Von Heiko P. WAcker
Die Zukunft begann in Heidelberg am 5. September 2019 – nur hat das kaum einer gemerkt. Genau um 9.17 Uhr wurde an der Speyerer Straße, der großen Ausfallstraße zwischen Bahnhof und Autobahn, das erste Auto mit Wasserstoff betankt. Jenem Treibstoff, dem Experten eine Erfolgsgeschichte voraussagen, wie sie der Diesel vor dem Schummelskandal hatte. Mitte kommender Woche wird die H2-Tanke nun offiziell in Betrieb genommen. Grund genug, sich die moderne Technik ein wenig genauer anzuschauen.
Hyundai hat schon mal das richtige Vehikel für die Zukunft parat: Mattsilbern glänzt der Nexo in der fahlen Wintersonne, die vier Türgriffe fahren elektrisch aus den glatten Flanken. Der futuristische Eindruck setzt sich im Inneren fort, alleine schon die mit flachen Bedienknöpfen regelrecht zugeschüttete Mittelkonsole verströmt die Aura eines Raumschiffs. Nur zündet auf Knopfdruck nicht das akustische Inferno einer durchstartenden Rakete. Unsere Probefahrt durch die Rhein-Neckar-Region begleitet lediglich das leise Surren eines E-Antriebs.
Denn jedes Brennstoffzellenfahrzeug ist im Grunde seiner Seele ein Elektroauto, in dessen Gebälk statt schwerer Batterien besagte Brennstoffzelle steckt. Das Prinzip ist recht einfach und baut auf zwei Elektroden auf sowie dem trennenden Elektrolyten in der Mitte.
Strömen nun auf der einen Seite Wasserstoff (H) und auf der anderen Sauerstoff (O) in das System, dann wird der Wasserstoff in seine Bestandteile aufgeteilt: zwei Elektronen und zwei Protonen. Die Protonen gelangen durch den Elektrolyten auf die Sauerstoffseite. Die Elektronen müssen den Umweg über den Stromkreis nehmen, um zur Sauerstoffseite zu gelangen. Damit entsteht eine Spannung, die sich steigern lässt, stapelt man viele solcher Brennstoffzellen. Als Abgas entsteht: Wasserdampf.
Der Nexo führt maximal 6,33 Kilo, auf 700 bar komprimierten Wasserstoff mit. Das entspricht 156,6 Litern des farblosen Gases. Die Tanks stehen also enorm unter Druck und müssen entsprechend solide gebaut sein. Im H-Koreaner stecken drei feuerresistent ummantelte Glasfaser-Behälter mit einer Wandstärke von viereinhalb Zentimetern, ein Rahmenprofil schützt die um die Hinterachse gruppierten Behälter zusätzlich.
Der Erfolg der Brennstoffzelle wird vor allem davon abhängen, wie "grün" die zur Herstellung benötigte Energie ist. Stellt sich die Frage: Wo kommt der Wasserstoff her? Aktuell werden 80 Prozent aus Erdgas gewonnen, also noch immer aus einer fossilen Energiequelle. Allerdings fällt knapp ein Drittel davon ohnehin als Nebenprodukt der chemischen Industrie an – und bliebe ansonsten ungenutzt. Nur 20 Prozent ist "grüner Wasserstoff", hergestellt beispielsweise aus Biomethan, das beim Zersetzen von organischem Material entsteht, berichtet Sybille Riepe von H2 Mobility.
Dies ist ein Zusammenschluss verschiedener Gaslieferanten, Ölkonzerne und Autobauern, die sich vor fünf Jahren verpflichtet haben, in Deutschland eine Wasserstoff-Infrastruktur für Pkw zu stemmen. 2015 wurde in Wuppertal die erste Station eingeweiht – bis Mitte 2020 sollen es derer 100 sein, ist Riepe zuversichtlich. H2-Zapfsäulen stehen bereits in Hirschberg, Karlsruhe und Bad Rappenau. Jetzt ergänzt Heidelberg das neue Netz.
Deren Start verzögerte sich zuletzt immer wieder. Grund: die Stromversorgung. Denn an der Tankstelle wird der Wasserstoff in Hochdrucktanks bei 45 bar gelagert. Beim Tanken wird das Gas auf 700 bar komprimiert, was eben Strom benötigt. Und auch hier kann man schauen, woher dieser kommt – aus Kohle, aus dem AKW oder von Sonne und Wind? –, um zu bewerten, wie "sauber" ein Antrieb am Ende tatsächlich ist.
Im Inneren des Nexos herrscht die Aura eines Raumschiffs. Foto: Sylvia MutterWasserstoff als hervorragender Energieträger – darüber grübelte schon der britische Physiker Sir William Grove nach. 1839 präsentierte er seine Idee, die Oxidation von Wasserstoff und Sauerstoff zur Energiegewinnung zu nutzen. Nichts anderes geschieht ja im Kern einer Brennstoffzelle, wie sie auch im Nexo steckt. Wobei man ehrlicherweise von 444 Zellen sprechen müsste, die die eigentliche Energie erzeugen, die vom E-Motor in Schub umgewandelt wird. Zusätzlich steckt noch eine Hochvolt-Batterie mit 1,56 Kilowattstunden als Strompuffer unterm Kofferraumboden.
Der schick designte SUV ist übrigens schon der zweite H2-Serien-Hyundai und Nachfolger des ix35: Die Marke forscht seit 1998 am Thema. Und das spürt man, rollt man im 4,67 Meter langen Nexo durch die Lande. Die Innenraumabmessungen sind opulent, das Ambiente ist vor allem durch das empfehlenswerte Panoramadach sehr hell, der Kofferraum fasst trotz der H2-Tanks bis zu 1466 Liter. Alltagstauglichkeit in einem Raumschiff? Warum nicht! Nur die Beschriftung der Tasten in der Mittelkonsole könnte deutlicher ausfallen.
Verschmerzbar. Denn im Nexo kommt die Zukunft cool daher. Lässig dirigiert man durch den Verkehr, wobei der Wagen in Sachen Beschleunigung keinem "normalen" E-Auto nachsteht: Den Spurt auf die 100 absolviert er mit 163 PS in 9,2 Sekunden, den Durchzug von 80 auf 120 meistert der bei 177 Stundenkilometer abgeregelte Wagen in 7,1 Sekunden. Indes wird man gar nicht zum Rasen verleitet, dafür ist der Charakter des Nexo zu souverän. Der Preis aber hat es derzeit in sich: Den Nexo gibt es ab 69.000 Euro.
Via Display ist man stets über den Verbrauch informiert. Der lag bei unseren Testrunden rund um Heidelberg im Schnitt bei einem Kilo H2. Der aktuelle Preis liegt bei 9,50 Euro je Kilo. Hört sich viel an? Ja nun, das entspricht rund sieben Litern Super, einen Literpreis von 1,35 Euro angenommen. Die Reichweite liegt theoretisch bei 756 Kilometern – wobei es sich nicht empfiehlt, den Nexo leer zu fahren, denn einen Reservekanister für Wasserstoff gibt es nicht. Man fährt also besser regelmäßig an die nächste H2-Säule; die Entfernung zu dieser wird stets nebst Himmelsrichtung im Display angezeigt. Das beruhigt. Ob die aber auch geöffnet hat, sollte man über eine entsprechende App checken.
Sehr einfach ist dann das Tanken selbst; das Freischalten via Karte ist noch der komplizierteste Teil. Ist dies absolviert: Tankklappe öffnen, Schutzkappe abziehen, Zapfpistole einrasten und Knöpfchen drücken. Das Zischen verrät, dass der Wasserstoff eingepumpt wird: Ist der Tank voll, stoppt der Vorgang automatisch, dann erlischt das grüne Licht an der Säule. Sprittanken dauert nicht länger, stinkt aber mehr.
Der Wasserstoff wird ungewohnt in Kilo abgerechnet. Foto: WackerDie Produktion des Wasserstoffs wird seit 2013 im Emsland im großen Stil erprobt: Im Städtchen Werlte realisierte Audi die weltweit erste industrielle Power-to-Gas-Anlage, mit der große Energiemengen aus Wind- und Solarstrom in Gas umgewandelt werden können. Doch wie so oft steckt der Teufel im Detail, genauer: im Stromnetz, in dem es zu gewaltigen Schwankungen kommen kann. Denn an manchen Tagen wird die Megawattstunde für über hundert Euro gehandelt. Und manchmal lässt ein Sturmtief die Windräder gerade dann rotieren, wenn am Freitagabend weder Gewerbe noch Privathaushalte groß Bedarf haben – und plötzlich rutscht der Strompreis ins Minus. Der Traum eines jeden Hausbesitzers: Man bekommt Geld, wenn man Strom abnimmt, denn das dient letztlich auch der Stabilisierung der Netze.
Diesen überschüssigen Strom aus dem Netz nutzen in Werlte drei Elektrolyseure, groß wie Reisebusse, um reines Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff aufzuspalten. Der Sauerstoff wird an die Umgebung abgegeben, der "grüne" Wasserstoff wird mit dem Kohlendioxid einer benachbarten Biogasanlage zu Methan verarbeitet. Dieses wird schließlich ins Erdgas-Netz eingespeist. Und aus diesem bedient sich nun nicht nur die Gasheizung im Keller, sondern auch jedes CNG- oder Erdgas-Auto. Man sieht: Je mehr man sich mit alternativen Antrieben beschäftigt, desto vielschichtiger wird das Thema.
Wasserstoff wird auch deshalb als Zukunftstechnologie gehandelt, weil man ihr – anders als bei einem reinen Batteriebetrieb – zutraut, auch schwere Nutzfahrzeuge in Fahrt zu bringen. Bereits im April ging Hyundai eine Kooperation mit einem Unternehmen aus der Schweiz ein, um Lkw mit Brennstoffzellen auf die Piste zu bringen, von 1600 Fahrzeugen ist die Rede. Und selbst auf der Schiene funktioniert die Technik: Bereits seit September 2018 pendelte in Niedersachsen ein Brennstoffzellenzug des französischen Herstellers Alstom.
So weit ist man in Heidelberg noch nicht. Hier rollen momentan (privat und öffentlich) 340 batterieelektrische Fahrzeuge und sieben Brennstoffzellen-Pkw – vier davon im stätischen Betrieb. Bis 2022, so die Stadt, sollen es 30 H2-Fahrzeuge sein. Hier setzt das Rathaus darauf, dass gewerbliche Flottenbetreiber, Taxiunternehmer, Autohäuser oder Car-Sharing-Anbieter mit einsteigen. In diesem Jahr soll zudem erstmals ein Mülllaster mit Brennstoffzelle im Stadtgebiet getestet werden.
Privatleute wiederum unterstützt die Stadt beim Kauf von H2-Neuwagen mit maximal 10.000 Euro – die Förderrichtlinien werden im Gemeinderat derzeit aber neu debattiert.
Info: Wir bedanken uns bei der Marke Hyundai sowie beim "Autohaus Dechent" (Speyerer Straße 11, 69115 Heidelberg, www.dechent.de) für die Unterstützung.