Von Wolf Goldschmitt
Der freundliche Blechbrummer auf zwei Rädern war kaum trocken hinter den Pedalen - und schon ein Mythos. Unter allen knatternden Zweirädern der Erde hatte sie von Anfang an einen Sonderstatus. Und hat ihn, inzwischen 70 Jahre lang, bis heute behalten: die legendäre Vespa. Ob es das Charisma ist, das ihre Form ausstrahlt oder doch nur der Anschein eines völlig unschuldigen, fast bemitleidenswerten Verkehrsteilnehmers angesichts der immer größeren Automobile im Verkehr? Fest steht: seit der Roller aus der Straßenszenerie herausragt, gibt es nur zwei Lager: die Fans und die Naserümpfer. Widersacher des Insekts mit Motor nörgeln wegen des Gestanks und Krachs, seit es in über zehn Millionen Exemplaren auf allen 150 Ländern der Erde herumschwirrt. Die Anhänger verehren ihre "Lieblinge" nahezu abgöttisch.
"Dem Auto überlegen"
Die besten Vespajahre waren zweifelsohne die Fünfziger und Sechziger. "Motorrad mit sinnvoll arrangierten Komponenten sowie Kotflügeln und Hauben, welche die Technik verdecken" - so beschreibt die Patentschrift das Besondere bei der Vespa. Die Vollverkleidung lässt Berührungen mit dem heiß gelaufenen Motor erst gar nicht zu und schützt außerdem vor Schmutz. Weitere Vorteile des neuen Gefährts: Die Vespa ist leicht, wendig und einfach zu fahren. Raumsparend, platzsparend, benzinsparend, wendig, handhabbar und vor allem dem Auto überlegen - das war Programm der Produktion von Piaggio, der Firma in Pontedera bei Pisa, die dem Roller das Wespennest baute. Die Konsumenten leiden 1946 noch unter den Entbehrungen des Krieges.
Mit dem Urmodell "Vespa 98" entsteht ein einfaches, kostengünstiges Motorrad, mit dem man - noch ohne Helm - auch auf den damals ramponierten Straßen fahren kann. Enrico Piaggio gab dem Roller seinen Namen, als er beim Anblick des Prototyps mit dem großvolumigen Mittelteil für den Fahrer und der schlanken "Taille", ausrief: "Sieht aus wie eine Wespe!" Seither wurde das Motorrad weltweit über 18 Millionen Mal verkauft. Viele Modelle genießen Kult-Status und werden von ihren Fahrern liebevoll gepflegt. Wie von den Mitgliedern des Vespaclubs Mannheim, dem Treffpunkt für Fans des Traditions-Scooters in der Rhein-Neckar-Region. Rund 50 Mitglieder - vom Teenager bis Senior - und Vespas jeden Alters und aller Kubik-Klassen geben sich regelmäßig ein Stelldichein. www.vespaclub-mannheim.de
Knapp 60 Kilometer pro Stunde schafft die "Mutter aller Vespas". Auf 100 Kilometer braucht sie zwei Liter Benzin. Fixer als ein Fahrrad, unkomplizierter als ein Motorrad und sparsamer als ein Auto, lautet der Werbeslogan. Bereits sieben Jahre später rollt eine neue, leicht veränderte Version auf den Markt. Sie schafft 75 Stundenkilometer und hat den Scheinwerfer nicht mehr auf dem vorderen Kotflügel, sondern oben am Lenker - ein Vorteil bei Nacht.
Im Juni 1956 überschreitet die Produktion die Millionengrenze. Zur zweiten Million 1960 gewährt Papst Johannes XXIII. Vespa-Fahrern eine Audienz. Mit dem Roller fahren die Italiener fortan zur Arbeit, zum Einkauf, später in die Ferien. Und der Roller kommt auch nördlich der Alpen in Mode. Nach Deutschland kommen sie 1950. Produziert wird in Lizenz im rheinischen Lintorf. 1954 bringt das dortige Werk allerdings ein Modell auf den deutschen Markt, das ohne Absprache mit Piaggio verändert wird. Der Italiener ist sauer, die Zusammenarbeit wird beendet. Die deutschen Vespas werden danach in Augsburg gebaut.
Genügend Sexappeal
Plagiatsprobleme gibt es auch in der Sowjetunion. Die Vespa GS3 wird dort kopiert, leicht abgewandelt und als "Vyatka" verkauft. Insgesamt aber sind die Lizenzvergaben der Italiener erfolgreich: In England, in Frankreich, Pakistan, Malaysia, selbst im Iran läuft das Geschäft. Bis 1965 düsen weltweit bereits drei Millionen Vespas durch die Lande. Und das Gebrauchsfahrzeug erhält Kultstatus.
Auch heute scheint der Scooter für Individualisten immer noch genügend Sexappeal zu besitzen. Vor allem in Deutschland und den Niederlanden sind Vespakunden eine rasch wachsende Zielgruppe. Bereits über 15 Prozent aller in Europa neu zugelassenen Motorroller mit 50 Kubikzentimetern Hubraum sind laut einer aktuellen Peugeot-Marktstudie mittlerweile summende Nostalgieroller mit moderner Technik.
Sie sind zwar immer noch nicht unbedingt für die schnelle Beschleunigung konzipiert, sie können aber ein idealer Kompagnon im Stadtverkehr oder in den Kurven der Landstraße sein. Darüber hinaus sind sie parkraumsparend und bieten hohen Fahrkomfort. Was sich Piaggio wohl nie erträumt hätte: der Fahrer kann unterwegs sogar ein Smartphone über eine serienmäßige 12-Volt-Steckdose aufladen.
Bei dem 2014 eingeführten Peugeot Roller Django dürfen Scooterfreunde sich nun auch als Designer verwirklichen. Sie können einen individuellen Retroroller nach eigenen Wünschen mit einem Konfigurator auf der Website des französischen Herstellers per Mausklick am heimischen PC entwickeln. Zur Auswahl stehen dabei die Motorisierung, Farbe, Rückspiegel sowie Sitzbank, Zierleisten an der Verkleidung sowie weitere Accessoires.
In Erinnerung an die berühmten Traditions-Roller aus dem Pariser Straßenbild der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts werden mit dem neuen Nostalgie-Teil namens Django die historischen Werte in die Gegenwart transportiert. Erhältlich sind sie in vier Ausstattungs- und drei Hubraumversionen mit 50, 125 und 150 Kubikzentimeter. Die Linienführung präsentiert sich dabei mit klassischen Elementen und Ausrüstungsgegenständen in vier Varianten. Alle zulassungspflichtigen Modelle haben ein bemerkenswertes Sicherheitssystem, bestehend aus Integralbremse mit aktiver Bremskraftverteilung zwischen vorn und hinten.
Der Preis der einfachen Ausstattungslinie mit 50 Zentimeter Hubraum in sanften Pastelltönen im Stil der 50er Jahre mit verchromten Spiegeln und weißen Felgen beginnt bei 2500 Euro. Konkurrenz bekommt das italienische Original auch aus Indien. LML Star heißen die dort in Lizenz hergestellten Motorroller, die allerdings nur optisch der Vespa gleichen. Denn die "Zweibacksägen" aus Asien für rund 2600 Euro unterscheiden sich in erster Linie durch den Einsatz von Viertaktmotoren. Klingt umweltfreundlicher, aber das unverwechselbare Wespenbrummen bleibt auf der Strecke.