Wiesloch/Walldorf. (seb) Voraussichtlich noch bis zum 18. April sind die Tafel-Läden in Wiesloch und Walldorf geschlossen. Wegen des Ansteckungsrisikos durch das neue Coronavirus sowohl für die Mitarbeiter als auch die Kunden war dieser Schritt notwendig, ist den Teams der Tafeln aber alles andere als leicht gefallen.
Während man an alternativen Ideen zum Ladenverkauf arbeitet, in Wiesloch beispielsweise Einkaufsgutscheine verteilt werden (siehe RNZ vom 4./5. April), weist man auch auf ein zusätzliches Problem hin: Die Tafeln haben wegen der derzeitigen "Hamsterkäufe" nichts zu verteilen. Den Tafel-Kunden bleiben momentan nur Supermärkte oder Discounter, in denen aber die günstigsten Artikel oft ausverkauft sind – und überdies sind Preissteigerungen zu befürchten.
Die Tafeln weisen darauf hin, dass sie als ehrenamtliche Organisationen "in die Bresche gesprungen" seien: Eigentlich müsste der Staat dafür sorgen, dass die Menschen sich auch ohne Tafeln mit dem Nötigsten versorgen könnten, und wenn Hartz IV oder Grundsicherung nicht ausreichten, müsse da nachgesteuert werden. Dazu äußerten sich der RNZ gegenüber drei Politiker aus der Region, die Bundestagsabgeordneten Dr. Jens Brandenburg (FDP) und Prof. Dr. Lars Castellucci (SPD) sowie der Landtagsabgeordnete Karl Klein (CDU).
Jens Brandenburg teilt mit: "Die Tafeln leisten eine hervorragende Arbeit. Der Staat darf seine Kernaufgabe der sozialen Sicherung aber nicht auf das Ehrenamt abwälzen. Das gilt erst recht in Krisenzeiten. Die Corona-Krise trifft ältere, alleinerziehende, kranke, erwerbs- und obdachlose Menschen besonders hart. Viele Tafeln und günstige Geschäfte schließen. Für viele Kinder in der Grundsicherung fällt mit dem Schulessen die wichtigste Mahlzeit am Tag aus. Deshalb sollten wir die Grundsicherung für Alleinerziehende jetzt temporär um 20 Prozent und für ältere Menschen, Menschen mit Behinderung und Elternpaare mit Kindern um 15 Prozent erhöhen.
Dr. Jens Brandenburg (FDP). Archiv-Foto: PfeiferTafeln sind auch Orte der Begegnung und des sozialen Miteinanders. Das wird keine staatliche Transferleistung ersetzen können. Die aktuellen Einschränkungen des öffentlichen Lebens sind notwendig, um Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Der Ausnahmezustand ist aber keine Dauerlösung. Die Kunden der Tafeln leiden auch unter Kontaktverboten und der sozialen Distanzierung. Wir müssen alles daran setzen, das Virus schnellstmöglich einzudämmen und zu einem gesellschaftlichen Miteinander zurückzukehren."
Lars Castellucci sagt: "Die wenigsten Leserinnen und Leser der RNZ werden sich vorstellen können, wie es ist, wenn im letzten Drittel des Monats das Geld für das Nötigste knapp wird. Leider ist das aber die Lebenswirklichkeit doch einer beträchtlichen Anzahl von Menschen auch in unseren Städten und Gemeinden. Deshalb habe ich die Wieslocher Tafel auch mitgegründet und bin dankbar für das stetige Engagement und für die Spendenbereitschaft, die wirklich den Ärmsten zugute kommt.
Prof. Dr. Lars Castellucci (SPD). Archiv-Foto: PfeiferEigentlich ist es eine staatliche Aufgabe, also eine Aufgabe von uns allen, hier wirksamer zu helfen. Das ist nicht nur, aber eben auch auch eine Frage von Geld. Aus meiner Sicht sind die Regelsätze gut, um schwierige Zeiten zu überbrücken. Sie sind aber zu niedrig, um dauerhaft davon zu leben. Hier besteht weiter Handlungsbedarf. Die Tafeln in Wiesloch und Walldorf haben nun vorerst schließen müssen. Das ist völlig nachvollziehbar, denn wir alle und insbesondere die Älteren müssen sich schützen und dafür unnötige Kontakte vermeiden. Für die Kundinnen und Kunden der Tafeln ist das gleichzeitig ein schwerer Schlag. Ich hoffe sehr, dass es gelingt, hier zur Überbrückung eine Lösung zu finden. Ich weiß, dass danach bereits gesucht wird. Ob Ministranten oder Schülerinnen, viele haben gerade Zeit und starten Hilfsangebote. Vielleicht lässt sich dieses Engagement verbinden. Oder wir rufen zu Spenden auf, so dass Einkaufsgutscheine für die normalen Supermärkte ausgegeben werden können. Das würde ich auch gerne unterstützen. In Berlin setze ich mich für einen befristeten Aufschlag auf die Regelsätze als Soforthilfe ein, wie sie ja gerade auch anderen zugute kommt."
Karl Klein hat für die Tafeln und Vereine im Allgemeinen folgenden Tipp: "Auch Vereine können grundsätzlich Soforthilfen beantragen, wenn sie am Markt tätig und bestimmte andere Voraussetzungen erfüllt sind.
Unserer Förderkulisse liegt die Definition der Europäischen Kommission für Kleinstunternehmen, kleine und mittlere Unternehmen (KMU) zugrunde. Gemäß der Definition ist ein Unternehmen "jede Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt".
Der bestimmende Faktor ist die wirtschaftliche Tätigkeit, nicht die Rechtsform. In der Praxis bedeutet das, dass Selbstständige, Familienunternehmen, Personengesellschaften und Vereinigungen oder sonstige Einheiten, die regelmäßig eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, als Unternehmen angesehen werden können.
Karl Klein (CDU). Archiv-Foto: PfeiferAls wirtschaftliche Tätigkeit wird üblicherweise der Verkauf von Produkten oder die Erbringung von Dienstleistungen zu einem bestimmten Preis auf einem bestimmten, direkten Markt angesehen.
Neben dem Merkmal "Unternehmen im Sinne der KMU-Definition" sind allerdings auch Verflechtungen (ab Beteiligungen von 25 Prozent) mit anderen Unternehmen zu berücksichtigen.
Insofern sind möglicherweise nicht alle gemeinnützigen Körperschaften "eigenständige kleine Unternehmen" im Sinne der Definition und liegen in Summe mit dem verbundenen Unternehmen über den Schwellenwerten. Daneben gelten natürlich weitere rechtliche Vorgaben, zum Beispiel aus dem Beihilferecht (und darüber hinaus). Das ist keine verbindliche Auskunft, kann aber helfen, die Chancen für einen Antrag abzuschätzen.
Die Tafeln, wie beispielsweise in Wiesloch und Walldorf, leisten für bedürftige Mitmenschen eine großartige Arbeit. Dafür gebührt allen Helferinnen und Helfern wie auch allen Unternehmen, welche die Tafeln unterstützen, mein aufrichtiger Dank und meine Anerkennung.
Viele Menschen, die sich meist seit vielen Jahren ehrenamtlich bei den Tafeln engagieren, sind älter und gehören daher zu der Coronarisikogruppe und müssen auf ihre eigene Gesundheit achten. Durch die Schließung von Tafelläden hat die soziale Not spürbar zugenommen. Unnötige Hamsterkäufe sorgen übrigens nicht nur dafür, dass die Regale in den Supermärkten leer sind, sondern auch dafür, dass bei den Tafeln nichts mehr ankommen kann.
Bundesweit versorgen nach den mir vorliegenden Zahlen die Tafeln zirka 1,65 Millionen Menschen. Es ist höchste Zeit, die soziale Not von zahlreichen unserer Mitmenschen in den Fokus zu nehmen und Regelungen herbeizuführen, um diesen Menschen stärker zu helfen."