Helden der Kindheit

Vor 50 Jahren begann die Erfolgsgeschichte von Playmobil

Playmobil-Figuren gehören für viele Erwachsene zu den frühesten Erinnerungen einfach dazu. Die Story begann mit der Patentanmeldung vor 50 Jahren.

02.02.2022 UPDATE: 06.02.2022 06:00 Uhr 3 Minuten, 5 Sekunden
Erste Figuren. Foto: geobra Brandstätter/playmobil

Von Michael Ossenkopp

Sie sind exakt 7,5 Zentimeter groß und bunt, bestehen aus Plastik und bevölkern derzeit geschätzt 2,7 Milliarden Kinderzimmer auf der ganzen Welt: Vor rund fünf Jahrzehnten eroberten die ersten Playmobil-Figuren die Herzen der Mädchen und Jungs – als Bauarbeiter, Ritter und Indianer. Später gesellten sich Prinzessinnen und Piraten, Römer und Rockstars hinzu. Mehr als 5700 Figurenvarianten sind im Laufe der Zeit auf den Markt gekommen, jährlich werden über 100 Millionen dieser kleinen Kunststoffmenschen verkauft. Playmobil – eine Erfolgsstory.

Playmobil-Erfinder Hans Beck mit dem damaligen Firmenchef Horst Brandstätter. Foto: geobra Brandstätter/playmobil

Dabei reagierte die Spielzeugbranche zunächst reserviert, als Horst Brandstätter, Alleininhaber des Playmobil-Herstellers geobra, die Figuren Anfang 1974 erstmals auf der Nürnberger Spielwarenmesse vorstellte. Erst am letzten Messetag habe der Chef der Vedes, einer Vereinigung deutscher Spielwarenhändler, Gefallen an den Playmobil-Figuren gefunden und wollte sie exklusiv ordern. Mit dieser Information rief Brandstätter dann die Einkäufer der großen Warenhäuser an, die keinen Trend verpassen wollten. So brachte er sein Playmobil doch noch in die Regale – überaus erfolgreich letztlich: Als Brandstätter 2015 im Alter von 81 Jahren starb, bezifferte das Wirtschaftsmagazin "Forbes" sein Vermögen auf rund 1,3 Milliarden Dollar.

Ursprünglich hatte der Kunststoffartikelhersteller geobra Hula-Hoop-Reifen und andere Plastikprodukte aus dem Spiel- und Freizeitbereich hergestellt. Zu Beginn der 1970er Jahre war die Firma jedoch fast pleite. Wegen der Ölkrise hatte sich der Rohstoffpreis beinahe verzehnfacht, die Produktion von Deckenverkleidungen und Kindermöbeln war unrentabel geworden. Auf der Suche nach Alternativen beauftragte Horst Brandstätter seinen Entwicklungsleiter Hans Beck, ein Serienspielzeug zu entwickeln, da Kleinteile naturgemäß wesentlich weniger Material benötigten. Brandstätter dachte an eine Fahrzeugserie im Miniformat, aber Beck präsentierte eine völlig andere Idee: Eine Kunststofffigur mit beweglichen Armen, Beinen und Köpfen. Ein Bauarbeiter mit Schubkarre wurde zum Prototypen, dazu tauchten noch ein Ritter und ein Indianer auf.

Erste Skizzen. Foto: geobra Brandstätter/playmobil

Nach dem Patent in Deutschland, das am 5. Februar 1972 angemeldet worden war, folgten schon 1973 weitere in den USA, Frankreich, Italien und im Vereinigten Königreich. Becks Grundsätze lauteten: "Kein Horror, keine vordergründige Gewalt und keine kurzfristigen Trends." Zubehör und Ausstattung entwarf er gleich mit. Schon bald folgten 20 weitere Themen, darunter ein Bauernhof, ein Piratenschiff sowie Polizei- und Feuerwehrstationen. 1976 stießen die ersten weiblichen Figuren zur Playmobil-Welt. Alle Figuren waren von Anfang an "einfach gestrickt" und gerade deshalb unverkennbar. Ihr eingeschränktes Bewegungsvermögen wurde durch eine Vielzahl von Kombinationsmöglichkeiten wettgemacht – wie die abnehmbaren Frisuren. An die Hände konnten Werkzeuge oder Waffen gesteckt werden.

Nur wenige Jahre später war Brandstätter der umsatzstärkste Spielzeughersteller Deutschlands. 1975 wollte das Unternehmen BIG mit dem Konkurrenzprodukt Playbig auf den Erfolgszug aufspringen. Zwar gewann es einen jahrelangen Rechtsstreit, aber am Markt konnte sich Playmobil durchsetzen. Playbig wurde 1979 eingestellt; BIG produziert seither erfolgreich das bekannte Bobby-Car. Horst Brandstätter war zudem zeitlebens der Ansicht, auch Lego habe die Idee mit den Figuren von Playmobil adaptiert und schließlich ins Sortiment aufgenommen.

Inzwischen wird Playmobil meist in Großpackungen und nicht mehr einzeln verkauft. Jährlich kommen immer neue Plastik-Welten hinzu, ältere verschwinden aus dem Programm. Auf Kinotrends wie "Fluch der Karibik" oder "Star Wars" reagiert Playmobil unverzüglich mit angepassten Themenwelten. Die Variantenvielfalt im Playmobil-Kosmos kennt kaum Grenzen: Zauberwelten, Wikinger, Dinosaurier, Alte Ägypter, Racing Karts und Snowboarder gehören mittlerweile zum Sortiment. Rund drei Milliarden Plastikmännchen sind bislang erschienen, aneinandergereiht würden sie 3,5-mal die Erde umspannen.

Den Vorwurf, die klassischen Playmobil-Figuren seien zu langweilig und "brav", kontert der Hersteller mit dem Argument, der Erfolg der Firma sei durch die Zeiten unverändert geblieben: "Die Kinder sagen uns schon, was sie wollen." Daher verfügten neuere Figuren auch über lebendigere Gesichtsausdrücke, beweglichere Hände und modischere Frisuren.

Das nutzen auch Tüftler und Sammler in der individuellen Gestaltung von Playmobil-Figuren, die beim sogenannten Customizing für Modelle oder Trickfilme umgebastelt werden. Der Hersteller toleriert diese Neuinterpretationen, solange die Veränderungen keine kriegerischen, extremistischen, diskriminierenden oder politischen Motive zeigen. Die einzige Politikerfigur, die jemals angefertigt wurde, ist ein Angela-Merkel-Unikat, das Horst Seehofer bei einem Werksbesuch von den Produktdesignern geschenkt bekam.

Im Jahr 2000 öffnete schließlich ein Playmobil-Themenpark nahe der Firmenzentrale im bayerischen Zirndorf seine Tore. Auf 90.000 Quadratmetern und in acht Spielwelten – darunter ein Piratenschiff, eine Westernstadt, eine Ritterburg und die Arche Noah – sollen Kinder seither zum Aktivsein ermuntert werden. Weitere Indoor-Funparks von Playmobil gibt es in Paris, Athen, Malta und Florida.

Mit etwa 4600 Mitarbeitern zählt die fränkische Firma geobra Brandstätter inzwischen zu den größten deutschen Spielwarenherstellern. Zur Horst Brandstätter Group gehören neben der Hauptproduktionsstätte in Dietenhofen ein weiteres Werk in Selb sowie Auslandsfertigungen in Malta, Tschechien und Spanien. Der Umsatz im Geschäftsjahr 2020 betrug 636 Millionen Euro, an die Umsätze von Lego oder Hasbro, die zwischen vier und fünf Milliarden Euro liegen, kommen die Bayern allerdings nicht heran.

Nach dem Tod des Alleininhabers Brandstätter ging das Unternehmen in eine Doppelstiftung über – eine gemeinnützige und eine Unternehmensstiftung, in der die wichtigsten Mitarbeiter vertreten sind. Doch intern entstand ein Machtvakuum, keiner von drei neuen Vorständen durfte alleine Entscheidungen fällen. Seither scheinen interne Querelen in dem erfolgreichen Unternehmen an der Tagesordnung.