Das sind die kommenden Ernährungstrends
Klimakrise und Pandemie verändern das Essverhalten maßgeblich: Ernährung wird immer mehr zum Lebensleitbild. Kommen bald maßgeschneiderte Lebensmittel, die mehr können, als nur satt zu machen?

Von Antje Urban
Nudeln hatten über Monate Hochkonjunktur. Während des ersten Lockdowns schien es für die Deutschen das Nahrungsmittel der Wahl oder vielmehr der Not zu sein. Doch daraus zu schließen, bei den Deutschen gäbe es nur Ungesundes – weit gefehlt. Denn gleichzeitig stieg die Nachfrage nach Bio-Produkten und Brotbacken zuhause erlebte einen Boom. Kochbücher und Online-Kochkurse werden mehr gekauft denn je und selbst kreierte Gerichte erhalten neuerdings das Prädikat "Selbstgemacht".
In Zeiten, in denen das Heim kaum noch verlassen wird, es sich zum Büro, zur Schule und zum Fitnessstudio wandelt, bekommt die Ernährung einen neuen Stellenwert.Vor allem aber hat die Pandemie die gesellschaftlichen Erwartungen an Lebensmittel nochmals erhöht. Die aktuelle Trendstudie 2020 der Otto Group zeigt: Für 70 Prozent der Deutschen sind mittlerweile ethische Kriterien fester Bestandteil der Kaufentscheidung. 20 Prozent gaben an, seit Corona noch bewusster nach ethischen Kriterien einzukaufen.
Hintergrund
1. Vegane und pflanzenbasierte Lebensmittel: Der Markt an pflanzenbasierten Fleisch- und Käsealternativen, veganen Snacks und probiotischen Drinks wächst rasant.
2. Klimaneutrale und nachhaltige Ernährung: Eine Ernährungsweise, die geringere Auswirkungen auf die
1. Vegane und pflanzenbasierte Lebensmittel: Der Markt an pflanzenbasierten Fleisch- und Käsealternativen, veganen Snacks und probiotischen Drinks wächst rasant.
2. Klimaneutrale und nachhaltige Ernährung: Eine Ernährungsweise, die geringere Auswirkungen auf die Umwelt hat.
3. "Local Food": Der vermehrte Konsum regionaler Lebensmittel und die Reorientierung an regionalen Speisen und Rezepten sind die Antwort auf die Globalisierung und Anonymisierung der aus aller Welt stammenden Lebensmittel.
4. Personalisierte Lebensmittel: Dabei werden individualisierte Konzepte erstellt, um die Ernährung an persönliche Vorlieben und Bedürfnisse, körperliche Gegebenheiten oder sportliche Ansprüche anzupassen. Supernahrung, Probiotika und andere Gesundheitszusätze werden die Inhaltsstoffe dominieren
5. "Snackification": Der Wandel von einer traditionellen zu einer modernen Esskultur, in der nicht die drei Hauptmahlzeiten den Alltag strukturieren. Stattdessen flexibles und individuelles Snacken.
6. Mehr Frühstück: Immer mehr Menschen arbeiten von zu Hause aus – klassische Frühstücksrezepte werden häufiger und über den Tag gegessen.
7. Kaffee und Koffein: Kaffee gibt es nicht mehr nur in der Tasse, sondern auch immer mehr in Granolas, Smoothies, Joghurts, Riegel und Alkohol.
8. Mobiles und flexibles Take-away: Ghost Kitchens (auch Dark Kitchens) – Restaurantküchen, in denen Speisen zubereitet werden, die aber keinen Gastraum besitzen und nur Außer-Haus liefern. Optimiert mit virtuellen Bestellplattformen, Apps, Mehrwegverpackungen und lokalen Rezepturen.
(Quellen: Lebensmittelhändler Whole Foods, Zukunftsinstitut, Hanni Rützlers Food Report 2021, Trendreport Ernährung 2021 von Nutrition Hub)
Neben den Aspekten des Klimaschutzes und des Tierwohls hat sich die Gesundheit als zentrales Leitbild in unserem Bewusstsein verankert. Dieser Fundamentalwert prägt sämtliche Lebensbereiche, Branchen und Unternehmen. "Und beim Essen geht es längst nicht mehr nur um Nahrungsaufnahme", heißt es beim Zukunftsinstitut. Schon 2017 antworteten bei einer Umfrage der Technikerkrankenkasse auf die Frage "Was ist Ihnen beim Essen am wichtigsten?" 45 Prozent der Befragten mit: "Hauptsache gesund".
Im Gegensatz zu 41 Prozent der Befragten, die die Antwort "Hauptsache lecker" gaben. "Gesundheit" gilt als einer der Megatrends. Die Forscher des Zukunftsinstituts analysieren: "Die Illusion einer Grenze zwischen der Umwelt ’da draußen’ und der eigenen Biologie löst sich auf. Unser Körper ist unsere Nahrung– ist unsere Umwelt – ist unsere Atmosphäre – ist unser Planet. Alles ist eins: Die Gesundheit des Planeten und die Gestaltung unserer Umwelt sind untrennbar verstrickt mit unserer individuellen Gesundheit."
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Unsere Esskultur erlebt schon seit einigen Jahren einen tief greifenden Wandel. "Food-Trends können als Barometer fungieren. An ihnen lassen sich Entwicklungen ablesen, die sich in der Gesellschaft ausbreiten", sagt Expertin Hanni Rützler. In ihrem Food-Report analysiert sie jährlich die wichtigsten Strömungen. Im Zuge der Corona-Krise sieht sie unter anderen den Trend des "Soft Health".
Dieser basiere auf einem ganzheitlicheren Verständnis von Ernährung, nicht mehr primär nährstoff- und kalorienbezogen. "Soft", also sanft, deshalb, weil es hier um Ausgewogenheit, Vielfalt und um Speisen mit einem hohen Anteil an Gemüse, Hülsenfrüchten und Getreideprodukten geht – anstatt Probleme (Zucker, Fett, Salz) in den Vordergrund zu stellen und auf einzelne, als "ungesund" wahrgenommene Lebensmittel und Zusatzstoffe zu fokussieren. Bestätigt wird diese Beobachtung durch den aktuellen Bericht der Gesellschaft für Ernährung. Gemüse liegt demnach mittlerweile am meisten auf den Tellern in Deutschland: 104 Kilo pro Kopf im Jahr, Tendenz steigend.
Auch Hülsenfrüchte stehen in der Gunst der Konsumenten weit oben. Dafür spricht ebenfalls die große Beliebtheit von Gemüsekistenlieferungen von Bio-Bauern und Gärtnereien. "Die Nachfrage ist in Deutschland und Österreich im Zuge der Corona-Krise massiv gestiegen – manche Anbieter sprechen von 50 bis 60 Prozent", sagt Rützler.
Dem Griff zu natürlichen Lebensmitteln steht der Trend zu angereicherten Lebensmitteln entgegen. Auch hier zeigt die Pandemie ihre Wirkung: Nahrungsergänzungsmittel boomen. Ob Vitamine oder Spurenelemente – alles, was auf natürliche Weise das Immunsystem unterstützt, verkauft sich bestens. Superfood, Probiotika oder Omega-3-Fettsäuren stehen ebenfalls hoch im Kurs. Die Deutschen haben mittlerweile verstanden, was Darm, Nerven und Skelett benötigen.
Kein Wunder also, dass der Großhändler "Whole Foods" in seiner jährlichen Vorhersage "Gesundheits- und Wellnesszusätze" als einen der wichtigsten Lebensmitteltrends für 2021 sieht. In den USA sind solche funktionellen Zusätze in Fertiglebensmitteln, wie zum Beispiel Vitamin C oder D, bereits üblich, in Deutschland wird diese Entwicklung jetzt an Fahrt gewinnen. Auf der Webseite von BASF, dem führenden Anbieter von Inhaltsstoffen im Bereich Ernährung, heißt es: "Eine scharfe Trennlinie zwischen Nahrung für die Energiezufuhr und Medikamenten zur Heilung von Krankheiten ist nicht länger relevant."
Und auch aus dem Wunsch der Selbstoptimierung heraus, wird es künftig personalisierte Lebensmittel geben. "Die Idee dahinter ist, anhand einer Genanalyse oder einer Stuhlauswertung eine passende Ernährung zu finden. Mittlerweile gibt es schon viele Start-ups, die dann auf das persönliche Darm-Mikrobiom abgestimmte Lebensmittel empfehlen", erklärt Margareta Büning-Fesel, Leiterin des Bundeszentrum für Ernährung.
Regelmäßig als Trend für die nächste Dekade ausgewiesen wurde die vegane und pflanzenbasierte Ernährung. "Der kritische Blick der Konsumenten auf die Intensiv-Tierhaltung hat sich durch die Covid-19-Ausbrüche in Schlachthäusern verschärft und damit das Bewusstsein für pflanzenbetonte Ernährungsweisen gesteigert", meint Martin Schlatzer, Wissenschaftler an der Uni Wien. Recht gibt den Experten eine aktuelle forsa-Umfrage, der zufolge in Deutschland jeder Zweite (53 Prozent) mittlerweile zumindest manchmal bewusst auf Fleisch verzichtet.
44 Prozent bezeichnen ihre Ernährung als flexitarisch, während sich acht Prozent als vegetarisch und nur ein Prozent als vegan sehen. Dennoch blieb der Fleischverzehr in den letzten Jahren konstant bei rund 60 Kilo pro Kopf. Expertin Büning-Fesel beobachtet allerdings: "Es gibt immer mehr Food Start-ups, die ’auf vegan getrimmte Produkte’ herausbringen, weil sich hier einfach ein sehr lukrativer Markt mit steigender Nachfrage entwickelt."
Neben gesundheitlicher Prävention und optimierter Nahrungszufuhr spielt schon seit geraumer Zeit "Kochen als Ausdruck regionaler Identität" eine Rolle. Statt anonyme Lebensmittel aus der globalisierten Welt, stehen regionale Lebensmittel hoch im Kurs. Diesen Trend haben in den letzten Jahren auch immer mehr Restaurants entdeckt. Der enorm gewachsene Take-away-Markt während der Lockdowns hat auch auf diese Nachfrage reagiert. Verhältnismäßig erfolgreich durch die Krise gekommen sind Gastronomen, die ihre regionalen Produkte verarbeitet in hochwertige Gerichte "to go" anboten.
"Viele Gastronomen sehen in Take Away-Kochboxen, also fast fertige Speisen zum Abholen, die zu Hause nur noch kurz gekocht werden müssen, ein zweites Standbein, das sie auch nach der Pandemie beibehalten wollen. Denn viele Kunden haben das ‚Restaurant-Menü’ für daheim sehr zu schätzen gelernt und wollen es auch in Zukunft nicht mehr missen", ist sich Food-Expertin Rützler sicher.