Erst Baufreigabe, dann Bauruine: Roter Punkt am Krematorium. Foto: Tim Kegel
Von Tim Kegel
Sinsheim. Die Rathausspitze gibt sich optimistisch, dass der Rechtsstreit wegen des nicht gebauten Krematoriums im Gewerbegebiet "Oberer Renngrund" für Sinsheim glimpflich über die Bühne gehen wird. Es würde "nicht viel an uns hängen bleiben", mutmaßte Oberbürgermeister Jörg Albrecht jetzt im Gemeinderatsausschuss für Technik und Umwelt (ATU), "sofern denn überhaupt etwas hängen bleibt", fügte er hinzu.
Das Pokerspiel zwischen Bauherr und Verwaltung geht weiter. Claus Wiesenauer will über drei Millionen Euro Entschädigung, fast zwei Drittel davon für entgangene Gewinne. Im Rathaus war zuletzt von einem Geldbetrag in Höhe eines knappen Drittels dieser Forderung die Rede, und offenbar spielt man auf Zeit. Bei dem im Frühjahr 2009 geplanten Vorhaben, das seit 2010 von mehreren Rechtsstreits bis vors Verwaltungsgericht überzogen ist, spielten inzwischen "Verjährungsfristen eine Rolle" - und dem Rathaus wohl auch in die Hände, wie Albrecht glaubt. Nach zwei von einer Bürgerinitiative vorangetriebenen Baustopps, ist man nun dabei, den zwischenzeitlich angepassten Bebauungsplan rück zu entwickeln. "Eine reine Formalie", nannte Albrecht das am Dienstag im Gremium, wenn es sich auch um einen riesigen bürokratischen Akt handelt. Seit vielen Monaten kommen zuerst ATU, dann Gesamtgremium zusammen, um das Vorhaben formaljuristisch korrekt zu beerdigen: Denn so, als würde einem Baugebiet der Weg geebnet, müssen erneut Stellungnahmen von Nachbarn, Behörden und Verbänden eingeholt werden. Verfahrensschritt um Verfahrensschritt, nur rückwärts, geht es seit Jahren.
Am Dienstag ging es darum, die zweite Bebauungsplanänderung ad acta zu legen. "Keine Einwände", befand das Gremium einstimmig; "keine Einwände", so OB Albrecht, habe es auch bei den "Trägern öffentlicher Belange" gegeben.
Die Zeit war beim Krematorium von jeher ein entscheidender Faktor: Der erste Spatenstich im Frühling 2009 wurde hastig einberufen, das Projekt "im Vorgriff einer Bebauungsplanänderung genehmigt worden", hieß es später im Rathaus. Kritiker der Planung, darunter Amtsleiter in Gesprächsnotizen, sprachen da längst von "Durchwinken" und schweren rechtlichen Bedenken. Die damalige Verwaltungsspitze hielt jedoch "progressive Wirtschaftsförderung" als ein Gebot der Zeit. Doch nachdem die Unrechtmäßigkeit als erwiesen galt, Gerichte eingeschaltet waren und der Sachverhalt sich allmählich klärte, sorgten über viele Monate ausstehende Schadenersatzforderungen des Investors für Stirnrunzeln. Ein Vergleich beider Parteien war zwischenzeitlich gescheitert. Das Rathaus in Person von Verhandlungsführer Marco Fulgner, Hauptamtsleiter, hatte stets achselzuckend reagiert: Es wäre allmählich an der Zeit zu wissen, woran man sei.
Eine Zeit lang hing zu diesem Zeitpunkt noch der ausgebleichte rote Baufreigabepunkt an der Bauruine. Ein zeitintensives Normenkontrollverfahren, das die Rechtmäßigkeit der einzelnen Entscheidungsschritte im Detail abwägt, war dem Bauvorhaben bis in die jetzige Zeit anhängig. Nun, nach dem ATU-Vorschlag an den Gemeinderat, wird es das in absehbarer Zeit nicht mehr sein. Kommenden Dienstag wird der Rat der endgültigen Rückabwicklung zustimmen. "Bis heute könnte man dort den Bau eines Krematoriums erneut beantragen", sagte OB Albrecht im ATU, mit dem Zusatz "theoretisch und hypothetisch".
Dass das Heidelberger Landgericht die Forderungen Wiesenauers für überzogen hält, ging aus der jüngsten Verhandlung im Juli hervor. Wiesenauer, der in der Zwischenzeit erfolglos einen Teil seines Gelds von dem betreuenden Architekten zurück haben wollte, gibt sich kämpferisch: "Ein schlechter Witz", lässt er sich zitieren, seien die von der Stadt Sinsheim angebotenen 300.000 Vergleichs-Euro; außerdem scheue er sich nicht, die damaligen Akteure beim Namen zu nennen.
Hauptamtsleiter Fulgner pokerte indessen erneut auf Zeit, hat weitere Vergleichsverhandlungen in Aussicht gestellt. In der Bauruine haben sich zwischenzeitlich Fledermäuse und Rauschwalben angesiedelt.