Hintergrund - Chronologie BASF-Unglück

27.08.2019 UPDATE: 27.08.2019 06:00 Uhr 4 Minuten, 31 Sekunden

Vom ersten Notruf bis zum Urteil: ein Rückblick auf die Explosionskatastrophe bei der BASF und deren juristischer Aufarbeitung.

17. Oktober 2016, 11.21 Uhr: Bei Reparaturarbeiten an einer Rohrleitung im Landeshafen Nord - ein Umschlagplatz für brennbare Flüssigkeiten und unter Druck verflüssige Gase - bricht ein Feuer aus. Der Notruf geht ein: "Brand in der Rohrtrasse." Drei Minuten später ist die Werkfeuerwehr mit zwei Fahrzeugen vor Ort. Ausgangspunkt der Katastrophe ist ein Rohrleitungsgraben mit 38 dicht an dicht nebeneinander liegenden Pipelines mit unterschiedlichen Inhaltsstoffen.

17. Oktober, 11.27 Uhr: Im Rohrleitungsgraben kommt es zu einer Explosion mit mehreren Folgebränden. Man geht von einigen Verletzten aus.

17. Oktober, 12.45 Uhr: Einige Personen werden vermisst. Der Steamcracker - ein Herzstück des weltgrößten Chemieverbunds - und rund 20 weitere Anlagen werden heruntergefahren.

17. Oktober, 19.45 Uhr: Der Tod von zwei Werkfeuerwehrmännern wird bestätigt. Später erliegt ein weiteres Wehrmitglied seinen Verletzungen.

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17. Oktober, 21.30 Uhr: Der Brand ist gelöscht.

19. Oktober 2016: Taucher der Polizei und der Feuerwehren bergen eine Leiche aus dem Hafenbecken. Zwei Tage später bestätigen die Behörden, dass es sich um den zuvor vermissten Matrosen eines niederländischen Tankschiffs handelt.

21. Oktober 2016: Vier Tage nach dem Unglück entdecken Kriminaltechniker und Kontrolleure der BASF einen etwa zehn Zentimeter großen Schnitt an einer (falschen) Leitung, der die Katastrophe mutmaßlich ausgelöst hat.

26. Oktober 2016: Nachdem beide Steamcracker stillgelegt waren, wird der größere hochgefahren. Neun der 200 Anlagen des Stammwerks sind noch außer Betrieb, 52 laufen gedrosselt. Der Sachschaden beträgt insgesamt 500 Millionen Euro.

27. Oktober 2016: Konzernchef Kurt Bock weist bei einer Pressekonferenz Vorwürfe zurück, die BASF habe Sicherheitsmaßnahmen auf dem Ludwigshafener Werksgelände vernachlässigt. In den vergangenen Jahren seien zehn Milliarden Euro in die Instandhaltung der Anlagen investiert worden. Zugleich wehrt sich Bock gegen Vorwürfe, er sei nach dem Unglück tagelang "untergetaucht". "Es wäre relativ einfach gewesen, mich vor eine Kamera zu stellen und mich an die Öffentlichkeit zu wenden. Ich habe es aber als meine Aufgabe angesehen, zuerst mit denen zu sprechen, die direkt betroffen waren, wie zum Beispiel den Feuerwehrleuten", betont Bock. Zudem habe er intern im Krisenstab der BASF gewirkt.

27. Oktober 2016: BASF-Werksleiter Uwe Liebelt sagt im rheinland-pfälzischen Landtag: "Wir haben sicherlich das Vertrauen beschädigt."

30. Oktober 2016: Ökumenische Gedenkfeier im Stadtteil Oppau. Der katholische Dekan Alban Meißner sagt: "Stille Verzweiflung, hilflose Wut und Zweifel an Gotte sind in der aktuellen Situation nachvollziehbar."

2. Dezember 2016: Bei einem Bürgerforum räumt BASF-Vorstandsmitglied Margret Suckale ein, der Chemieriese hätte mehr tun können, um den Menschen nach dem Unglück die Sorgen zu nehmen.

24. April 2017: Die Staatsanwaltschaft Frankenthal klagt den Schlosser einer Pfälzer Fachfirma wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung, der fahrlässigen Körperverletzung und der fahrlässigen Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion an. Der Mann hat 30 Jahre Berufserfahrung und arbeitete vor der Katastrophe schon seit zehn Jahren auf dem BASF-Gelände. Er sollte am 17. Oktober 2016 gemeinsam mit einem Kollegen in dem Rohrleitungsgraben eine entleerte Pipeline für Propylen zerlegen. Doch setzte er die Flex an einem benachbarten, falschen Rohr mit flüssigem Buten-Gemisch an. Durch Funkenflug entzündete sich das flüssige Raffinat und unterfeuerte eine Ethylen-Fernleitung, die so stark erhitzt wurde, dass sie explodierte und aus der Verankerung riss. Die 30 Zentimeter dicke Pipeline sei, so eine Gutachterin, wie ein "unkontrollierter Gartenschlauch" durch die Luft getanzt und habe wie ein mächtiger Flammenwerfer gewirkt. An einem Turbolader der herbeigeeilten Werkfeuerwehr kam es zu einer schweren Explosion.

5. September 2017: Ein vierter Mitarbeiter der Werkfeuerwehr erliegt seinen schweren Verletzungen. Damit steigt die Zahl der Todesopfer auf fünf.

17. Oktober 2017: Mit insgesamt drei Veranstaltungen gedenkt die BASF am Jahrestag der Katastrophe und ihrer Opfer. Das Unternehmen weiht einen Gedenkort auf dem Gelände der Feuerwache Nord ein: Vier Stelen stehen für die getöteten Feuerwehrleute. "Wir stehen an ihrer Seite", sagt Vorstandsvorsitzender Bock zu den Angehörigen.

5. Februar 2019: Prozessauftakt gegen den Arbeiter der Fachfirma vor dem Frankenthaler Landgericht. Unter dem Vorsitz von Richter Uwe Gau wird die Dritte Strafkammer in den folgenden Monaten 11.000 Seiten Aktenmaterial sichten. Zehn Gutachter haben sich mit dem Unglück befasst. Als Nebenkläger sind die Eltern eines getöteten Feuerwehrmanns, drei bei dem Unglück schwer verletzte Mitglieder der BASF-Werkfeuerwehr sowie die Witwe ihres Kollegen an dem Verfahren beteiligt.

21. März 2019: Die Aussage eines Tüv-Gutachters lässt die Prozessbeteiligten aufhorchen: So sei bereits im März 2011 bei einer Kontrolle ein Schnitt entdeckt worden, der fatale Folgen hätte haben können: Betroffen war den Akten zufolge ein Rohr für flüssiges Ammoniak, das giftig ist und mit hohem Druck ausgetreten wäre. Glück im Unglück: Die Pipeline war lediglich angeritzt worden. Der Sachverständige empfiehlt farbliche Markierungen. Gesetzliche Regelungen gebe es dafür aber nicht. Der Tüv-Mann schlägt vor, die Ethylen-Leitung künftig mit einer Brandschutzummantelung effektiver vor Hitze zu schützen. Für unzureichend hält er 1,20 Meter langen Schilder, die in Abständen von 200 Metern in dem Leitungsgraben aufgestellt sind. Farblich unterschieden sich die "wie Zinnsoldaten" nebeneinander liegenden Rohre dagegen nicht. Sie sollten farblich markiert werden. Wie in dem Prozess weiter herauskommt, wurden die Schnittstellen lediglich mit Eddingstiften und Kreide gekennzeichnet. Inzwischen werden bei Reparaturarbeiten an allen Schnittstellen Banderolen mit Signalfarben angebracht.

6. April: Genau 900 Tage nach dem Unglück bricht der angeklagte Arbeiter vor Gericht sein Schweigen. Seine Erinnerungen sind lückenhaft, aber: "Ich denke, ich war am richtigen Rohr." Der 63-jährige, aus Bosnien-Herzegowina stammende und in Mannheim wohnende Schlosser klagt, es gehe ihm "gesundheitlich ganz schlecht". Er selbst hatte Verbrennungen zweiten und dritten Grades erlitten, zweimal musste dem Mann an Beinen Haut transplantiert werden. Bis heute leide er an schweren Depressionen, massiven Schlafstörungen, Ängsten und Panikattacken.

April: Zeugen berichten von einer Großschadensübung 2015 bei der BASF. Dabei war die Ethylen-Fernleitung durch Feuer erhitzt worden und drohte zu explodieren. Dabei fiel den Beteiligten auf, dass die Sicht von der Leitwache auf den Rohrgraben schlecht ist. Der Hafenmeister erklärte, dass sich bei dem Unglück die Ethylen-Leitung schon dunkelrot verfärbt hatte. Als er Kollegen in der Messwarte anweisen wollte, alle Leitungen per "Not-Stopp" zu schließen, sei sie hochgegangen.

17. Juni: Für einen Brandursachen-Experten steht zweifelsfrei fest, dass der Arbeiter mit seinem Schnitt ins falsche Rohr die Katastrophe ausgelöst hat. Er schließt Manipulationen an der Leitung aus.

19. August: Ein Tüv-Gutachter für Fernleitungen kritisierte, dass der Ethylen-Pipeline vor der Katastrophe eine Brandschutzbeschichtung fehlte. Dadurch hätte man eine Explosion bis zu zwei Stunden hinauszögern können, sodass ausreichend Zeit für Gegenmaßnahmen geblieben wäre. Er rügt zudem, dass die Leitungen nicht eindeutig gekennzeichnet waren. Ein Schild alle 200 Meter reiche keinesfalls aus. Der Inhalt einer Pipeline müsse weithin erkennbar sein. Auch der Abstand zwischen den Leitungen im Rohrgraben sei viel zu gering.

21. August: Vor dem Landgericht werden die Plädoyers gehalten. Oberstaatsanwalt Dieter Zehe geht von Augenblicksversagen aus und fordert für den Angeklagten eine Bewährungsstrafe von einem Jahr. "Suboptimal" findet er die Kennzeichnung der Leitungen in dem Rohrgraben, die aber vom Tüv so genehmigt worden seien. Carsten Tews, der Anwalt des Arbeiters, beantragt hingegen einen Freispruch. Er kritisiert Fehler und Ungenauigkeiten beim Ausstellen der Erlaubnisscheine für die Bauarbeiten. Die beiden Nebenkläger-Anwalte plädieren dafür, den 63-Jährigen für zweieinhalb Jahre ins Gefängnis zu schicken. Anwalt Alexander Klein sieht eine Mitschuld der BASF.

21. August: Das Landgericht verurteilt den Arbeiter zu einem Jahr Haft auf Bewährung. (alb)