Vergangenen Montag haben Dorothée Schmitt, Kathatrina Schmitt, Helen Barth, Walter Schmitt, Julia Rohleder, Benjamin Schmitt und Elena Konstantinidou (v.l.) vor dem geschlossenen Friseursalon protestiert. Sie fordern bessere Hilfen für ihre Branche. Foto: privat
Von Friedemann Orths
Reichartshausen/Kraichgau. Benjamin Schmitt braucht Hilfe. Sein Geschäft ist in Gefahr. Der Friseurmeister, der den Salon seiner Eltern in der Schulstraße vor ziemlich genau 17 Jahren übernommen hat, wurde von der Corona-Krise hart getroffen. Ihm geht es wie fast allen Einzelhändlern oder Selbstständigen in der Gastronomie, allerdings kann er nicht mal die Dinge tun, die Restaurants notgedrungen tun können, um sich – oft gerade so – über Wasser zu halten: Waschen, Schneiden, Föhnen sind eben nicht "to go" oder als "take away" möglich. Seit Pandemie-Beginn musste sein Salon bislang insgesamt vier Monate geschlossen bleiben – und ist es selbstverständlich auch jetzt.
"Alle Reserven sind aufgebraucht", erzählt Schmitt. Zwar sei die Soforthilfe im ersten Lockdown "wirklich relativ schnell" angekommen, aber ihm und vielen seiner Kollegen sei damals nicht klar gewesen, dass sie das Geld als ganz normalen Umsatz verbuchen mussten – und somit auch einen Teil als Steuer wieder zurückzahlen müssen. "Das gibt vielen jetzt den Rest", erzählt Schmitt. Er lege, wenn er eine Hilfszahlung bekomme, immer gleich einen Teil "im Kopf zurück", um später zurückzahlen zu können. Und was die versprochene "Überbrückungshilfe III" angeht, ist er "sprachlos, dass es nicht voran geht": "Es reicht hinten und vorne nicht."
Seine sieben Angestellten sind alle in Kurzarbeit. Und das seien eben nicht alles Menschen der Kategorie "doppeltes Einkommen, keine Kinder", sondern auch alleinerziehende Mütter mit zwei Kindern. Schon ohne Kurzarbeit ist es da nicht immer einfach, mit einem Friseurgehalt über die Runden zu kommen. Wenn Schmitt, der für seine Angestellten Kurzarbeitergeld vom Staat bekommt, Ende des Monats die Lohnabrechnungen erstellt, sei ihm das "fast peinlich" – weil er die niedrigen Beträge zunächst kaum glauben konnte. Dennoch stehe sein Team hinter ihm.
Schmitt berichtet von einem Freund, der ein Friseurgeschäft in einem Hotel bei Passau betreibt. Der lebe von Kurgästen und werde seinen Laden nach dem Lockdown nicht mehr öffnen können. Damit anderen Friseuren dieses Schicksal erspart bleibt, machen Schmitt und seine Mitstreiter bei einer Kampagne in den sozialen Medien mit, um auf die Lage ihrer Zunft aufmerksam zu machen. Unter dem Motto "Wir gehen mit …" wollen Einzelhändler und Friseure um Hilfe rufen. Schmitt ist im Vorstand der Friseurinnung und im deutschlandweit agierenden Friseur-Verein "Societe Francaise de Biosthetique" (SFB), ist mit Kollegen im ganzen Land vernetzt. Einen kleinen Erfolg haben sie schon erzielt: Zum einen werden die Leute auf die Probleme der Friseure aufmerksam gemacht. Schmitt erzählt, dass viele seiner Kunden dachten, dass die Hilfen Wirkung gezeigt hätten, doch das sei eben nicht so.
Zum anderen fand am vergangenen Donnerstag ein Online-Gedankenaustausch mit 296 Branchenvertretern, darunter Unternehmer, Mitarbeiter und Vorsitzende verschiedener Verbände, sowie Politikern statt. Eingeladen hatte der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Rainer Wieland. Es ging dabei explizit auch um die Probleme der Friseurbranche. Doch Schmitt wollte "mehr Antworten": In einem Statement schreibt er, dass Wieland "sich nicht zu den schleppend fließenden Hilfen, den komplizierten Prozessen, die im Augenblick vor allem zu hohen Steuerberatungskosten führen oder zu Lösungsansätzen seitens der Politik" geäußert habe. Zudem habe man "ein entsprechendes Statement und Zeichen der Empathie" vermisst. Dennoch hat er das Gefühl, dass die Politik "hinterher" sei, der Branche zu helfen, dass zumindest der Hilfeschrei gehört werde. Am Freitag hatte sich Innenminister Horst Seehofer im Spiegel dann dafür ausgesprochen, Friseurgeschäfte schneller wieder öffnen zu lassen.
Jetzt hofft Schmitt einfach nur auf "schnelle und unbürokratische Hilfen", oder eben darauf, bald wieder öffnen zu dürfen. Er will aber nicht darauf drängen, ist sich der Ansteckungsgefahr, auch durch die neuen Virus-Mutationen, bewusst. Sein Team habe im Sommer sowieso schon mit FFP2-Masken gearbeitet, gegen härtere Auflagen hätte er auch nichts einzuwenden: "Wir sind für alles offen", sagt er.
Wie lange er noch durchhalten kann, könne er "nicht so genau beziffern": Seine Situation ist etwas weniger prekär, da er im Haus seiner Eltern "vergünstigt" mieten kann. Generell sei die Lage für Friseure auf dem Dorf besser als in der Stadt, weil dort die Mieten günstiger sind. Durch Gutscheine, bei denen man seinen Haarschnitt schon im Voraus bezahlt, haben viele seiner Kunden Schmitt quasi zinslose Darlehen gegeben. Auch die Pflegeprodukte des Herstellers, die er im Laden verkauft, sind Kommissionsware, müssen also nicht sofort bezahlt werden. Auch online hat er schon ein paar Dinge verkaufen können. Dennoch sind das alles nur Tropfen auf den heißen Stein: "Kostendeckend ist das nicht, sondern nur, dass der Dispo nicht ins Unermessliche geht."
Der Friseur erzählt auch, dass die Innung zahlreiche "Beweisfotos" von Schwarzarbeit zugeschickt bekommt. Und beim Einkaufen sieht er zunehmend perfekt frisierte Menschen, bei denen er sich sicher ist, dass ihre Haarpracht professionell geschnitten sein muss: "Das häuft sich momentan extrem." Das ärgert ihn schon ein wenig, denn er oder seine Angestellten kämen nie auf die Idee, ihre Dienste auch illegal anzubieten, sagt Schmitt. Allerdings kann er es zumindest nachvollziehen, dass sich so mancher Friseur über die Regeln hinwegzusetzen scheint – sie sähen sich wohl gezwungen, weil sonst kein Geld reinkomme. Das sei dann eben das "Endresultat" wenn es keine Hilfen gibt.
Mit der Kampagne wollen Schmitt und seine Mitstreiter auch andere Friseursalons mobilisieren, die vielleicht gar nicht wissen, wie sich die Branche in der Krise organisiert – und die, wie Benjamin Schmitt, ihr Geschäft in Gefahr sehen.