Von Marion Gottlob
Der Entschluss kam in der Nacht! Ich hatte am Tag zuvor als Journalistin den Gottesdienst zum 140. Jubiläum der Kapellengemeinde in Heidelberg besucht - auf meinem Schreibblock notierte ich Redebeiträge und Lieder. Plötzlich war es mit der beruflichen Distanz vorbei. Es war der Moment, als Florian Barth sagte: "Bei uns ist jeder zum Abendmahl willkommen, der Hunger hat." Fast jeder reihte sich in die Schlange ein.
Ich gehörte zu den Ausnahmen! Erstens war ich beruflich unterwegs. Doch es gab einen zweiten Grund. Ich bin vor etwa 15 Jahren aus der Kirche ausgetreten. Meine Kritik damals: Die Einsamkeit vieler moderner Menschen wird von christlichen Gemeinschaften kaum zur Kenntnis genommen. Mit dem Austritt blieb mir das Abendmahl verwehrt. Niemand konnte das Verbot kontrollieren, doch ich habe mich daran gehalten.
Die Mitgliedschaft in der Kirche habe ich bisher kaum vermisst - nur das Abendmahl. Doch nun lud ein Pfarrer dazu ein, ohne eine Bedingung zu stellen. In diesem Moment hatte ich den Wunsch, ein Teil dieser Gemeinschaft zu werden.
Es soll gesagt sein: Auch in der Evangelischen Kirche ist es nicht selbstverständlich, dass Nicht-Mitglieder einer christlichen Gemeinschaft zum Abendmahl geladen werden. Pfarrer Barth beruft sich auf den ersten Korinther-Brief. Danach darf jeder das Abendmahl empfangen, der den Hunger danach verspürt. "Es ist dieses Gefühl ,Gott, ich brauche Dich‘ - das ist entscheidend", sagt Pfarrer Barth. Und Marlene Schwöbel-Hug, Dekanin der Evangelischen Kirche Heidelberg, ergänzt: "Ich kenne in Heidelberg keine evangelische Pfarrgemeinde, die Ausgetretenen das Abendmahl verweigert. Auch in der Evangelischen Stadtkirche gilt: Das eigene Gewissen und Wollen entscheiden über die Teilnahme am Abendmahl."
Peter Wegener, Referent für Pressearbeit der Katholischen Stadtkirche Heidelberg betont dagegen: "Nach der offiziellen Sicht der Deutschen Bischofskonferenz ist jemand, der ausgetreten ist, nicht zu den Sakramenten und damit nicht zum Empfang der Kommunion zugelassen. Wer allerdings im Gottesdienst nach vorn kommt, den wird man nicht wegschicken."
Die Kapellengemeinde ist eine Gemeinde der "Revoluzzer", die schon bei der Gründung gegen den Strom geschwommen ist. Heute ist sie mit ihren Manna-Projekten Heimat für Menschen, die über wenig Geld verfügen. Hier darf über das Tabu der Einsamkeit gesprochen werden. "Die Einsamkeit ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit - wir wollen neue Formen von Familie und Gemeinschaft schaffen", so Pfarrer Barth. Hier muss man keinen vollen Terminkalender vorweisen, um bedeutsam zu sein. Man darf sagen: "Ich fühle mich einsam, ich bin allein."
Die meisten christlichen Gemeinden sind Orts-Gemeinden - man wird automatisch Mitglied, wenn man im Gebiet wohnt. Dagegen ist die Kapellengemeinde eine Personalgemeinde: Man wird durch Eintritt Mitglied. Sie gehört zu den christlichen Gemeinden, die wachsen. Die Zahl ihrer Mitglieder hat sich in zehn Jahren von 100 auf mehr als 200 verdoppelt. Aber es wird nicht jeder aufgenommen! Wer schon in einer anderen Gemeinde registriert ist, sollte dort bleiben. Auch wenn selbstverständlich jeder in der Kapellengemeinde willkommen ist - als Besucher des Gottesdienstes genauso wie in den Manna-Projekten.
Also, ich schrieb eine Mail an Pfarrer Barth. Ich wollte ehrlich sein: "Ich bin eine moderne, europäische Buddhistin - aber in meinem Herzen bin ich auch Christin." Pfarrer Barth antwortete rasch: "Eine Bereicherung!"
Einige Wochen später trafen wir uns. Wir sprachen über die Gründe, warum ich aus der Kirche ausgetreten war. Anschließend über die Gründe, warum ich in die Kapellengemeinde eintreten wollte - über die Sehnsucht nach dem Abendmahl und nach der Zugehörigkeit zu einer Gemeinde, in der das Urchristentum auf moderne Weise gelebt wird.
Ich war nicht die Einzige, die sich in diesen Wochen zum Eintritt in die Kirche entschlossen hatte. Joachim Dauer, Dekan des katholischen Dekanats Heidelberg-Weinheim, hat zeitgleich zwei Studenten in die katholische Kirche aufgenommen. "Die Menschen treten in die katholische Kirche ein, wenn sie eine positive Erfahrung gemacht haben - vielleicht mit einer Predigt oder mit Kirchenmusik", sagt er, "andere fühlen sich durch die besondere Atmosphäre einer Kirche oder das überzeugende Glaubensleben eines Mitmenschen angerührt. Einige kehren zurück, weil sie wieder dazugehören wollen - der Ärger über den Pfarrer ist verflogen, dessentwegen man überhaupt ausgetreten ist."
Auch Schwöbel-Hug weiß, dass der Pfarrer eine wichtige Rolle spielen kann - beim Austritt wie beim Eintritt. "Viele Menschen treten in die Kirche ein, wenn ihre Kinder in einem christlichen Kindergarten ein gutes Miteinander erfahren", sagt sie, "oder sie haben im Krankenhaus den Trost eines Klinikseelsorgers erfahren." Sie lächelt: "Einige Menschen werden in der Weihnachtszeit von der Botschaft der Geburt Jesu so tief angerührt, dass sie (wieder) Teil der christlichen Gemeinschaft werden möchten."
Die Aufnahme in die Kirche kann auf Wunsch mit einem Gottesdienst gefeiert werden. Ich wünschte mir eine Aufnahme per Handschlag. Nach dem Gespräch begleitete Pfarrer Barth mich zur Tür - an der Schwelle des Pfarrhauses reichte er mir die Hand: "Sie sind aufgenommen." Ich war so gerührt, dass ich den Handschlag wiederholte. Es war wunderbar.
P.S. Der Handschlag hatte ein bürokratisches Nachspiel! Die Aufnahme in die christliche Gemeinschaft durch den Pfarrer oder Priester ist der wichtigste und zentrale Teil des Eintritts in die Kirche. Aber! Es gibt einen zweiten Teil: Der Eintritt wird offiziell an die Kirchengemeinde und dann an die weltliche Gemeinde gemeldet. Ich wohne in Hessen und wollte in eine Gemeinde in Baden eintreten. Zunächst sah es so aus, als würde das nicht gelingen.
Normalerweise tritt man in die Gemeinde ein, in deren Gebiet man wohnt. Bei einem Umzug wird man an die neue Ortsgemeinde gemeldet. Doch die Kapellengemeinde ist eine Personalgemeinde - man wird durch Eintritt Mitglied. "Es gibt in Heidelberg drei Personalgemeinden, die Hosanna-Gemeinde, die Kapellen-Gemeinde und die koreanische Gemeinde," weiß Doris Banzhaf, Chefin vom Dienst im Zentrum für Kommunikation beim Evangelischen Oberkirchenrat Karlsruhe.
Die Landesgrenze zwischen Hessen und Baden-Württemberg wurde zum Problem. Nach einigen Wochen war die Sache geklärt. Ich bin Mitglied der Kapellengemeinde - meine Kirchensteuer bleibt in Hessen. Diese Fälle sind selten, man geht davon aus, dass sie sich ausgleichen. Glück gehabt.