Hintergrund BG RCI

22.02.2021 UPDATE: 22.02.2021 06:00 Uhr 2 Minuten, 48 Sekunden

"Schutz fängt beim Bewusstsein an"

Eine ganz entscheidende Rolle spielt der Mensch, erklärt Thomas Köhler, Hauptgeschäftsführer der BG RCI mit Sitz in Heidelberg. Damit Arbeitsschutz in einem Unternehmen gelinge, hänge auch davon ab, ob Aussagen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz auch tatsächlich so gemeint sind oder ob jemand nur eine rechtliche Pflicht erfüllt, erklärt er im Interview mit der RNZ.

Herr Köhler, die Berufsgenossenschaft investiert jedes Jahr viel Geld in den Gesundheitsschutz. Trotzdem passieren immer wieder schwere Unfälle am Arbeitsplatz. Wie erklären Sie das?

Im letzten Jahr haben wir mehr als 116 Millionen Euro in die Präventionsaufgaben investiert. Denn es ist unsere Aufgabe, die Mitgliedsunternehmen in allen Fragen der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes zu beraten und zu überwachen. "Mit allen geeigneten Mitteln" – so sagt es der Gesetzgeber. Aber auf eines will ich auch deutlich hinweisen: Der Arbeitsschutz selbst vor Ort in den Betrieben, also die ganz konkrete Umsetzung und Ausgestaltung, ist in unserem Rechtssystem Aufgabe der Unternehmer.

In welchen Bereichen kann Ihrer Ansicht nach noch mehr geschehen?

Ein besonderes Augenmerk unserer Präventionsarbeit liegt in der intensiveren Betreuung der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Bei ihnen liegt die Unfallquote vergleichsweise höher als in Großunternehmen. Große Unternehmen haben es naturgemäß leichter als Kleinbetriebe, da sie eigene Fachleute für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz beschäftigen können.

In den KMU müssen wir dazu beitragen, dass eine gute Präventionskultur verankert wird. Das ist dann der Fall, wenn die Sicherheit und die Gesundheit der Beschäftigten im betrieblichen Handeln einen eigenständigen Wert erhalten. Dazu müssen wir vor allem die Unternehmer und die Führungskräfte ins Boot holen.

Welche Rolle spielt der Faktor Mensch bei Arbeitsunfällen?

Er spielt eine ganz entscheidende Rolle. Wir haben 300 tödliche Arbeitsunfälle unter die Lupe genommen, die sich in einem Zehn-Jahres-Zeitraum ereignet haben. Bei 75 Prozent der untersuchten Arbeitsunfälle hatte die betroffene Person einen direkten Einfluss auf den Ablauf des Geschehens. Unfallursächlich waren oft unüberlegtes Handeln, Leichtsinn, Nachlässigkeit durch Routine, aber leider auch die Missachtung von Sicherheitsregeln und die Manipulation von Schutzeinrichtungen.

Ganz wichtig ist deshalb, dass die Arbeitsschutzorganisation im Betrieb funktioniert. Der Arbeits- und Gesundheitsschutz muss in die Strukturen und Abläufe des Unternehmens eingebunden sein. Als eine zentrale Aufgabe muss der Arbeitgeber regelmäßig eine Gefährdungsbeurteilung durchführen, um sich über die vorhandenen Gefährdungen bei der Arbeit klar zu werden.

Auf dieser Grundlage kann er dann die richtigen Schutzmaßnahmen treffen und vor allem seine Beschäftigten systematisch zur Arbeitssicherheit unterweisen. Für die Erstellung der Gefährdungsbeurteilung kann der Arbeitgeber bei uns praktische Arbeitshilfen bekommen.

Welche Bereiche sind am anfälligsten? Wo passieren die meisten Unfälle?

Die Unfallquote unserer Mitgliedsunternehmen liegt erfreulicherweise unter dem Durchschnitt der gewerblichen Wirtschaft. Die 1000-Mann-Quote, also die Zahl der meldepflichtigen Arbeitsunfälle je 1000 Vollarbeiter, lag 2019 im Durchschnitt aller gewerblichen Berufsgenossenschaften bei 23,5. Bei uns betrug die Quote 19,0. Die Zahlen für 2020 werden im Moment noch bundesweit abgeglichen.

Ihre Kontrolleure können nicht überall sein und schauen, ob die Arbeitsschutzrichtlinien eingehalten werden. Bräuchten Sie mehr Personal?

Mehr Kontrollen durch unsere Aufsichtspersonen sind nicht die richtige Antwort. Arbeitsschutz fängt beim Bewusstsein an. Er muss gewollt sein und zwar von ganz oben im Unternehmen. Vom Vorstand, vom Geschäftsführer oder dem Inhaber des Unternehmens. Auch hier gilt: Die Treppe wird von oben herab gekehrt.

Entscheidend ist im Arbeitsschutz das Verhalten und das Vorbild der obersten Führungsebene. Die Beschäftigten haben ein feines Gespür dafür, ob Aussagen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz auch tatsächlich so gemeint sind oder ob hier jemand nur eine rechtliche Pflicht erfüllt.

Wo schwächeln die Unternehmen?

Das kann ich nicht pauschal beantworten, dazu sind die Rahmenbedingungen unserer sehr heterogenen Mitgliedsunternehmen zu unterschiedlich. Genau das macht aber auch unsere Präventionsarbeit komplex und herausfordernd. Wenn ein Unternehmen erkannt hat, dass der Arbeitsschutz ein integraler Bestandteil der Unternehmensorganisation ist, fallen die Beratungen durch unsere Experten auf fruchtbaren Boden.

Wie hoch sind die Mitgliedsbeiträge?

Der durchschnitte Beitragssatz der BG RCI liegt aktuell bei 1,33 Euro je hundert Euro Entgelt. Was viele nicht wissen: die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung zahlt allein der Arbeitgeber. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben also vollen Versicherungsschutz, ohne sich – im Gegensatz zur Kranken- oder Rentenversicherung – daran finanziell beteiligen zu müssen. Es gibt ein Bonus-Malus-System, das die Betriebe belohnt, die sich erfolgreich für die Unfallverhütung einsetzen. Unternehmen, in denen sich viele oder sehr schwere Unfälle ereignet haben, müssen mit einem höheren Beitrag rechnen als Unternehmen, die wenige, nur leichte oder keine Unfälle zu verzeichnen haben.