Von Armin Rößler
Rauenberg. Es ist schon ein komisches Gefühl, wenn man da oben steht, auf dem Mannaberg, knapp unterhalb der Michaelskapelle, am Start des Seifenkistenrennens. Die Stimmung schwankt zwischen angespannter Nervosität und großer Vorfreude auf das Rennen. Der Motorradhelm erinnert noch am ehesten an den "echten" Rennsport, der Rest ist hier Marke Eigenbau: die Seifenkiste, eine über dreißig Jahre alte Holzkonstruktion, mit einer ziemlich schweren Hinter- und einer etwas leichteren Vorderachse, einem extrem schwergängigen Bremszug und einem straff gespannten Seil, mit dem gelenkt wird.
Warum habe ich mich noch mal darauf eingelassen, hier nach über zwanzig Jahren wieder an den Start zu gehen? Richtig, als "Urlaubsvertretung", nachdem der "Grand Prix am Mannaberg" der Rauenberger KJG wegen der schlechten Wetterprognose nicht wie geplant am Pfingstmontag über die Bühne gehen konnte.
In der S-Kurve hatten die Zuschauer beim Seifenkistenrennen den besten Blick aufs Spektakel. Foto: Pfeifer
Vor dem Rennen ist jede Gelegenheit zum Training hochwillkommen. Das funktioniert in vier Versuchen beim inoffiziellen Termin von Mal zu Mal besser - das langsame Anrollen am Start, die sich anschließende Gerade durch die Rauenberger Weinberge, auf der die wackelige Kiste ordentlich Tempo aufnimmt, die Anfahrt zur S-Kurve, vor der dringend die Bremse zum Einsatz kommen muss. "Die bremst ja gar nicht", habe ich noch vor dem Start festgestellt.
Doch, klären mich die erfahreneren Kollegen auf - den Oberkörper aufrichten und mit vollem Gewicht in das Brett fallen lassen, das den Seilzug und damit auch die Bremsbacken aktiviert. Aha, da ist einiges an Skepsis angesagt. Aber es funktioniert tatsächlich: Bremsen vor der Kurve, erneut Bremsen in der Kurve, das geht. Und mit jedem weiteren Versuch riskiert man natürlich ein bisschen mehr. Hinter der Kurve heißt es dann wieder "laufen lassen" bis ins Ziel.
Das offizielle Training am Tag vor dem eigentlichen Rennen besuchen nur sieben Teams, durch die Verlegung sind viele der Stammfahrer im Urlaub, das Feld ist klein. Jetzt werden auch die Zeiten gemessen: 57,90 Sekunden im ersten Versuch sind für die 540 Meter lange Strecke in Ordnung, beschließe ich, mit 55,50 im zweiten Anlauf bin ich sogar ziemlich zufrieden.
Screenshot: RNZonline
"Do geht awa noch ä bissel was", lautet ein aufmunternder Kommentar bei Facebook - klar, die Topzeit hebe ich mir fürs Rennen auf. Interessant beim Training ist auch die digitale Geschwindigkeitsanzeige am Kurvenausgang: Ich habe erst 28, dann 29 "Sachen" drauf, gar nicht so schlecht.
Am Renntag ist die Anspannung dann schon ein bisschen größer, gepaart mit aufkeimender Euphorie, weil ja bisher alles so gut geklappt hat. Unter den Fahrern der heute zwölf Teams wird fleißig geflachst, alle wollen gewinnen, aber keiner nimmt die Sache allzu ernst. Vor mir ist Tim Beyerer mit seiner Gaudikiste an der Reihe, der "Seifenkiste für alle Wetter", einem rollenden Haus, aus dessen Schornstein es ganz schön qualmt.
An einer Schnur zieht er leere Dosen hinter sich her, als sei er "just married". "Verlier’ bloß keine", scherze ich. "Da musst du vorsichtig fahren", nimmt mich Babucar Sanyang vom "Team Bamboo", der ebenso mutigen wie gut gelaunten Mannschaft aus Geflüchteten, die erstmals beim Rennen dabei ist, auf die Schippe. "Vielleicht Slalom", meine ich.
Sie durften auch einige Gaudikisten bewundern, wie die „Seifenkiste für alle Wetter“ von Tim Beyerer. Foto: Pfeifer
Dann geht’s endlich auf die Strecke, Zeitnehmer Jan Barthel gibt die Fahrt frei. Vorbei an der Rennleitung mit Lukas Zielbauer und Andre Klefenz ist das auf der langen Gerade ein flottes Vergnügen und ein gutes Gefühl. Das bleibt aber leider nicht so: Wahrscheinlich bremse ich im Überschwang zu spät oder nicht kräftig genug, bin bei der Kurveneinfahrt viel zu schnell. Die Fliehkräfte zerren mit Macht an mir, der nächste Bremsversuch kommt viel zu spät und bringt die Kiste endgültig ins Schlingern.
Ich rase gegen den Randstein, komme mit dem linken Vorderrad den Hang hinauf, die Kiste wird angehoben, mich schlägt’s auf den Asphalt, das Gefährt holpert über mich wieder auf die Strecke. "An der Stelle hat noch nie jemand einen Unfall gebaut", bekomme ich später zu hören, dementsprechend sind hier auch keine dämpfenden Strohballen.
Ein paar Sekunden der Schockstarre, für mich gefühlt sehr kurz, für die Zuschauer deutlich länger, dann springe ich auf und packe mir die Kiste. RNZ-Fotograf Jan A. Pfeifer, dem ich direkt vor die Linse gefallen bin, rufe ich noch zu, dass wir diese Bilder wohl eher nicht nehmen. "Willst du weiter fahren?", fragt ein erstaunter Streckenposten.
"Natürlich", sage ich, voller Adrenalin, sitze schon wieder auf dem Vehikel, rolle langsam an, das Seil noch nicht richtig in Händen, aufgemuntert vom Applaus der trotz Ferien erstaunlich vielen Zuschauer und den besten Wünschen von Rennsprecher Tristan Beyerer. Die Geschwindigkeit fehlt, es geht nach 86 Sekunden vergleichsweise gemütlich ins Ziel. Der nächste Fahrer macht es besser: Ihn haut es erst nach der Linie von seiner Kiste, auch das gibt ein paar Schrammen.
"Deshalb trainiere ich nie", sagt mir mein Teamchef Andreas Ihle und stellt fest: "Wenigstens ist die Kiste noch in Ordnung." Später wird er mit 52,50 Sekunden schnellster Fahrer des Rennens, für unser Team, zu dem noch Jörg Frey gehört, reicht’s immerhin zu Platz drei.
Das „Lucky Racing“-Mobil von Familie Steinbach. Foto: Pfeifer
Frank Salomon vom DRK Rauenberg versorgt meine Schürfwunden an Arm, Hand und Knie, fachmännisch assistiert von Birgit Siemers, und meine Kinder freuen sich, dass sie - anders als im Training - beide schneller waren als ich: 67,31 für Meline und 63,99 für Finnegan sind jeweils persönliche Bestzeit. Weil aber auch ihr Mitfahrer Lukas einen schmerzhaften Unfall in der Kurve hat (ihm geht’s zum Glück wieder besser, war am Abend zu erfahren), liegen bei den tapferen Kindern und Jugendlichen andere vorne.
Die Gruppenstunde 2004 (Johannes, Nico, Konrad) gewinnt vor den Skifreunden Rotenberg (Leonard, Leon, Erion) und den Spikey Hedgehogs (Thomas, Frerk, Johannes). Bei den Senioren siegen die Skifreunde Rotenberg (Heiko Repper, Nicco Johannes, Bodri Dalloshi), den Preis für die lustigste Gaudikiste bekommen Christian und Michael Steinbach.
"Fährst du nächstes Jahr wieder mit?", fragt mich abends meine Tochter. Ich gebe sicherheitshalber keine verbindliche Antwort.