Wiesloch

Joachim Gauck nahm den Nachhilfeunterricht dankend an

Auch der Altbundespräsident lernte in einer Diskussionsrunde in Wiesloch zum Thema Integration noch einiges Neues

07.05.2019 UPDATE: 08.05.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 31 Sekunden

Gesprächsrunde zum Thema Integration: Altbundespräsident Joachim Gauck sprach mit Menschen mit Migrationshintergrund und Haupt- und Ehrenamtlichen aus der Integrationsarbeit. Foto: Pfeifer

Wiesloch. (rö) "Es gefällt mir, was ich hier erlebt habe", sagte Altbundespräsident Joachim Gauck nach einer Diskussionsrunde zum Thema Integration im Bürgersaal des Alten Rathauses in Wiesloch. "Lebenslanges Lernen gibt es tatsächlich", bedankte sich Gauck für die Erfahrungen der Teilnehmer der Runde. Und das, obwohl er auch sagte: "Ich brauche eigentlich keinen Nachhilfeunterricht." Er wisse, dass "wir nur als offene Gesellschaft eine Zukunft haben".

Auslöser für den Besuch war ein Interview, in dem der evangelische Theologe Gauck, von 2012 bis 2017 der elfte Bundespräsident Deutschlands, gesagt hatte, es sei "nicht hinnehmbar", wenn Zuwanderer nicht Deutsch sprächen. "Die Formulierung war etwas harsch", sagte Gauck aus heutiger Sicht. Unter den Reaktionen war auch ein "sehr höflicher Brief" des Wieslocher SPD-Bundestagsabgeordneten Lars Castellucci, der Gauck zum Besuch in der Weinstadt und hier zum Austausch mit Menschen mit Migrationshintergrund sowie Haupt- und Ehrenamtlichen aus der Integrationsarbeit einlud. Ausdrücklich betonte der aus Rostock stammende Altbundespräsident, nach der Wiedervereinigung kurzzeitig Mitglied des Bundestags für das Bündnis 90, im Vorfeld der Kommunalwahl: "Ich bin nicht als Wahlkampfhelfer hergekommen." Er sei ein "parteiloser Bürger und Wechselwähler".

Eröffnet wurde die bunte Runde unter dem Titel "Gut zusammen leben in Deutschland - was haben wir erreicht, was muss noch besser werden?" von Lars Castelluccis Vater Bruno, 1962 aus Italien nach Deutschland gekommen, der von seinen damaligen Schwierigkeiten berichtete, das Wort "Streichholzschachtel" auszusprechen. Heute sagt er: "Ich bin seit 57 Jahren hier. Das ist mein Zuhause." Elke Anders-Lasch berichtete aus ihrer Erfahrung als Schulsozialarbeiterin am Walldorfer Schulzentrum: "Miteinander zu sprechen, ist das A und O." Deshalb sei es wichtig, dass die Kinder von Migranten schnell die Sprache lernten. "Es ist schwierig, Deutsch zu lernen", erzählte aber Özlem Sahin, die seit fünf Jahren in Deutschland lebt und auf ihre Einbürgerung hinarbeitet.

"Die Geflüchteten strengen sich unheimlich an", sagte Monika Gessat vom Netzwerk Asyl, wies aber auch auf Hemmnisse und bürokratische Hürden hin - etwa, wenn eine Mutter, deren Kind die Kita in Wiesloch besucht, wegen der schlechten Bleibeperspektive die Fahrkarte für den Bus zum Sprachkurs nach Walldorf nicht bezahlt bekommt und dann Kind und Kurs nicht unter einen Hut bringen kann. Akif Ünal, der hier geboren ist und studiert hat, erzählte zunächst von den Erfahrungen seiner Frau: Die habe wie er Abitur, aber weil sie ein Kopftuch trägt, sei sie in den Augen vieler "nicht ansprechbar" - die Leute wendeten sich dann grundsätzlich an ihn.

Aus dem Alltag des Wieslocher Eine-Welt-Kindergartens, der sich seit vier Jahren Familienzentrum nennt, berichtete dessen Leiterin Doris Mülbaier. Über 80 Prozent der Kinder hätten einen Migrationshintergrund, sei man "der bunteste Kindergarten Wieslochs", das sehe sie "als Bereicherung". Dazu gehöre aber auch, dass man sich nicht nur um die Kinder kümmere, sondern "schon längst Familienarbeit" betreibe, in der es um Vertrauen und Beziehungen gehe. Sultan Demir, Vorsitzende der Alevitischen Gemeinde in Wiesloch, ist nach der Scheidung der aus Anatolien stammenden Eltern bei ihrer Mutter aufgewachsen, das sei gerade finanziell "nicht immer einfach" gewesen. Obwohl sie keinen Kindergarten besucht und erst nach der Geburt ihrer Tochter im Alter von 19 Jahren einen Beruf erlernt habe, sah sie rückblickend "eine positive Entwicklung".

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Aus Polen ist Monika Schulz nach Deutschland gekommen, heute ist sie Fachbereichsleiterin Fremdsprachen an der Volkshochschule. Zweifellos sei "Sprache der Schlüssel zur Integration", aber sie habe sich damals als junge Mutter auch ohne Sprachbarriere schwer getan, andere Frauen "auf dem Spielplatz kennenzulernen". Sie sei einfach "fremd" gewesen, manchmal sei es viel wert, "wenn jemand mit dir einen Kaffee trinken geht". Ganz anders das Problem von Mohammed Wasim Arafat: Wenn der Inder die Kollegen auf Deutsch anspricht, antworten sie auf Englisch - "weil sie ihr Englisch verbessern wollen".

"Zuwanderung ist ein Gewinn", forderte Joachim Gauck dazu auf, nicht über die damit verbundenen Probleme, sondern lieber "über die ganze Vielfalt" zu sprechen. Dafür müsse man "auch mal Tacheles unter den Milieus reden", um unterschiedliche Meinungen kennenzulernen. Sein Fazit: "Es geht nur, wenn man zueinander kommt." Ihm und allen Teilnehmern galt der Dank Lars Castelluccis: "So eine Runde kommt zu selten zustande", meinte er.

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