oliver Berg/dpa​

Von Martin Weber

Richard David Precht ist einer der populärsten Intellektuellen Deutschlands. Seit 2012 moderiert der 55-Jährige im ZDF den Philosophie-Talk "Precht", in dem er sich mit prominenten Gästen über gesellschaftlich relevante Themen unterhält.

In der 50. Ausgabe von "Precht" ist am Sonntag der YouTube-Star Rezo zu Gast. Es geht um das Spannungsfeld von alten und neuen Medien und die Zukunft des Journalismus. Unser Autor Martin Weber sprach mit Precht über die veränderte Debattenkultur der letzten Jahre.

Herr Precht, in der Jubiläumsausgabe von "Precht" unterhalten Sie sich mit dem YouTuber Rezo. Warum haben Sie ihn eingeladen?

Weil es in der Sendung um den Strukturwandel der Öffentlichkeit und um das Verhältnis von alten zu neuen Medien geht. Rezo ist ein Superstar der neuen Medien und deshalb ein hervorragender Repräsentant der ganzen Entwicklung.

Auch interessant
Top Ten: "Zerstörung der CDU" von Rezo erfolgreichstes Youtube-Video
"CDU zu abwehrend reagiert": Merkel kritisiert eigene Partei für Umgang mit Rezo-Video
"Die Zerstörung der CDU": YouTuber Rezo legt Schwächen der Union im Netz-Umgang offen
Über 80 Youtuber mit dabei: Nach Anti-CDU-Video: Rezo legt mit neuem Video nach
Schlagabtausch im Netz: Youtuber polarisiert mit Anti-CDU-Video

Die Sendung wurde bereits aufgezeichnet – wie ist das Gespräch gelaufen?

Wir waren uns einiger, als ich vermutet hatte. Meine Ausgangsfrage an ihn war, ob die sozialen Medien die alten verdrängen werden – und er war zu meiner Überraschung nicht der Ansicht, dass es sich hier um einen Verdrängungswettbewerb handelt, sondern dass die neuen Medien die klassischen ergänzen.

Er hat allerdings auch mal kundgetan, keine Zeitung in die Hand zu nehmen.

Stimmt, aber ob man eine Zeitung in die Hand nimmt oder sie wie er im Internet liest, macht ja eigentlich keinen Unterschied. Rezo informiert sich durchaus auch in Zeitungen und anderen klassischen Medien, in seinem Video "Die Zerstörung der CDU" nimmt er ja häufig darauf Bezug.

Verstehen Sie als Vertreter der alten Medien denn überhaupt alles, was Ihnen Leute wie Rezo erzählen?

Was die Redensarten anbelangt, bin ich sicher nicht immer auf Ballhöhe, die Sprache ist eine andere. Der Hauptunterschied liegt im Stil, da kommt man sich im Gespräch mit Vertretern der neuen Medien tatsächlich manchmal ein bisschen altmodisch vor. Aber inhaltlich habe ich voll und ganz kapiert, worauf Rezo hinauswollte. Ich bilde mir zumindest ein, ihn verstanden zu haben.

Glauben Sie wie er, dass die klassischen Medien eine Zukunft haben?

Daran glaube ich fest. Ich kann mir vorstellen, dass gedruckte Medien aussterben werden, die Tageszeitung zum Beispiel online aber überleben wird. Ich denke auch, dass es das öffentlich-rechtliche Fernsehen noch lange geben wird, wenngleich mit zurückgehenden Zuschauerzahlen.

Sind Sie selber in den sozialen Netzwerken aktiv?

Kaum. Ich selber habe weder einen Twitter- noch einen Instagram-Account, es gibt nur eine von meinem Verlag betreute Facebook-Seite, mit der ich persönlich auch nur wenig zu tun habe. Ich fremdle nicht mit diesen Medien, habe aber schlichtweg keine Zeit für sie. Ich habe ja anderweitig jede Möglichkeit, meine Meinung loszuwerden, da muss ich nicht auch noch twittern.

Sie gehören also nicht zu denen, die ständig aufs Smartphone starren, wenn man sich mit ihnen unterhält.

Nein, denn wenn ich so einer wäre, könnte ich nicht jedes Jahr 500 Seiten schreiben und zwischen 50 und 100 Vorträge halten. Irgendwo müssen ja die Energie und die Konzentration herkommen, und die kommen bei mir nur zustande, weil ich die sozialen Medien nur sehr eingeschränkt nutze.

Hintergrund

BIOGRAFIE

Name: Richard David Precht

Geboren am 8. Dezember 1964 in Solingen.

Aufgewachsen ist Precht in einer stark links orientierten Familie. Der Vater war Designer, die Mutter

[+] Lesen Sie mehr

BIOGRAFIE

Name: Richard David Precht

Geboren am 8. Dezember 1964 in Solingen.

Aufgewachsen ist Precht in einer stark links orientierten Familie. Der Vater war Designer, die Mutter engagierte sich bei Terre des Hommes. Precht hat vier Geschwister; zwei davon hatten die Eltern 1969 und 1972 aus Vietnam adoptiert, als Zeichen des Protests gegen den Vietnamkrieg.

Ausbildung: Nach Abi 1984 und Zivildienst ein Studium der Philosophie, Germanistik und Kunstgeschichte in Köln, 1994 Promotion in Germanistik. In seiner Dissertation untersuchte er die "gleitende Logik der Seele" in Robert Musils "Der Mann ohne Eigenschaften".

Autor: Erste Bücher "Das Schiff im Noor/Die Instrumente des Herrn Jörgensen" (1999) oder "Die Kosmonauten" (2002); Durchbruch mit dem Philosophie-Bestseller "Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?" (2007). Es folgen weitere Bücher zu philosophischen Fragen, aber auch zu Themen wie der Krise des Bildungssystems oder den Auswirkungen der digitalen Revolution auf die Arbeitswelt.

Privat: Precht wohnt in Düsseldorf. Er war mit der luxemburgischen Fernsehmoderatorin und stellvertretenden Chefredakteurin von RTL Télé Lëtzebuerg, Caroline Mart, verheiratet. Die Ehe wurde geschieden. Precht hat aus einer früheren Beziehung einen Sohn. (lex)

[-] Weniger anzeigen

Ärgert es Sie, wenn andere im persönlichen Gespräch auf ihr Handy glotzen?

Absolut, ich empfinde das als unhöflich. Zum Glück passiert mir das nicht häufig, in meinem privaten Umfeld so gut wie gar nicht. Es hält sich auch bei meinem 17-jährigen Sohn in Grenzen. Die Realität ist schließlich immer noch aufregender als das, was im Netz passiert.

Was lässt sich gegen den ganzen Hass tun, der sich im Netz ausbreitet?

Ich hoffe einfach, dass sich das irgendwann abnutzt, dass das keiner mehr liest und niemand mehr kommentiert. Ich hoffe, dass Hass im Internet aus der Mode kommt, wenn Sie so wollen. Wenn die ständige Kommentierung den Leuten langweilig wird, verschwindet auch der Hass.

In Ihrer Sendung wird seit 2012 der Diskurs gepflegt, Sie setzen sich jeweils mit einem Gast auseinander. Welche der 50 Gesprächspartner waren die spannendsten?

Die spannendsten Gesprächspartner sind immer die, die mich überraschen. Der Filmemacher und Philosoph Alexander Kluge war so einer. Kluge ist ein derart schillernder Kopf mit einem so unglaublichen Repertoire, dass ich die Sendung mit ihm unheimlich genossen und auch als sehr anspruchsvoll empfunden habe. Es ging damals um die Komplexität der heutigen Lebenswelt und wir haben über alle möglichen Dinge geredet. Es wurde ein richtiges Gespräch mit lauter kleinen Höhepunkten, Kluge sitzt ja auch der Schalk im Nacken.

Können Sie auch einen Gast nennen, bei dem es nicht so gut geklappt hat?

Nein, weil ich den oder die nicht diskreditieren will. Aber ich kann Ihnen versichern, dass es in 50 Sendungen keine einzige Ausgabe gab, die wir als verunglückt empfunden haben.

Wie beurteilen Sie den Zustand unserer Debattenkultur insgesamt?

Kurz gesagt: Zu viel Gefühl, zu wenig Argument. Jeder, der irgendwas empfindet oder irgendwas meint, bringt das sofort ungefiltert in die öffentliche Debatte ein, und das oft so, als ob er nie in die Schule gegangen wäre und das Argumentieren gelernt hätte. Viele Menschen verlassen sich immer weniger auf das, was sie hören, dazu gehören Argumente, und immer mehr auf das, was sie fühlen. Das gilt für alle Themen, von Flüchtlingskrise bis Corona.

Wie sind Sie denn bislang durch die Coronakrise gekommen?

Ich habe das Glück gehabt, dass keiner meiner Lieben an Covid-19 erkrankt ist. Es sind für mich zwar Lesungen und andere Veranstaltungen ausgefallen, aber ich habe dafür mehr Zeit zum Schreiben meiner Bücher gehabt.

Viele sagen, Corona sei eine Zeitenwende. Was sagen Sie dazu?

Ich teile diese Ansicht nicht. Es sieht danach aus, dass es irgendwann einen Impfstoff gibt und wir auf den alten Stand zurückkehren werden. Das ist zum einen gut und zum anderen schlecht, weil ich mir gewünscht hätte, dass wir in der Klima- und Umweltpolitik weitreichendere Konsequenzen ziehen.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.