Jan Draeger
Auch für Doris Dörrie wird dieses Weihnachtsfest anders werden als alle Weihnachten zuvor. Denn ihr großes Essen mit den Verwandten fällt aus. Coronabedingt. Trotzdem sollen ihre Feiertage besinnlich werden und zum Nachdenken anregen. Im Gespräch mit unserem Autor Jan Draeger plädiert die Regisseurin und Schriftstellerin dafür, die weihnachtlichen Erwartungen herunterzuschrauben, schlägt ein gemeinsames festliches Kochen vor – und empfiehlt gegen miese Laune einen Granatapfel.
Autorin und Filmemacherin Doris DörrieFrau Dörrie, Sie schwärmen in Ihrem neuen Buch "Die Welt auf dem Teller" von Tofu. Taugt Tofu zu einem Weihnachtsessen?
(lacht) Tofu und Weihnachten bringen wir nicht zusammen. Da sind wir doch zu sehr in unseren Esstraditionen verwurzelt. Ganz für mich allein könnte ich Weihnachten Tofu essen. Aber zum Essen gehört auch, dass wir zusammen kommen. Und da würde es einigen Familienmitgliedern sehr schwer fallen, Tofu mit Weihnachten zu verbinden.
Was kommt bei Ihnen Weihnachten auf den Tisch?
Normalerweise der legendäre Gänsebraten nach einem Rezept meiner Mutter. Mit Reis, Kartoffelsalat, Erbsen, Möhren und dem Füllsel. Weihnachten kamen bei uns immer so viele Verwandte zusammen, dass das Essen zu einer Schlacht wurde. Danach war man tagelang komplett erschöpft. Dieses Jahr wird unser Gänseessen aber wegen Corona leider ausfallen.
Was gibt es dafür dieses Jahr?
Keine Ahnung. In Gedanken versuche ich, nicht zu enttäuscht zu sein und das möglich zu machen, was möglich ist. Aber auch nichts zu forcieren.
Kommt Ihre Tochter zu Weihnachten?
Sicherlich nicht. Sie lebt in Schottland. Flugreisen scheinen uns im Moment nicht angebracht.
Vermisst Ihre Tochter das Weihnachten zu Hause?
Bestimmt. Ich vermisse sie ja auch.
Schenken Sie sich was?
Dieses Jahr haben wir uns alle darauf geeinigt, uns nichts zu schenken. Das einzige, was wir uns wirklich schenken möchten, ist Zusammensein. Dafür müssen wir kreativ sein. Vielleicht auch Zoom-Weihnachten feiern oder lange telefonieren.
Weihnachten ist auch das Fest der großen Erwartungen: die Geschenke, die Stimmung in der Familie – und das alles kann auch schiefgehen. Könnte Essen die Situation retten?
Natürlich. Ich erinnere mich noch gut daran, wie mein Vater mit einem Lötkolben an den Gänsen hantierte, weil die partout nicht knusprig werden wollten. Hat auch funktioniert. Er hat das gemacht, um unsere Erwartungen nicht zu enttäuschen. Aber ich glaube, dass unsere derzeitige Situation ein ganz gutes Training dafür ist, nicht zu viel Erwartungen zu haben. Erwartungen werden eben auch oft enttäuscht. Und die mal herunterzuschrauben, tut uns vielleicht gut.
Wie wichtig ist dabei ein gutes Essen?
Ich würde davor warnen, große Experimente zu machen. Etwa zu versuchen, das Drei-Sterne-Weihnachtsmenü zu kochen. Wenn es nur wenige sind, kann man doch auch zusammen kochen. Aber was wichtig ist: möglichst lässig bleiben!
Der Mann an Ihrer Seite – muss der kochen können?
Er sollte auf jeden Fall Spaß am Essen haben. Ich habe einen, der sehr gern isst und auch sehr gut kocht. Ich könnte es nur ganz schwer mit einem Mann aushalten, der ausschließlich Salat essen will.
Welcher Mann hat Sie am besten bekocht?
Mein jetziger. Er kann erstaunlich viel in alle Richtungen kochen: Szegediner Gulasch, aber auch thailändisches Huhn oder ein Curry.
Ich esse am liebsten in der Küche. Geht Ihnen das auch so?
Ja, obwohl wir dort nur einen sehr kleinen Tisch haben. Da wo der Herd ist, wo es warm ist, bleiben wir gerne hocken. Das ist ein Urinstinkt.
Wer räumt bei Ihnen nach dem Essen auf?
Das machen wir immer zusammen. Darüber darf nicht diskutiert werden. Das muss endlich, endlich gleichberechtigt funktionieren.
Was machen Sie nicht so gern in der Küche?
Ich kratze nicht gern Töpfe aus.
In Ihrem Buch beschreiben Sie auch Geräusche, die beim Essen entstehen. Zum Beispiel das Reinbeißen in ein knackiges Brötchen. Welche Geräusche verbinden Sie noch mit Essen?
In Japan gehört das Schlürfen dazu. Man muss schlürfen, wenn man eine Suppe isst. Was bei uns als sehr unfein gilt, ist dort Bedingung. Es heißt, dass durch das Schlürfen die Suppe abgekühlt wird. Mir fällt das schwer. Ich bin einfach anders erzogen.
Wie wichtig sind Ihnen Tischmanieren?
Meine Familie lacht mich manchmal aus, weil ich immer wieder darauf hinweise.
Auf was legen Sie besonderen Wert?
Dass man zum Beispiel nicht den Ellbogen auf den Tisch legt. Oder die Gabel wie eine Axt anfasst.
Darf man vom Teller der anderen probieren?
Das sollte man natürlich nicht tun, doch ich mache es sehr oft. Vor allem im Restaurant habe ich immer das Gefühl, dass das, was der andere bestellt hat, viel besser ist. Das ist fast ein Naturgesetz.
Wie sagt man es seinem Gegenüber, dass er Petersilie zwischen den Zähnen hat?
Indem man es einfach sagt. Macht doch nichts.
Und wenn man in einer besonders vornehmen Runde sitzt?
Ich würde auf meine Zähne deuten und das versteht der andere meistens sofort.
Was würden Sie nicht essen?
Hirn und auch Kutteln nicht so gern, obwohl die ganz gut gemacht sein können. Bei Fleisch bin ich überhaupt zurückhaltend. Als meine Tochter noch klein war, hat sie bei jedem Stück Fleisch auf dem Teller gefragt: Was war das vorher? Damit hat sie den Kontext hergestellt, und der ist wichtig. Er beinhaltet oft Leiden, und das vergessen wir gar zu gern. Mir selber ist Gemüse immer viel wichtiger gewesen.
Könnten Sie ganz auf Fleisch verzichten?
Wenn ich allein bin, tue ich das komplett. Wenn aber die Familie zusammenkommt, versuche ich, auf die Bedürfnisse von allen einzugehen, und dann gibt es auch Fleisch. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu dogmatisch werden. Denn der Mensch ist ja ein Allesfresser.
Werden Sie für dieses Weihnachten vielleicht ein Rezept im Internet suchen oder haben Sie ein spezielles, eigenes Kochbuch?
Ich habe viele Kochbücher. Aber es gibt nur sehr wenige Rezepte, die ich häufiger koche. Auf was ich allerdings schwöre, ist die New York Times Cooking App.
Was hat Sie da zuletzt zum Kochen angeregt?
Eine Melanzane, das ist ein Gemüseauflauf. Das Tolle an dieser Cooking App ist, dass es verschiedene Rezepte für ein Gericht gibt.
Welches Essen ist für Sie der größte Genuss?
Ein richtig gutes Brot mit Butter und Schnittlauch.
Sie lieben doch besonders die japanische Küche. Quallen gelten dort als Delikatesse. Haben Sie die schon mal probiert?
Ja, aber ich habe nicht gewusst, dass es Quallen sind. Die schmecken so ähnlich wie Algen. Ist aber nicht so der Hit.
Fanden Sie es eigenartig?
Nö, ich bin da ziemlich unempfindlich. Ich esse auch Chapulines in Mexiko.
Chapulines?
Heuschrecken. Insekten sind wahnsinnig gesund. Wir sollten uns schon mal an den Gedanken gewöhnen, dass wir in Zukunft Insekten essen werden. So können wir nämlich die Weltbevölkerung ernähren. Chapulines schmecken gut. Sie werden gegessen wie bei uns Pommes Frites – in der Tüte. Sie sind sehr knusprig. Das einzige Problem ist, dass einem ihre Beinchen manchmal in der Kehle hängen bleiben.
Merkwürdigerweise bekam ich beim Lesen Ihres Buches wieder Appetit auf ein Essen aus meiner Studentenzeit: das Schlemmerfilet aus der Supermarkt-Tiefkühltruhe.
Das Schlemmerfilet! Toll! Aus der Aluschachtel.
Haben Sie auch manchmal darauf wieder Appetit?
In der Zwischenzeit bin ich sehr viel kritischer geworden. Ich würde schon sehr genau hinschauen: Wo kommt der Fisch her? Wie ist er gefangen worden? Erfüllt er die nachhaltigen Kriterien? Ich esse eigentlich so gut wie keine vorgefertigten Gerichte. Aber diese Erinnerungen sind doch herrlich. In Schreib-Workshops, die ich gebe, lasse ich viel über Essen schreiben. Essen ist ein direkter Schlüssel, um an Erinnerungen heranzukommen. Wenn ich Sie jetzt dazu bringen würde, mir über Ihr Lieblingsessen in der Kindheit zu berichten, dann würde sich eine ganze Welt auftun – für Sie, aber auch für mich, wenn Sie mir das erzählen.
Sind Sie lieber Schriftstellerin oder lieber Regisseurin?
Die Kombination ist für mich das Tollste. Dieses Jahr habe ich wieder festgestellt, was es für ein Geschenk ist, dass ich schreiben kann. Schreiben ist eine Tätigkeit, die wir besonders im Moment so einfach ausführen können. Wir brauchen dafür, außer uns selbst, nur einen Stift und ein Stück Papier. Und jeder kann es lernen.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie auf einen halbierten Granatapfel eindreschen. Auch um sich abzureagieren. Können Sie das bitte genauer erklären?
Beim Granatapfel ist ja immer die Frage, wie man die Kerne rauskriegt. Nachdem ich es über lange Zeit mit allem möglichen probiert habe, bin ich nun auf eine Methode gestoßen, die wirklich funktioniert: Man knetet den Granatapfel erst, halbiert ihn dann und schlägt über der Spüle mit einem Kochlöffel auf die Hälfte ein. Die Kerne fallen dadurch von selber raus. Das macht Spaß, kann aber auch ein Ventil für Wut sein. Wenn man will, kann man sich zu Weihnachten beim Eindreschen das Corona-Virus vorstellen.