Von Tim Kegel
Sinsheim/Kraichgau. Augenpaare starren in die Nacht, Weiß auf Grau. Viele davon. 24 Rehe hat der Jäger gezählt in dieser Nacht, zwei Rotten Sauen, mehrere Füchse sind vorbeigeschnürt. Es sind die Bilder einer Wärmebildkamera, die aufhorchen lassen. Sie zeigen, was im Umfeld von grob 500 Metern wirklich los ist. Wo vor einigen Jahren oft nur das diffuse Knacken im Wald war, zeigt sich nun so etwas wie die ganze Wahrheit.
Das Corona-Jahr macht es Jägern schwer, so zu jagen, wie sie es eigentlich sollen und wollen. Und gerade beim Schwarzwild zeigt das Wärmebild noch etwas, nämlich wie lautlos sich Schweine oft durch die Landschaft bewegen. Sehr viele gibt es von ihnen, die man aber, wie Jäger sagen, eigentlich zu selten sieht, um sie effektiv zu bejagen.
Die Zahl der Schweine steigt; die Bedingungen sind günstig, dass der Erreger der Afrikanischen Schweinepest von Ostdeutschland aus "durchrasen" kann und sich schnell verbreitet. Zudem liegt der Wald in diesem so genannten Mastjahr voller Eicheln und Bucheckern: Zum reichen Nahrungsangebot auf dem Feld bis an den Waldtrauf im Sommer kommt dies jetzt im Winter hinzu. Die Jagd an Kirrungen, an denen Jäger vor allem Schweine im Wald mit Mais anlocken dürfen, kann man so schlicht vergessen.
Gesellschaftsjagden wie vor einigen Jahren in Waldangelloch finden zurzeit nur unter Pandemie-Bedingungen statt. Foto: Tim KegelDrückjagden wären das probate Mittel. In Zuzenhausen wurden sie abgesagt; "zu viel Aufwand, zu viel Bürokratie", heißt es von dort. Auch viele Gesellschaftsjagden der Staatsforsten finden dieses Jahr nicht statt. Markus Zoller, als Leiter des Hegering VI Steinsberg zuständig für die Jäger im Sinsheimer Umland bis in den Elsenzgau, kann "jeden Jagdpächter verstehen", der Drückjagden in Zeiten einer Pandemie nicht organisieren will. Er sagt aber auch: "Wir dürfen und wir sollten es schon machen." Bis zu 100 Jäger könnten derzeit an Gesellschaftsjagden teilnehmen, wenn geltende Hygienemaßnahmen eingehalten werden können. Allerdings sind nur Schwarz- und Rehwild freigegeben. Niederwild wie Füchse, aber auch ferner Fasane, Hasen und Kaninchen sollten nicht bejagt werden.
Das erzeugt unter Jägern unterschiedliche Reaktionen: Viele von ihnen lassen ohnehin Füchse "laufen", weil sie sie als sympathische Mäuse-Dezimierer schätzen. Andere schonen die wenigen Hasen und Wildvögel im Revier – auch, indem sie den Fuchs "kurzhalten" und gern scharf bejagen würden. Wieder andere würden den Fasanenbraten für die heimische Pfanne gern "mitnehmen", wenn er verfügbar ist, bei der Drückjagd vor den "Drilling" flattert und sie sich diese Art der Beute "leisten können".
Leisten können – für Zoller ein Stichwort: Viele fragten sich, ob sie es sich "leisten können", die jährliche Drückjagd ausfallen zu lassen. Zoller selbst kam zum Entschluss, dass absagen fatal wäre, gerade weil sich Wildschweine "mangels Frost und massig Eicheln im Wald" bestens entwickeln würden. Auch die Stadtverwaltung rät zurzeit Jagdpächtern dazu, Drückjagden zu veranstalten. Also nahmen Zoller und seine Mitjäger den Aufwand in Kauf.
Bei der Verteilung der Jagdgäste fing’s an: "Klimmzüge machen", sagt Zoller. Bei Drückjagden bekommen Jäger Stände zugewiesen, die oft tief im fremden Revier liegen. Üblich ist es deshalb, gemeinsam im Auto oder auf dem Traktoranhänger dorthin zu fahren, gesteuert von Ortskundigen. "Das geht dieses Jahr nicht", sagt Zoller. Fährt jeder mit dem eigenen Auto, so muss man gut einweisen, dass nicht schon das Abstellen im Chaos endet. "Ältere Jäger sind oft Risikogruppe", auch das müsse man bedenken. Und am Schluss ist es auch nicht ganz einfach, wenn schwere Stücke Wild zur Strecke kommen: Wer schon einmal einen starken Keiler aus dem Unterholz gezogen hat, der weiß auch Helfer zu schätzen, wenn sie nicht aus demselben Haushalt kommen.
Das Drumherum, die Jagdkultur, fehlt auch: Was bleibt von einer Gesellschaftsjagd, wenn die Gesellschaft – in der Jägersprache sinnigerweise oft "Corona" genannt – nicht danach noch zusammenstehen, das erlegte Wild mit Jagdhörnern verblasen, Erbsensuppe am Feuer essen und im Wirtshaus ein paar Bier nehmen kann? Bei Zoller taten’s dieses Jahr "Brezeln, einzeln verpackt", aber auch Leberwurst-Wecken seien erlaubt. Und so sind sie gestanden, im Kreis, Abstand haltend "um einen Kasten Cola herum". Zwar hätte man ein einsames Jagdhornsignal unter freiem Himmel wohl anstimmen können, räumt Zoller ein. Man wollte aber vermeiden, dass es später heißt: "... die Jäger wieder ..."
Ausfallende Drückjagden, glaubt der Hegeringleiter, könnten sich in explodierenden Schwarzwildbeständen und entsprechenden Schadenersatz-Forderungen rächen. "Wir Jäger sind uns auch unseres Auftrags bewusst", sagt Zoller, etwa Landwirte und Waldbesitzer vor Schäden zu schützen. Er glaubt, dass 90 Prozent der jährlichen Drückjagden im Kraichgau "im kleineren Rahmen" stattfinden. Erste Rückmeldungen sprechen – man ahnt es – von "extrem viel Schwarzwild".
Wärmebildkameras erlauben genauestes Unterscheiden von Wild. Foto: privatDafür sprechen auch die Bilder der Wärmebildkameras. Inzwischen hat Julia Glöckners Landwirtschaftsministerium Nachtsichttechnik nicht nur zur Beobachtung, sondern auch zur Jagd von Wildschweinen frei gegeben, auch vor dem Hintergrund der Afrikanischen Schweinepest.
Doch was manche begrüßen, ist anderen zu radikal. Werner Bender aus Michelfeld sagt: "Wenn ich nichts mehr sehe, dann gehe ich heim." Peter Kesel, der in Zuzenhausen zur Jagd geht, schätzt die Technik bei der Beobachtung, "um mehr über den Wildbestand zu erfahren" und weil man das Revier "intensiver erlebt". Man könne damit, findet auch Zoller, "Wild viel sauberer unterscheiden", etwa, indem man erkennt, "ob eine Bache Frischlinge bei sich hat". Schlussendlich laufe es bei künstlichen Lichtquellen auf die Frage hinaus, "ob ich mir die Ethik leisten kann", angesichts des hohen Bestandsdrucks. Man könne auch mit Nachtzielgerät anständig jagen, etwa, indem man damit "nicht nachts im Wald" hantiert "und nicht auf alles Feuer macht, was eine Borste hat". Zoller stört, dass über Wildschweine "oft wie über Schädlinge gesprochen wird".
Das Lebensmittel, das Jäger erzeugen, wird indessen auch von Kreisen gern genommen, die der Jagd ansonsten eher kritisch gegenüberstehen. Anders lassen sich die Zahlen kaum deuten, die der Landesjagdverband im Corona-Jahr über den Wildfleisch-Konsum herausgibt: Fast 34.000 Tonnen Wildbret hätten die Deutschen im Jagdjahr 2019/20 verspeist, davon 20.000 Tonnen Wildschwein, gefolgt von 9000 Tonnen Reh und 2600 Tonnen Rothirsch und 1300 Tonnen Damhirsch, nicht alles, aber vieles vom Jäger geliefert.
Zahlen, die Zoller im Kraichgau differenzierter sieht: "Der Verkauf an die Gastronomie ist eingebrochen." Der private Absatz sei "sehr gut", allerdings sei dies hierzulande meistens so, "aber nicht in diesem Jahr besonders auffällig gut". Sorge bereiten den Jägern die Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest in Ostdeutschland und die – oft undifferenzierten – Warnungen davor. Der Erreger sei zwar "für Menschen nachweislich ungefährlich", sagt Zoller. Doch greife die Krankheit um sich, fürchtet er, dass Wildschwein dann "nicht mehr zu vermarkten ist".