Ladenburg - Die Zuflucht der Exzellenzen aus Worms
Weil sie mit ihrem Volk zerstritten waren, lebten die Bischöfe von Worms jahrhundertelang in Ladenburg – Ein Kirchenspaziergang

Von Diana Deutsch
Ladenburg. Schöner ist die Welt nie denn im April. Die Sonne strahlt, die Vögel jubeln, das Universum trägt kunterbunt. Der perfekte Zeitpunkt für den vierten RNZ-Kirchenspaziergang. Es geht ins malerische Ladenburg, das jahrhundertelang die Residenz der Bischöfe von Worms war. Die Exzellenzen hinterließen das einzig erhaltene Renaissanceschloss der Region und die gotische Sankt-Gallus-Kirche mit ihren zwei Kathedraltürmen. Zu Besuch in einer heimlichen Bischofsstadt.
Spricht man mit alten Ladenburgern, dann beginnen sie weder mit den Römern noch mit den Bischöfen. Sie beginnen immer - mit Carl Benz. 1885 hatte der Ingenieur in Mannheim das erste Automobil mit 16 Kilometern Höchstgeschwindigkeit gebaut. 1903 war er, inzwischen ein reicher Mann, mit Frau und fünf Kindern nach Ladenburg übersiedelt. Im Garten seiner Villa ließ Benz einen postmittelalterlichen Wehrturm errichten. Unten wohnte das Auto, oben der Ingenieur. Heute ist der Garten ein Park. Hier beginnt der Spaziergang.
Wir überqueren die Neckarstraße und folgen der Bordhofstraße. Sie führt uns zur "Deichwiese". Der Name verrät, dass hier im Mittelalter noch der Neckar floss.
Alle menschliche Kultur ist an Flüssen entstanden. Sie waren Verkehrsweg, Wasserlieferant und Jagdgrund zugleich. Der Name Ladenburg kommt aus dem Keltischen. "Lopa" stand für Fluss, "dunon" für Burg. Die Römer, die 72 in Ladenburg ein Kastell errichteten, machten daraus "Lopodunum". Um 98 avancierte Ladenburg zur "civitas", zur richtigen Römerstadt. Eine Treppe führt an der einstigen Stadtmauer hinauf zum Park des Bischofshofs. Links sieht man, dass die römische Stadt etwa zwei Meter unter dem heutigen Niveau lag.
Mitte des 3. Jahrhunderts war es vorbei mit der römischen Hochkultur. Der Limes fiel, die Alamannen kamen. Die Jupiter-Giganten-Säule vor dem Bischofshof hat ein Römer 233 aus Angst vor den nahenden Horden in einen Brunnen gestürzt. Erst 1973 wurde sie gefunden. Die Aktion war vermutlich übereilt. Zwar konnten die Germanen mit der eleganten Römerstadt wenig anfangen. Sie zerstörten sie aber auch nicht, sondern siedelten draußen vor den Toren. Um 500 schließlich wurde der Lobdengau Teil des fränkischen Reiches. Die Franken waren Christen, Ladenburg avancierte zum Königshof. Weil aber das Frankenreich riesengroß war, konnte der König nur selten vorbeischauen. Dagobert I. "schenkte" die Stadt deshalb 628 dem Bistum Worms.
Das behaupteten zumindest die Wormser Bischöfe. Heute wissen wir, dass die Urkunde gefälscht war. Das Bistum Worms brauchte unbedingt mehr Land, um sich gegen das mächtige Kloster Lorsch zu behaupten. Der Trick hat letztendlich sogar funktioniert. 1011 überschrieb Kaiser Heinrich II. Ladenburg tatsächlich an Bischof Burchard, den Erbauer des Wormser Kaiserdoms.
Das Renaissance-Schlösschen der Bischöfe, heute Sitz des Lobdengau-Museums, stammt aus dem Jahr 1483. Zu dieser Zeit residierten die Wormser Exzellenzen bereits dauerhaft in Ladenburg, weil sie sich mit ihrem Volk bis aufs Blut zerstritten hatten. Die mittelalterliche Verteidigungsanlage verwandelten sie in einen Park bis hinunter zum Neckar, in dem Hirsche und Rehe lebten.
Die Tiere gibt es nicht mehr, aber der Bischofshof liegt noch immer traumschön. Wenn die Sonne scheint, fühlt man sich wie in Italien. Solche leuchtenden Plätze fand man im 15. Jahrhundert viele in der Kurpfalz. Nur der Ladenburger Bischofshof hat den Pfälzischen Erbfolgekrieg überlebt. Warum? Als die Franzosen anrückten, erzählt die Legende, entdeckten sie im Wappen eines Bischofs weiße Lilien, die sie für das Zeichen des französischen Sonnenkönigs hielten. Vor lauter Angst, sie könnten mit der Vernichtung der Stadt womöglich einen schweren Fehler begehen, rückten die Soldaten schnell wieder ab.
Der Bischofshof mit seiner eleganten manieristischen Bemalung entstand nicht in einem Guss. Jede Exzellenz fügte eine Zutat hinzu. Hier ein Erker, dort ein Türmchen, da ein weiteres Gemach. Ihre Visitenkarten pinnten die Bischöfe an die Außenwände. Das älteste Wappen befindet sich am Außenerker. Man erahnt einen gotischen Petrus, der das Wappen des Wormser Bistums hält: Einen silbernen Schlüssel auf schwarzem Grund umrahmt von acht goldenen Sternen.
Wo heute die Grundschule lehrt, war früher der Festsaal der Bischöfe. Daneben steht die Palastkapelle, dem heiligen Sebastian geweiht. Sie ist eines der frühesten christlichen Bauwerke der Region. Teile des Turms stammen noch aus dem 8. Jahrhundert. Spannend ist die achteckige steinerne Haube. Das Spitzdach erinnert an die Nomadenzelte Syriens, die die Bischöfe auf ihren Kreuzzügen gesehen haben. Die vielen Fratzenköpfe kennt man vom Wormser Dom.
Der Innenraum der Sebastianskapelle ist prächtig ausgeschmückt mit Fresken. Leider darf man die Kapelle nicht mehr betreten. Einsturzgefahr. Immerhin haben sich das Erzbistum Freiburg und die Stadt Ladenburg jetzt auf ein Prozedere verständigt: Die Diözese renoviert die Kapelle, dann übernimmt die Stadt den profanierten Kirchenraum.
Wir folgen der gebogenen Kirchenstraße, in der früher Geistliche und Bedienstete der Bischöfe wohnten. Auf dem Pflaster sind die Umrisse der gewaltigen römischen Marktbasilika aufgemalt, die einst hier stand. Der Komplex erstreckte sich von der Stadtmauer hinter dem Bischofshof bis zum Chor von Sankt Gallus. Es war das zweitgrößte Bauwerk der Römer in Deutschland. Nur in Trier hat man noch opulenter gebaut.
Sankt Gallus steht auf den Fundamenten der römischen Markthalle, die jedoch drei Mal größer war als die gotische Kirche. In der uralten Krypta kann man noch römische Quadersteinblöcke bestaunen. Die Krypta ist der älteste erhaltene Kirchenraum der Region, 1006 geweiht. Die Wandmalereien stammen aus dem 14. Jahrhundert. Man sieht Christus als Weltenrichter und die älteste Darstellung des heiligen Franziskus in Deutschland. Leider ist die Krypta sehr feucht, was den Fresken schadet. Der Zugang für Besucher wird nur noch selten gestattet.
Die Gotik kam mit den Kreuzrittern nach Mitteleuropa. Die mathematischen Formeln und geometrischen Formen, die sie mitbrachten, inspirierten die Baumeister zu Kathedralen voll Licht, deren Kuppeln sich von selbst zu tragen schienen. Sankt Gallus ist eine der frühesten gotischen Basiliken Deutschlands, zwischen 1220 und 1240 erbaut. Dass die Kirche nicht so sphärisch wirkt wie ihre Schwestern in Frankreich liegt an den römischen Fundamenten. Sie machen Sankt Gallus ungotisch breit. 1864 versuchten die Ladenburger ihre Kirche optisch zu strecken, indem sie das Schiff um ein Joch nach Westen verlängerten. Auch der Haupteingang ist neugotisch.
Ursprünglich besaß Sankt Gallus nur einen Turm. Der Südturm kam erst 1412 hinzu, als die Bischöfe endgültig nach Ladenburg übersiedelt waren. Eine hohe Ehre. Zwei Türme besaßen im Mittelalter nur Kathedralen.
In ihrer Jugend muss die Galluskirche wunderschön gewesen sein. Altar reihte sich an Altar, Gold glänzte, Kerzen funkelten. Das Kirchenschiff schimmerte geheimnisvoll im Licht hoher Buntglasfenster, die biblische Geschichten erzählten. All diese Pracht starb am Karfreitag des Jahres 1565 auf dem Scheiterhaufen der Calvinisten. Die modernen Fenster von Valentin Feuerstein von 1967 verstehen sich als Hommage an die einstige gotische Bilderbibel.
Mehr als 100 Jahre lang war die Galluskirche die reformierte Stadtkirche. Sie wäre wahrscheinlich heute noch evangelisch, wenn sich im Pfälzischen Erbfolgekrieg nicht noch eine weitere Merkwürdigkeit ereignet hätte: Beim Rückzug begegnete der französische Kommandant einem Kapuzinermönch. Der Franzose drückte dem Pater den Schlüssel für die Galluskirche in die Hand und suchte das Weite. Rasch schloss der Kapuziner die Kirche ab. Kein Reformierter konnte mehr hinein. 1705 erklärte der Kurfürst Sankt Gallus offiziell wieder für katholisch. Die Evangelischen erhielten als Ausgleich das Gelände des ehemaligen Mönchhofs, das direkt an die Kirche grenzte. Bis heute sind mit dieser Lösung alle zufrieden.
Die evangelische Pfarrfamilie von Ladenburg lebt in einem kleinen Paradies. Der Park ist voll von Sonne und exotischen Pflanzen, das barocke Pfarrhaus ein Schmuckstück und die neugotische Kirche exquisit renoviert. Hermann Behaghel, der rastlose Badische Oberbaurat, hat sie 1878 entworfen. Als Zwilling. Ein baugleiches Gotteshaus steht in Sandhausen. Mehr als 30 neugotische Kirchen hat Behaghel im Rhein-Neckar-Raum gebaut. Viele von ihnen sind wie die Ladenburger Kirche namenlos.
1958 hatten Ladenburgs Protestanten genug von Schablonenmotiven, Engeln mit Spruchbändern und filigranem Schnitzwerk. Die neugotische Einrichtung verschwand. Die Sachlichkeit der Sechziger hielt Einzug.
1997 dann die Kehrtwende. Historistische Kirchen waren plötzlich wieder der letzte Schrei. Mit viel Mühe und Geld wurden die neugotische Holzdecke freigelegt, der Chor und die Wände mit Girlanden und Rankwerk, Lilien und Passionsblumen geschmückt. Pfarrer David Reichert gefällt es: "Ich fühle mich wie im Blumengarten Gottes."