Heidelberger Professorenpaar

Den Buchpreis kannten Aleida und Jan Assmann bisher nur aus dem Fernsehen

Deutscher Buchhandel zeichnet die beiden Professoren mit dem Friedenspreis aus - Darüber sprechen sie im RNZ-Interview

03.10.2018 UPDATE: 07.10.2018 06:00 Uhr 5 Minuten, 39 Sekunden
Fotos: Philipp Rothe/dpa​

Von Heribert Vogt

Heidelberg. Aleida und Jan Assmann erhalten am 14. Oktober den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Im RNZ-Interview sprechen sie darüber.

Frau und Herr Prof. Assmann, es gab erst wenige mit Heidelberg verbundene Persönlichkeiten, die den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten haben: 1958 Karl Jaspers, 1959 Theodor Heuss, 1969 Alexander Mitscherlich sowie 2001 Jürgen Habermas. Und nach den schwedischen Friedensforschern Alva und Gunnar Myrdal im Jahr 1970 sind Sie erst das zweite Ehepaar, das diese Ehrung erhält. Was bedeutet der gemeinsame Friedenspreis für Sie?

Aleida Assmann: Dieser Preis ist etwas ganz anderes als die Auszeichnungen, die wir als Wissenschaftler für unsere Bücher bekommen haben. Der Friedenspreis wurde uns als öffentlichen Personen zuerkannt. In dieser Liga haben wir uns bisher nicht gesehen.

Wir hatten zwar stets das Bedürfnis, über die Universität hinaus zu wirken, aber die Öffentlichkeit des Friedenspreises ist noch einmal eine ganz andere und sehr viel breitere. Das hat uns ungeheuer gefreut, aber auch ein bisschen überwältigt, denn es ist ja auch eine große Herausforderung.

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Hintergrund

Aleida Assmann

Aleida Assmann ist Anglistin, Ägyptologin sowie Literatur- und Kulturwissenschaftlerin.

1947: Geburt in Gadderbaum/Bielefeld.

1966-1972: Studium der Anglistik und

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Aleida Assmann

Aleida Assmann ist Anglistin, Ägyptologin sowie Literatur- und Kulturwissenschaftlerin.

1947: Geburt in Gadderbaum/Bielefeld.

1966-1972: Studium der Anglistik und Ägyptologie an den Universitäten Heidelberg und Tübingen.

1977: Promotion im Fach Anglistik in Heidelberg. Thema: Die Legitimität der Fiktion. Nebenfachprüfung in Ägyptologie in Tübingen, da ihr Mann Jan Assmann auf den Lehrstuhl für Ägyptologie in Heidelberg berufen worden war.

1992: Habilitation an der Neuphilologischen Fakultät in Heidelberg.

1993: Ruf auf den Lehrstuhl für Anglistik und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Konstanz.

2001: Max-Kade-Gastprofessur an der Princeton University in New Jersey. Weitere Gastprofessuren an der Rice University in Houston (2000), Yale University in New Haven (2002, 2003, 2005) und University of Chicago (2007). Zudem: "Peter-Ustinov-Gastprofessur" an der Universität Wien (2005).

Seit den 1990er Jahren ist ihr Forschungsschwerpunkt die Kulturanthropologie, vor allem die Themen kulturelles Gedächtnis, Erinnerung und Vergessen.

Zahlreiche Veröffentlichungen, Auszeichnungen und Mitgliedschaften in Akademien.

Verheiratet mit Jan Assmann, mit dem sie auch forscht. Die beiden haben fünf Kinder.

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Jan Assmann: Seit Jahrzehnten bedeutet uns der Friedenspreis sehr viel. Zumeist haben wir die Verleihungen im Fernsehen verfolgt und uns stets auf der Seite des Publikums gesehen. Die Preisträger haben wir oft als großartige Persönlichkeiten bewundert, manche kannten wir gut, etwa Carolin Emcke oder Navid Kermani. Aber nie haben wir uns auf deren Seite vorgestellt.

Deshalb war der Seitenwechsel für mich auch ein Schock. Aber wir erhalten den Preis zum Glück als Paar. Aleida gehört zu den Gründungsfiguren der deutschen Erinnerungskultur - das Wort hat sie erfunden.

Ich habe mit meinen Forschungen zum kulturellen Gedächtnis in der Antike für die historische Tiefenzeit und die religiöse Dimension gesorgt. Wir werden auch die Friedenspreisrede als Paar halten.

Frau Assmann, was verstehen Sie unter Erinnerungskultur?

Aleida Assmann: Angefangen haben wir mit dem kulturellen Gedächtnis. Ich habe nach und nach gewisse Differenzierungen eingearbeitet. Das politische oder nationale Gedächtnis zum Beispiel ist an einen Staat gekoppelt, der Rahmenbedingungen des Erinnerns vorgibt. Davon habe ich das soziale Gedächtnis der Gesellschaft abgesetzt, das auf Medien und Kommunikation beruht.

Hinzu kommen das Familien- und das persönliche Gedächtnis. Diese Arbeit beschäftigte mich, als sich in Deutschland mit einem Generationswechsel vieles veränderte. Der Historikerstreit 1986 spielte dabei auch eine ganz wichtige Rolle, zusammen mit der Rückkehr der Holocaust-Erinnerungen. Damals endeten vier Jahrzehnte eines ‚kommunikativen Beschweigens’ der NS-Zeit.

Die Erinnerungskultur entstand mit dieser Rückkehr der Erinnerung. Getragen wurde sie zunächst von unten von zivilgesellschaftlichen Initiativen und künstlerischen Projekten, bevor sie bei der Entscheidung für das Berliner Holocaust-Denkmal bei Kanzler Helmut Kohl oben ankam und vom Bundestag aufgegriffen wurde.

Neu daran war, dass eine Nation nicht allein mit dem Blick des Stolzes und der Ehre auf ihre Geschichte blickte, sondern auch die eigenen Verbrechen ins nationale Gedächtnis aufnahm.

Hintergrund

Jan Assmann

Jan Assmann ist Ägyptologe, Religionswissenschaftler, Kulturwissenschaftler und Emeritus der Uni Heidelberg.

1938: Geburt in Langelsheim/Harz; aufgewachsen in Lübeck und

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Jan Assmann

Jan Assmann ist Ägyptologe, Religionswissenschaftler, Kulturwissenschaftler und Emeritus der Uni Heidelberg.

1938: Geburt in Langelsheim/Harz; aufgewachsen in Lübeck und Heidelberg.

1965: Promotion in Heidelberg nach Studium der Ägyptologie, Klassischen Archäologie und Gräzistik auch in München, Paris sowie Göttingen.

1966/1967: Reisestipendium des Deutschen Archäologischen Instituts in Kairo. Dort 1967-1971 Mitarbeiter der DFG.

1967: Epigraphisch-archäologische Feldarbeit in Theben-West (Ägypten).

1971: Habilitation in HD.

1976-2003: Lehrstuhl für Ägyptologie in Heidelberg. Danach Honorarprofessur für allgemeine Kulturwissenschaft in Konstanz.

1978: Leitung eines Forschungsprojekts in Luxor.

1984/1985: Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Weitere Forschungsaufenthalte und Gastprofessuren in Los Angeles, Chicago, Houston, New Haven, Paris, Oxford, Wien, Mainz und Weimar.

Assmann entwickelte - mit seiner Frau Aleida - die Theorie des kulturellen Gedächtnisses, das auf dem kollektiven Gedächtnis des französischen Soziologen Maurice Halbwachs aufbaute.

Zahlreiche Publikationen mit internationaler Resonanz, Ehrungen und Mitgliedschaften in Akademien.

Er lebt in Heidelberg und Konstanz.

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Welche Rolle spielt die Erinnerungskultur heute angesichts des Flüchtlingszustroms?

Aleida Assmann: Hier ist jetzt viel Turbulenz entstanden, nachdem sich gerade der Rahmen einer deutschen Erinnerungskultur gefestigt hatte. Dieser nun stabilisierte Rahmen entstand erst nach der Wiedervereinigung: Im Einigungsvertrag wurde auch die Verantwortung für die KZ-Gedenkstätten festgeschrieben.

Die neue Situation besteht darin, dass sehr viele Zuwanderer aus anderen Kulturen zu uns kommen mit anderen Geschichten und häufig auch mit schweren Traumata. Da stellt sich die Frage, wie das nationale Gedächtnis für andere anschließbar und zugleich auch vielfältiger werden kann.

Gleichzeitig steht der Rahmen dieses Gedächtnisses unter Druck, denn die AfD will ins 19. Jahrhundert zurück und die selbstkritische Erinnerung durch ein Gedächtnis der Ehre und des Stolzes ersetzen.

Dagegen haben Sie entschieden den Bau des Holocaust-Mahnmals unterstützt, bei dem man von gelingender Erinnerungskultur sprechen kann.

Aleida Assmann: Das Denkmal in der Mitte Berlins hat sich insgesamt bewährt. Mir gefällt besonders, dass die äußeren Stelen so niedrig sind: Es ist im wahrsten Sinne des Wortes niedrigschwellig und zieht schon deshalb viele Menschen an.

Andere Altlasten der deutschen Geschichte sind noch nicht berücksichtigt, etwa der Völkermord an den Herero und Nama im heutigen Namibia.

Aleida Assmann: Im nationalen Gedächtnis gibt es immer Platzmangel. Eine Erinnerung verdrängt die andere. So ist die koloniale Geschichte Europas ein Thema, das immer noch beschwiegen, aber nicht mehr dauerhaft vergessen werden kann. Die "Grünen" haben dieses Thema bereits aufgegriffen.

Und das Berliner Humboldtforum mit seinen Ausstellungen außereuropäischer Kulturen ist ein symbolisch exponierter Ort, der genau diesen Nerv trifft. Die Kunsthistoriker und Ausstellungsmacher werden mit ihrem Versuch einer musealen Historisierung scheitern, wenn sie die Bedeutung dieser Geschichte herunterspielen und die Auseinandersetzung mit ihr als ein europäisches Erbe meiden. Für Frankreich hat Präsident Emmanuel Macron dieses Thema gerade auf die Agenda gesetzt.

Wie kann man heute die zunehmende Multikulturalität in der deutschen Erinnerungskultur besser berücksichtigen?

Aleida Assmann: Zunächst stellt sich die Frage, welche Zugänge die Migranten zu unserer Holocaust-Erinnerung finden können. Aber es müssen auch andere Erinnerungen hinzukommen. Da ist Deutschland etwas säumig bei der Wahrnehmung der eigenen Migrantengeschichte, die in den 1960er Jahren mit den Gastarbeitern begann und bis heute in verschiedenen Wellen verlief.

Diese anderen Kulturen der inzwischen integrierten Mitbürger sind ein Teil unserer Gesellschaft, haben aber noch keine Sichtbarkeit in einem gemeinsamen kulturellen Raum.

Büste der Nofretete

Herr Assmann, gehört zur Erinnerungskultur auch die Rückführung von Kulturgütern in ihre Herkunftsländer, zum Beispiel der Nofretete-Büste nach Ägypten?

Jan Assmann: Grundsätzlich schon. Aber wäre die Nofretete-Büste vor Jahrzehnten nach Ägypten zurückgegeben worden, wäre sie nicht mehr das, was sie ist. Die Exponate im Kairoer Museum sind in keinem guten Zustand, während es der Nofretete sehr gut geht, da sie sicher untergebracht ist.

Sie wurde bei einer regulären Ausgrabung 1913 gefunden und kam in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht nach Deutschland. Man muss zwischen dem nationalen und einem Weltkulturerbe unterscheiden. Im islamischen Ägypten wurde die pharaonische Vergangenheit lange als Heidentum verachtet. Ihre Wiederentdeckung ist das Werk westlicher Wissenschaft, in deren Sinne zunehmend auch ägyptische Kollegen arbeiten. Die pharaonische Vergangenheit ist Weltkulturerbe, und die Welt hat einen Anspruch auf Erhaltung und Zugänglichkeit dieser Kunstwerke.

Aleida Assmann: In Ägypten ist Nofretete erst seit Kurzem Teil des nationalen Gedächtnisses geworden. Wir haben dort miterlebt, wie die Mauer zwischen der islamischen Welt und der heidnischen Kultur allmählich durchbrochen wurde. Ägypten hat keine Bodenschätze, sondern nur die Pharaonen, so dass der Tourismus die wichtigste Einnahmequelle ist, die zurzeit brachliegt. Schulklassen wurden in die Museen geführt, und die ägyptischen Kinder begannen, sich plötzlich mit einzelnen Pharaonen zu identifizieren.

Jan Assmann: Das ist eine neue Entwicklung, zu der vor allem der Kollege Zahi Hawass beigetragen hat - ein Fernsehstar. Als Chef der Antikenbehörde wie als Minister bewirkte er, dass das pharaonische Ägypten Teil des Nationalstolzes wurde.

Erinnerungskultur ist das Thema des Ehepaars Assmann: Vom Alten Ägypten der Nofretete bis zum Berliner Holocaust-Mahnmal.​

Eine Erinnerungskultur gab es auch bei den alten Ägyptern.

Jan Assmann: Der große Unterschied zu unserer Gedächtniskultur besteht aber darin, dass das altägyptische kulturelle Gedächtnis von denen gestiftet wurde, die in Erinnerung bleiben wollen - von den Pharaonen bis zu den Bauern.

Ägypten ist dicht besiedelt von Denkmälern und Tempeln, die alle etwas mit Erinnerung zu tun haben. Es handelt sich um Investitionen in ein Gedächtnis, das über dreieinhalb Jahrtausende funktionierte. Es war jedoch in die Zukunft gerichtet: Man stellte sich ein Weiterleben im Gedächtnis der Nachwelt vor.

Was bei uns für die Erinnerungskultur typisch ist - eine retrospektive Geschichtsschreibung -, gab es allenfalls in Ansätzen. Die Erfinder der Geschichte sind die Juden mit den Geschichtsbüchern der Bibel, die sie von der Schöpfung bis zum Fall Jerusalems erzählen.

Sie haben mit Ihren Forschungen zum Monotheismus, dem Glauben an den einen strengen Gott, den Zusammenhang von Religion und Gewalt thematisiert.

Jan Assmann: Ich blicke auf den Monotheismus von Ägypten, also der Welt her, die ihm voraus liegt, und sehe vor allem das Neue, ganz Andere, die unglaubliche Revolution, die mit ihm entsteht.

Die früheren Religionen kann man von Kultur gar nicht unterscheiden. Da wurden fremde Götter importiert, die Grenzen zwischen den Religionen verschwammen.

Den Monotheismus verstehe ich als Erfindung des frühen Judentums. Diese Religion setzt sich scharf ab gegen Kultur und andere Religionen. Sie schreibt vor, wie man zu leben hat, und grenzt sich auch scharf ab gegen die eigene Vergangenheit. Das ist etwas völlig Neues.

Und die biblischen Texte erzählen die Entstehung dieser Religion mit vielen Gewaltszenen - weil der Ursprung eine Widerstandsbewegung ist. Aber diese Gewalt wurde nicht nur aktiv ausgeübt, sondern auch passiv erlitten, eine Leidensgeschichte. Und beide Aspekte spielen noch heute, etwa im Islam, eine Rolle.

Die monotheistischen Religionen haben also auch heute scharfe Ränder?

Jan Assmann: Diese scharfen Ränder spalten, und die Dynamik der Spaltung setzt sich immer weiter fort. Bei uns haben wir inzwischen die Spaltung zwischen Katholiken und Protestanten weitgehend überwunden.

Aber zwischen den Glaubensrichtungen des Islam ist das noch nicht gelungen. Und auch am Zusammenleben von Muslimen und Christen ist weiterhin zu arbeiten. Worauf es ankommt, ist, zu verstehen, dass es jenseits dieser scharfen Grenzen noch eine Sphäre der Gemeinsamkeit gibt.

Und diese Sphäre eines zivilen Zusammenlebens muss durch die Inkraftsetzung und Achtung der Menschenrechte stark gemacht werden.