Graswurzel-Polizeiarbeit: Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare). Foto: ARD/SWR
Von Alex Wenisch
Mit den Stuttgarter Tatorten ist das ein Glücksspiel. Nur jeder Zweite ist gut. Und von denen auch nur wenige wirklich so, dass sie aus der Masse herausragen würde. "Das ist unser Haus" ist ein solcher. Er bleibt im Gedächtnis, nicht weil er besonders blutrünstig, brutal, verschroben oder aberwitzig wäre, sondern weil er eine feine, mit Fingerspitzengefühl und Augenzwinkern erzählte Sozialstudie ist.
Was ist passiert? Vor vier Wochen erst sind die Mitglieder der Bauwohngemeinschaft "Oase Ostfildern" in ihr neues Zuhause eingezogen. Doch schon gibt es erste Probleme: Baumängel! Die Kellerabdichtung ist schadhaft, das Souterrain schimmelt. Also muss außen aufgebaggert werden. Und wäre das nicht genug Ärger, wird bei den Bauarbeiten die Leiche einer Frau ausgegraben. Genickbruch. Wer ist sie? Etwa eine ehemalige Bewerberin für eine "Oase"-Wohnung, die irgendwann spurlos verschwunden ist? Da droht auch das Fundament, auf dem die Wohngemeinschaft steht, nämlich Respekt und Vertrauen, tiefe Risse zu bekommen. Die positiven Schwingungen dieser politisch korrekt zusammengesetzten Lebensgemeinschaft wirbeln die aktuellen Ereignisse kräftig durcheinander. Ist ein Mörder unter ihnen? Da braucht es mehr als ein esoterisches Reinigungsritual.
Worum geht es wirklich? Um die Sehnsucht nach Gemeinschaft. Die Geschichte spielt in einem genossenschaftlichen Wohnprojekt, das bewusst als Mehrgenerationen-Haus konzipiert ist. Die Bewohner sind überzeugt: Die Idee der Kleinfamilie ist überholt. Man wohnt besser mit Gleichgesinnten – trotz (oder gerade wegen) der vielen Marotten, die ein Zusammenleben auch schwer machen. Stichworte wie Einsamkeit, Altersarmut, Mietwucher und Toleranz fallen.
Wie schlagen sich die Kommissare? Hervorragend. Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) haben ja schon einige Fälle hinter sich, haben Sprengstoffattentate überlebt und sind einem Sniper auf die Schliche gekommen. Jetzt ermitteln sie im Stuhlkreis – was ihre Geduld an die Grenze bringt. Aber: Die beiden erkunden vorurteilsfrei dieses Biotop aus Räucherstäbchen-Fans, Alltags-Flüchtlingen, Freigeistern und Umweltbewegten. Und so mancher der neun Erwachsenen hat seine eigene Leiche im Seelen-Keller. Das reinste Paradies jedenfalls ist auch diese "Oase" nicht.
Was ist die Stärke dieses "Tatort"? Fast kammerspielartig zeichnen Dietrich Brüggemann (Regie) und Daniel Bickermann (Co-Autor) Porträts der Oasen-Bewohner, erzählen von deren Sorgen, Nöten und Hoffnungen. Die beiden hatten bereits 2017 die preisgekrönte Stuttgarter Episode "Stau" (2017) inszeniert. Die Dialoge nun sind witzig und hintersinnig. Passend auch, die Verfolgungsjagd am Ende: Bootz auf dem Fahrrad!
Was sind die Schwächen? Nicht viel, abgesehen vom nervigen schwäbischen Dialekt. Okay, die Geschichte bewegt sich auf schmalem Grat. Die einen mögen "Unser Haus" als charmante und liebevoll Milieustudie verstehen, die anderen als schonungslos und auch überzeichnet.
Und sonst noch? Gedreht wurde nicht in Ostfildern, sondern in Karlsruhe. Und Liedermacher Heinz Rudolf Kunze ("Dein ist mein ganzes Herz") hat als mordverdächtiger Ex-Bewerber eine Nebenrolle.
Was kann man vom "Tatort" fürs Leben lernen? Wo Öko drauf steht, ist nicht immer Öko drin.
Sonntag, 20.15 Uhr, lohnt es sich einzuschalten? "Das ist unser Haus" ist kein Nervenkitzel-Tatort, wer aber Spaß an Zwischenmenschlichem hat, ist hier richtig.