Vor dem Wieslocher Eiscafé in der oberen Hauptstraße kam es am 8. September 2018 zu einer Massenschlägerei. Foto: Rößler
Von Alexander Albrecht
Heidelberg/Wiesloch. Fünfzehn Sekunden. Ein Anwohner schreit am 8. September 2018 einer mit rechtsradikalen Parolen durch die Wieslocher City ziehenden Männergruppe "Verpisst Euch!" entgegen. Fünfzehn Sekunden später setzt sein Handyvideo ein, das den Angriff von betrunkenen Mitgliedern des Junggesellenabschieds, die sich durch den Ausruf provoziert fühlten, auf türkischstämmige Gäste einer Eisdiele zeigt. Was ist in den fünfzehn Sekunden passiert?
Das spielt eine entscheidende Rolle im Prozess gegen die drei wegen gefährlicher Körperverletzung und Volksverhetzung angeklagten Brüder Manuel, Johannes und Lukas B. vor dem im Heidelberger Landgericht tagenden Amtsgericht Wiesloch. Zweiter Knackpunkt: Ein Teil des Tumults hat sich unter Sonnenschirmen abgespielt – und war somit für den auf dem Balkon stehenden Anwohner nicht einsehbar. Hier kommt es auf die Zeugenaussagen an.
Ihr Mandant sei weit davon entfernt, die Geschehnisse von damals zu verharmlosen oder zu beschönigen, sagt Verteidigerin Andrea Combé am Mittwoch. Beeindruckt habe Lukas B. im Gerichtssaal miterlebt, wie die Opfer bis heute unter den psychischen Folgen der Attacke leiden. Wesentlich für das Urteil ist aber, welche Straftaten Lukas B. nachgewiesen werden könnten. Und da bleibt nach Überzeugung Combés nicht viel übrig.
Weder habe er den Hitler-Gruß gezeigt noch einem Besucher eine Bierflasche auf den Kopf geschlagen, wie ihm zur Last gelegt wird. Beim zweiten Vorwurf hatte das Opfer ausgesagt, es sei sich zu "100 Prozent" sicher, dass es sich um den jüngsten der drei Brüder gehandelt habe. Combé wirft dem Mann eine fahrlässige Falschaussage vor.
Bei der polizeilichen Vernehmung habe er sich nicht festlegen wollen, obwohl ihm auch das Bild von Lukas B. gezeigt wurde. Zudem dokumentiere das Video, dass ihr Mandant nicht in der Nähe des Gasts stand und er eine Bierdose in der Hand hielt. Und abgesehen davon sei der Angeklagte nicht rechtsextrem. Juristisch wertet Combé den Beitrag ihres Mandanten allenfalls als Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung. "Er hat sich passiv verhalten, jedoch nicht eingegriffen", so die Verteidigerin. Combé plädiert dafür, Lukas B. mit dem Mindestmaß zu bestrafen, sodass die Verurteilung nicht ins Führungszeugnis eingetragen werden muss.
Auch Verteidiger Karlheinz Schnell versucht, die Vorwürfe gegen Johannes B. zu entkräften. Weder könne ihm nachgewiesen werden, dass er einen Gast mit einem Stuhl geschlagen, noch einen weiteren Mann in den Bauch getreten zu haben. "Das lässt sich nie und nimmer bestätigen", betont Schnell. Sein Klient hatte sich durch einen Kamikazesprung "ins Nichts" selbst verletzt. Ein Unschuldslamm sei der nicht vorbestrafte Johannes B. allerdings nicht. Er habe die rassistischen Lieder und Parolen wahrgenommen und sich am "Kerngeschehen" beteiligt, so der Anwalt.
Für Entrüstung unter den Opfern sorgt Schnell mit seiner Aussage, Johannes B. sei "nicht schlechterdings als Rechtsradikaler zu kategorisieren". Schließlich ist der Angeklagte in der Neonaziszene im Kraichgau kein unbeschriebenes Blatt und hatte noch vor wenigen Wochen an einer von der NPD organisierten Anti-Corona-Demo teilgenommen, wie ein Kriminalbeamter ausgesagt hatte. Dennoch stellt der Verteidiger Johannes B. eine günstige Prognose aus und plädiert für eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von neun Monaten.
Die Staatsanwaltschaft hatte für ihn und Lukas B. ebenfalls Bewährungsstrafen gefordert, dagegen soll Manuel B. für zwei Jahre ins Gefängnis. Die Nebenklägervertreter schlossen sich weitgehend an. Manuel B.s Anwalt hatte eine Bewährungsstrafe für den ältesten Bruder beantragt. Das Urteil soll am Freitag, 31. Juli, um 9 Uhr verkündet werden.