Gemeinde ringt um Handlungsfähigkeit
St. Leon-Rot hat auf die Coronakrise reagiert - Krisenstab im Rathaus - Gravierende finanzielle Folgen erwartet
St. Leon-Rot. (seb) "Eine Riesenherausforderung" stellt die Coronakrise auch für die Gemeinde St. Leon-Rot dar. Im Gespräch mit der RNZ legte Bürgermeister Dr. Alexander Eger dar, wie die Gemeindeverwaltung darauf reagiert hat.
Für eine direktere Kommunikation und einen schnelleren Austausch untereinander hat das Rathausteam einen Krisenstab mit acht Gruppen gebildet, mit Aufgaben wie Personalangelegenheiten, Informieren der Bevölkerung sowie Sicherheit und Ordnung. Auch die Bürgerhilfen werden von einer Gruppe koordiniert, etwa die ehrenamtliche Einkaufsunterstützung, die sich laut Eger dank vieler Freiwilliger "sehr schön" gestaltet.
Die Sicherheitsmaßnahmen sehen unter anderem vor, dass immer nur die Hälfte des 65-köpfigen Rathausteams im Büro ist, die anderen Kollegen im "Home Office" arbeiten, auch das technisch und vom Datenschutz her nicht gerade einfach. Insgesamt hat die Gemeindeverwaltung rund 150 Mitarbeiter, die Eigenbetriebe eingeschlossen. Da war "Home Office" Eger zufolge nicht immer möglich, man suchte neue Aufgaben für die Beschäftigen und teilweise musste man zu Kurzarbeit greifen. "Wir wollen sie ja weiter beschäftigen", erklärt der Bürgermeister, "die sollen alle da sein, wenn es wieder losgeht": "Keiner unserer Mitarbeiter ist entbehrlich."
Kein Mitarbeiter entbehrlich
Um handlungsfähig zu bleiben, gebe es für die Verwaltung "Notbehelfe und Krücken", aber nur in begrenztem Umfang. Gemeinderatssitzungen – die zur Sicherheit zuletzt abgesagt wurden – könnten auch in Coronazeiten notwendig werden, grundsätzlich gelte: "Der Gemeinderat ist keine gesellschaftliche Versammlung, er ist das Hauptorgan der Gemeinde." Daher müsse er in die Suche nach Lösungen in der Krise und in alle Entscheidungen einbezogen werden. Eger hob dabei das gute, vertrauensvolle Verhältnis von Verwaltung und Rat hervor, durch das das Rathausteam viel Freiraum für kurzfristige wichtige Schritte erhalten habe.
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Sicherlich könne das eine oder andere zeitlich verschoben werden, momentan habe die Krise mit ihren Folgen klar Vorrang, so Eger. Und da könnte für den Gemeinderat eine Frage auftauchen: Ob St. Leon-Rot, das bisher Schulden im Kernhaushalt vermieden hat, jetzt Kredite aufnehmen sollte, "das überlegt sich ja ganz Deutschland, die ganze Welt".
Eine wichtige Aufgabe der Kämmerei ist Eger zufolge aktuell die kritische Prüfung der Ausgabenseite. Der diesjährige Haushaltsplan wies bereits ein Defizit von 1,25 Millionen Euro auf, als er Anfang März verabschiedet wurde ("Einnahmen haben sich ’deutlich verschlechtert’", die RNZ berichtete am 5. März). Der Etat wurde unter äußerst schwierigen Bedingungen erstellt, denn dem Rechnungsamt fehlen wegen Stellenwechsel und Krankheit seit Oktober sowohl Leitung als auch deren Stellvertretung. Erst jetzt im April sollen die neuen Mitarbeiter starten, und das unter diesen schwierigen Bedingungen.
So gilt Egers Dank dem verbliebenen Team der Finanzverwaltung für dessen außerordentliches Engagement, "die machen einen wahnsinnig guten Job". Und: Anton Kremer, ehemaliger Beigeordneter und Ehrenbürger St. Leon-Rots. Der 74-Jährige war eigens aus dem Ruhestand geholt worden und hatte sich unter schwierigen Umständen maßgeblich in die Finanzplanungen eingebracht – was dann aber, ab März, nicht mehr möglich war.
Jetzt müsse klar abgewogen werden, was für die Funktionsfähigkeit der Gemeinde dringend notwendig ist und was zeitlich quasi gestreckt werden kann. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht sieht Eger aber eine Verantwortung: "Man muss doch froh sein über jede Firma, jeden Menschen, der Arbeit hat. Wenn Kommunen anfangen, nichts mehr auszugeben, geraten wir in einen Teufelskreis und fallen ins Bodenlose."
Wo keinesfalls nachgelassen werden darf: bei so grundlegenden, kritischen Aufgaben wie der Abwasserentsorgung. "Die Kläranlage kann ich nicht stillegen, die braucht Personal, das ganze Jahr über, sieben Tage die Woche und 24 Stunden täglich". Das seien keine chemischen, sondern biologische Prozesse, sehr komplex, "ein sensibles System, das aktiv im Gleichgewicht gehalten werden muss".
Dem und der Trinkwasserversorgung gelten aktuell "die größte Aufmerksamkeit", so Eger. Glücklicherweise war der erste Teil von Sanierung und Vergrößerung des Wasserhochbehälters des Eigenbetriebs vor der Krise weitgehend abgeschlossen, Teil zwei soll planmäßig erst wieder im Spätjahr aufgenommen werden. Auch der neue, nunmehr sechste Brunnen der Wasserversorgung wird zurzeit noch wie ursprünglich beabsichtigt realisiert, über 1,5 Millionen Euro sind dafür im Haushaltsplan eingestellt. Wie Eigenbetriebsleiterin Angelika Laux und Wassermeister Jürgen Dieckmann ergänzend erläutern, wird momentan die Leitung zwischen Wasserwerk und Brunnen unterirdisch verlegt, das soll in den nächsten drei Wochen geschehen. Bis Juni sollte der Brunnen selbst gebohrt sein und nach weiteren Arbeiten im September oder Oktober in Betrieb gehen.
Auch weitere Baustellen laufen wie geplant, hat Eger beobachtet. Das gilt beispielsweise für den Neubau der Autobahnbrücken auf St. Leon-Roter Gemarkung. Die in die Jahre gekommenen Bauwerke werden unter der Ägide des Regierungspräsidiums ersetzt und der Lärmschutz wird beidseitig ertüchtigt. Auf Wunsch der Gemeinde haben die Neubauten eine größere Spannweite, sodass darunter Platz für breitere Rad- und Fußwege sein wird. Daran und am besseren Lärmschutz beteiligt sich die Gemeinde mit insgesamt knapp zwei Millionen Euro, im Haushaltsplan sind dieses Jahr 800.000 dafür bereitgestellt. Dass es hier weitergehe, sei sicher nicht selbstverständlich, so Eger, hänge von Faktoren wie Mitarbeiter-Verfügbarkeit oder Materialnachschub ab.
Auch Planungen wie fürs Neubaugebiet "Oberfeld" oder die Arbeit externer Planungsbüros, beispielsweise für den Architekturwettbewerb zum Ausbau der Kramerschen Mühle, gehen weiter. Mit neuen Projekten dagegen ist St. Leon-Rot ihm zufolge "äußerst zurückhaltend".
Das hat nicht nur generell damit zu tun, dass mit einer Verschärfung der Coronakrise gerechnet werden muss – "auch wenn wir uns alle wünschen, zumindest mit einem blauen Auge davonzukommen". Sondern auch damit, dass schon jetzt empfindliche Einnahmeausfälle und Mehrausgaben festzustellen sind.
Der St. Leoner See ist komplett geschlossen, ein Restaurant, zwei Kioske, eine private Wasserskianlage, Dauer- und Urlaubscamping, Tagesstellplätze für durchreisende Wohnmobilfahrer, Schlafhütten und mobile Miethäuschen: Das alles konnte mit den Regeln zur Bekämpfung der Virus-Ausbreitung und verschärften Hygienevorschriften "auf keinen Fall" zugänglich bleiben.
Der Harres ist ebenfalls geschlossen, Kulturprogramm, Sport, Tagungen und Seminare fallen weg, das Restaurant ist zu, "das kostet den Harres richtig Geld" und damit die Gemeinde, die das Defizit ausgleiche, so Eger. Üblicherweise, wegen der günstigen Bedingungen, die man Bürgern und Vereinen bewusst biete, nehme man ein Harres-Defizit von 200.000 Euro in Kauf, jetzt aber könnte es "eher sechsstellig" werden.
Mehrausgaben fielen für die Kinderbetreuung an, "ein Riesenbrocken", so der Bürgermeister. Gemeinsam mit den Trägern sei zunächst eine Notbetreuung organisiert worden, jetzt gehe es um die Gebühren: Sie für den April nicht einzuziehen, habe man früh avisiert, das sei aber einer der dringlichen Beschlüsse, die der Gemeinderat fällen müsse, so Eger: Er als Bürgermeister könne das nicht allein entscheiden, "da geht es um 250.000 Euro im Monat", betont er. Diesen Einnahmeausfall müsse die Gemeinde dann finanzieren, zwar habe das Land Lösungen angekündigt, noch stehe aber nichts fest.
Bezüglich der Gewerbesteuer als wichtigster Einnahmequelle der Gemeinde sei es noch zu früh für Mutmaßungen, meint ein alles andere als optimistischer Bürgermeister. Und was Umsatz- und Einkommenssteueranteile angeht, erwartet er "gravierende Veränderungen zum Negativen".
Anfangs, räumt Eger offen ein, sei er "nicht ganz glücklich" mit den neuen Vorschriften zur Eindämmung der Pandemie gewesen. Andererseits müsse jeder sich klarmachen, "wie einschneidend die Gegenmaßnahmen durch alle Bevölkerungsschichten hindurch" seien. Jetzt bricht er eine Lanze für die Menschen von Bund und Land, die in so kurzer Zeit, ohne Vorbereitung, die "gigantische Aufgabe" der Hilfsmaßnahmen für Unternehmer, Händler und Landwirte in existenzieller Not in die Wege geleitet haben. Für St. Leon-Rot habe er festgestellt, dass die Geschäftswelt erfinderisch sei und sich mit Hol- und Bringdiensten immerhin bis zu einem gewissen Grad behelfe. "Das finde ich gut, das wird gerne in Anspruch genommen."
Sorge gilt den Menschen
Was die verschiedentlich geäußerte Idee angehe, Freiwillige, etwa auch Geflüchtete, als Erntehelfer oder anderweitig einzusetzen, sei die Gemeinde gerne bereit, zu vermitteln, so Eger. Finanziell aber könne man Firmen nicht unterstützen, "wir sind selber betroffen", so Eger, genau dafür hätten Bund und Land ihre Soforthilfen ins Leben gerufen. St. Leon-Rot tue sich momentan im Vergleich zu anderen Kommunen sicher leichter, "aber wir müssen auch sehen, wie wir finanziell handlungsfähig bleiben".
So ist die Arbeit als Bürgermeister noch mal härter geworden, zumal Egers "Sorge zuvorderst der Bevölkerung" gilt. "Unterbrechung der Infektionskette", Versorgung und Genesung der Erkrankten, die Gesundheit der Bürger hätten klar Priorität: "Die Menschen stehen im Vordergrund."