Von Sophia Stoye
Wiesloch/Heidelberg. Zu einem folgenschweren Brand wäre es gekommen, mehrere Wohnungen eines 19-Parteienhauses in Wiesloch wären abgebrannt, deren Bewohnerinnen und Bewohner durch Rauchgase in Gefahr. Was der Täter bei seinem Brandstiftungsversuch allerdings nicht wusste: Diesel-Kraftstoff, den er verwendet hatte, ist im Gegensatz zu normalem Benzin bei Zimmertemperatur nicht entzündlich – und so konnte Schlimmeres verhindert werden. Wegen seiner paranoiden Schizophrenie erklärte das Landgericht Heidelberg den 37-jährigen Beschuldigten als schuldunfähig, er leide an einer hoch aktiven Psychose.
Am gestrigen Mittwoch verkündete der vorsitzende Richter Markus Krumme das Urteil: In seinem derzeitigen Zustand sei der Beschuldigte "eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit". Deswegen folgte die Strafkammer der Forderung der Staatsanwaltschaft und ordnete die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus an.
"Wir waren uns sehr bewusst, dass Ihnen das Urteil nicht gefallen wird", erklärte Krumme dem 37-Jährigen. Aber "angesichts der zerstörenden Kraft" seiner Schizophrenie sei der Kammer nichts anderes übrig geblieben. Während der vorsitzende Richter das Urteil begründete, betonte er die besondere Tragik des Prozesses: "Der Beschuldigte kann nichts für seine Krankheit, die seine Lebensgestaltung seit der Adoleszenz massiv beeinträchtigte." Damals habe es den ersten Ausbruch der Schizophrenie gegeben, der erste Aufenthalt im Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim folgte. Danach kam es Krumme zufolge immer mal wieder zu krankheitsbedingten Schwierigkeiten, der Beschuldigte konnte keinen Beruf zu Ende erlernen und war zwischendurch obdachlos.
2009 wurde der 37-Jährige erstmals in einem psychiatrischen Krankenhaus , im Psychiatrischen Zentrum Nordbaden (PZN) in Wiesloch, untergebracht: Damals soll er versucht haben, einen Bekannten mit einem Stuhlbein zu erschlagen. "Dann gab es einen Lichtblick", so Krumme: Wegen des guten Therapieverlaufs wurde das damalige Urteil 2013 zur Bewährung ausgesetzt: Dem Beschuldigten war es möglich, in einer eigenen Wohnung zu leben. Er fand beim Sozialpsychiatrischen Hilfsverein (SPHV) in Wiesloch eine Arbeit und machte sogar eine Ausbildung als Genesungshelfer für andere psychisch Erkrankte. So fing der 37-Jährige an, im PZN zu arbeiten, später bildete er sich beim Walldorfer Verein Integra weiter.
"Dann kam es erneut zu einem Knick", erklärte der vorsitzende Richter: 2018 begann der Beschuldigte, entgegen dem Rat seines Arztes und ohne ärztliche Begleitung seine Medikation auszuschleichen, bis er sie schließlich absetzte. "Die Entscheidung war vielleicht auf den ersten Blick verständlich", meinte Krumme, "erwies sich aber als folgenschwerer Irrtum". Der Beschuldigte hatte im Laufe des Prozesses mehrfach betont, dass er nichts davon halte, solche Medikamente zu nehmen.
Spätestens im Januar dieses Jahres kam die Schizophrenie dann wieder zurück, erklärte der Richter während der Urteilsbegründung. Dies sei auch durch Veränderungen in seinem Verhalten belegt worden, wie mehrere Nachbarinnen und Nachbarn des 37-Jährigen berichtetet hatten. So lebte der Beschuldigte beispielsweise den Islam, zu dem er Jahre vorher konvertiert war, aus, "ohne sich um Dritte zu scheren". Er hörte abends und nachts laute Musik, bedrängte eine Mitbewohnerin so massiv, dass sie sich zum Auszug genötigt sah, verlor seine Arbeit und tauchte daraufhin mit Maske und Stock auf dem PZN-Gelände auf. "Das legt das Vorliegen einer hoch aktiven Psychose nahe", so der Richter. Zudem soll der 37-Jährige im gleichen Zeitraum den Kontakt zu seinen Eltern reduziert haben, Freunden mit einer objektiven Feindseligkeit begegnet sein und eine planlose Reise in Richtung Osten unternommen haben, bei der er schlussendlich in London landete.
Die Psychose gipfelte schließlich in zwei Vorfällen: Mitte Mai beobachtete der Beschuldigte in Wiesloch eine Frau, die mit einem Mann diskutierte. Weil er die Frau als ehemalige Nachbarin erkannte, nahm auch der 37-Jährige – ohne zu wissen, um was es ging – an der Diskussion teil. "Er geriet derart in Rage, dass er dem Mann mit der Faust ins Gesicht schlug", stellte Krumme fest. Der Mann wehrte sich mit Pfefferspray, allerdings hielt das den Beschuldigten nicht ab: Laut dem Richter trat er den inzwischen am Boden liegenden Mann mehrfach. "Das ist keine normal-psychologische Reaktion", so der Richter.
"Aber auch nach diesem Fall ging es weiter, der Beschuldigte beschäftigte sich nun vor allem mit Brandstiftung", berichtete Krumme: Nachdem der 37-Jährige Mitte Juni auf seinem Balkon mehrere Bücher verbrannt hatte und damit eine Stichflamme auslöste, kaufte er wenige Tage später einen Fünf-Liter-Kanister. Er befüllte ihn mit Diesel, schüttete den Kraftstoff im Keller aus und versuchte, mit einem angezündeten Stück Papier einen Brand auszulösen, so der Richter weiter. "Das Motiv bleibt im Dunkeln, der Beschuldigte wollte sich nicht dazu äußern." Für die Kammer steht Krumme zufolge aber fest: "Ohne die krankhafte Psychose wäre es nicht zu diesen Taten gekommen. Die Voraussetzung für eine psychiatrische Unterbringung liegt zweifellos vor."
Update: Mittwoch, 16. Dezember 2020, 19.20 Uhr
Fünf Liter Diesel im Keller verteilt - schwere Brandstiftung
Von Sophia Stoye
Wiesloch/Heidelberg. Nur knapp entgingen die Bewohnerinnen und Bewohner eines 19-Parteien-Hauses in Altwiesloch einer Katastrophe: Weil ein 38-jähriger Bewohner des Hauses bei einer versuchten Brandstiftung Diesel-Kraftstoff statt Benzin verwendete, fing der Keller des Gebäudes kein Feuer. "Der Beschuldigte ist für die Allgemeinheit gefährlich", erklärte Florian Pistor am Landgericht in Heidelberg. Wegen seiner paranoiden-halluzinatorischen Schizophrenie gilt er aber als schuldunfähig, weshalb der Oberstaatsanwalt bei der Verlesung seiner Antragsschrift die Unterbringung des 38-Jährigen in einem psychiatrischen Krankenhaus forderte.
Am Dienstag fand der Auftakt des Prozesses statt, thematisiert wurden zwei Vorfälle Mitte dieses Jahres: Neben dem Versuch der schweren Brandstiftung im Juni soll der Beschuldigte im Mai einen Fahrradfahrer zu Boden gestoßen, ins Gesicht geschlagen und getreten haben. Am Landgericht wird nun über seine künftige Unterbringung verhandelt.
Bereits mit 17 Jahren kam der Beschuldigte erstmals ins Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI). Dort erfolgte laut dem 38-Jährigen auch eine erste Diagnose: Psychose. Wenige Jahre später wurde er wieder eingeliefert – dieses Mal, weil er Verstrahlungsängste hatte. 2008 wurde der 38-Jährige wiederum im Psychiatrischen Zentrum Nordbaden (PZN) untergebracht, die Diagnose erneut eine Psychose.
Nach drei Jahren erfolgte die Rückkehr ins Berufsleben, bis kurz vor seiner Festnahme war er als Genesungsberater tätig. 2018 schlich der Beschuldigte entgegen der Zustimmung seines Arztes seine Medikamente auf eigene Faust aus, derzeit verweigert er die Einnahme von Arzneien. Eine Zwangseinweisung des Beschuldigten lehnte einem Zeugen zufolge ein Gericht ab. Der Antrag sei nach dem ersten Vorfall gestellt worden.
Der Beschuldigte äußerte sich nur zum ersten Vorfall im Mai: Gegen Mittag habe er ein Pärchen mit Fahrrädern gesehen, das mit einer Frau diskutierte. "Der Mann hat sie belästigt", so der 38-Jährige. Weil er die Frau als seine Nachbarin erkannte, habe er sich dazwischen gestellt und sie verteidigen wollen. Daraufhin soll der Mann eine Flasche Tierabwehrspray vor das Gesicht des Beschuldigten gehalten haben. "Ich weiß nicht mehr, ob er da schon gesprüht hat oder nicht, aber als Reflex habe ich ihm ins Gesicht geschlagen", gab der 38-Jährige zu. Der Mann sei zu Boden gesackt, "vielleicht" habe er ihm noch einen Tritt gegeben und das Fahrrad zu Boden geworfen, dann sei er weggelaufen. Gegenüber der Polizei gab der Geschädigte an, er habe das Spray zur Verteidigung angewendet.
Am 18. Juni soll der Beschuldigte dann an einer Tankstelle in der Nähe des Wohnhauses einen Fünf-Liter-Kanister gekauft und Diesel-Kraftstoff hineingefüllt haben. "Er war sehr aufgeregt und nervös und hat gezittert", sagte die zu dem Zeitpunkt anwesende Verkäuferin aus. Danach soll der 38-Jährige in den Keller des Wohnhauses gelaufen sein und den Kraftstoff überall verschüttet haben.
Mit einem Stück angezündetem Papier habe er versucht, den Keller in Brand zu setzen, so die Staatsanwaltschaft. "Dieselöl ist dafür aber nicht geeignet, wie der Beschuldigte offenbar nicht wusste", so Oberstaatsanwalt Pistor. In der Zwischenzeit informierte eine Bewohnerin die Polizei über den Aufenthaltsort des 38-Jährigen: Sie sei am Vortag von der Polizei darum gebeten worden. Den Beamten lag nämlich bereits ein Unterbringungsbefehl vor, weshalb sie ohnehin die Anweisung hatten, den 38-Jährigen festzunehmen.
Auf einer Straße nahe dem Wohnhaus gelang ihnen das auch. Allerdings erhielten die Polizisten erst nachdem sie wieder auf dem Revier waren den Anruf der Bewohnerin, im Flur rieche es stark nach Kraftstoff, erklärte eine Polizeibeamtin. "Ich traue diese versuchte Brandstiftung niemand anderem aus unserem Haus zu", meinte die Bewohnerin, die den ausgeschütteten Kraftstoff im Keller als erste bemerkt hatte. Denn seit Januar dieses Jahres haben sich der Zeugin zufolge die Vorfälle gehäuft. So soll der 38-Jährige beispielsweise ohne ersichtlichen Grund einen Eimer kaltes Wasser über sie geschüttet, abends minutenlang vor ihrer Wohnungstür gestanden oder Zigarettenasche in ihren Briefkasten gelegt haben, nachdem sie ihn auf das Rauchverbot im Flur hingewiesen hatte. Andere Bewohnerinnen berichteten von lautem nächtlichen Klopfen und Klingeln an der Wohnungstür oder lauter Musik mitten in der Nacht, wobei er bewusst die Tür offen gelassen haben soll.
Warum der Beschuldigte das Feuer legen wollte, ist bisher unklar. Den einzigen Hinweis auf ein Motiv gab ein Polizeibeamter, der als Sachbearbeiter für das PZN zuständig ist: "Ich habe den Beschuldigten mehrfach darauf hingewiesen, dass ein Brand sehr gefährlich sein kann." Daraufhin habe der 38-Jährige geantwortet, er interessiere sich eher für einen geheimen Raum im Keller, der viel gefährlicher als ein Brand werden könne.