Ab 18. Mai soll langsam Leben in die Kindergärten einziehen. Archivfoto: Christiane Barth
Von Christiane Barth
Sinsheim. Das alltägliche Leben kehrt zurück, auch dank diverser Interessenvertreter, die sich für jeweils ihre Branche stark machen. Keine schlagkräftige Lobby steht hinter Eltern, deren Kinder den Kindergarten besuchen. Eine Mutter aus Hasselbach – sie will anonym bleiben – sagt: "Für die Schulen gibt es einen Plan, für die Kindergärten gibt es gar nichts." Die Mutter von zwei Kleinkindern wünscht sich mehr Aufklärung, besseren Informationsfluss, und klare Richtlinien. Stattdessen empfinde sie Verunsicherung: "Wir haben überhaupt keine Ahnung, wie es weitergeht."
Landeskultusministerin Susanne Eisenmann plant, die Betreuung in Kindertagesstätten ab 18. Mai "in Richtung" eines reduzierten Regelbetriebs auf bis zu 50 Prozent der Kinder auszuweiten. Mit halben Gruppengrößen könnten Abstandsgebote gewahrt bleiben, Eltern würden besser entlastet, Kinder erhielten "ein Stück Normalität" zurück. Vom Ministerium heißt es, dass an Kindergärten "nicht so viel Personal zur Verfügung steht, wie an den Schulen". Die Risikogruppe beim Personal "scheint größer zu sein". Deshalb wolle man den Trägern Spielräume vor Ort lassen – "zum Beispiel durch ein rollierendes System", bei dem Kinder in festen Gruppen abwechselnd an einzelnen Wochentagen in die Kita kommen.
Unterdessen werde es für die Mutter aus Hasselbach nervlich immer angespannter und finanziell eng: Das Elterngeld sei ausgelaufen, schildert sie. Einen 450-Euro-Job, den sie eigentlich habe antreten wollen, habe sie auf Eis legen müssen, da die Kinderbetreuung nicht geregelt sei. Im Freundeskreis – dort seien oft beide Eltern berufstätig – sehe es ähnlich düster aus. Großeltern müssten einspringen, Risiko hin oder her. "Manche haben jetzt schon ihren gesamten Jahresurlaub verbraucht, weil sie Job und Kinder nicht unter einen Hut bekommen", berichtet die Mutter. Homeoffice helfe nicht weiter: "Nach einem Kleinkind muss man ja rund um die Uhr schauen." Und auch an den Kindern gehe die Gereiztheit der Eltern nicht spurlos vorbei; der Nachwuchs reagiere "unausgeglichen, gereizt und aggressiv". Die Notbetreuung der Kitas, deren Kriterienkatalog sich von ministerieller Seite kürzlich auch auf Berufsbereiche erweitert hat, die nicht als "systemrelevant" gelten, sei für die Hasselbacherin keine Lösung: Zu viele Kriterien müssten erfüllt werden. "Das ist einfach nicht machbar", glaubt die Mutter.
Bei der Sinsheimer Stadtverwaltung hieß es gestern, man prüfe jeden Fall. Die Kapazitäten der Notbetreuung seien derzeit jedenfalls "nicht ausgeschöpft". Eine Bescheinigung des Arbeitgebers genüge oftmals zur Berechtigung.
Wie Kleinkinder den Mangel an Kontakten zu Gleichaltrigen und die Verhaltensänderung der Erwachsenen letztlich wegstecken, kann Yvonne Mellin beurteilen. Die Sinsheimer Erziehungswissenschaftlerin und Vorsitzende des Vereins "Kinderbunt Rhein-Neckar", sagt, dass Kinder "je nachdem, wie die Eltern mit der Situation umgehen" auch eine Durststrecke verkraften könnten. Wichtig sei, dass nach einer langen Kita-Pause eine Eingewöhnungszeit komme, die – je nach Alter und Persönlichkeit – unterschiedlich lange sein könne. Mellin rät zu einem zeitversetzten Wiedereingliedern, "damit die Erzieherinnen genug Zeit für jedes einzelne Kind haben".
Corona stelle Eltern vor die Herausforderung, dem Nachwuchs Sicherheit zu vermitteln, während sie selbst verunsichert seien. In die Kitas, glaubt Mellin, kehrten sowohl Kinder zurück, die in der Krise viel Familienzusammenhalt und Eltern mit kreativen Lösungsideen erlebt haben, als auch Kinder, die ihre Eltern als unsicher, verängstigt, gestresst und erschöpft wahrgenommen haben.
"Solche Erfahrungen können Kinder stärken", glaubt Mellin an eine Chance der Krise: Bindungen könnten sich vertiefen. Wichtig sei, dass Eltern entspannen und möglichst auch gut für sich selbst sorgen können. Dabei könne es helfen, Kinder in Hausarbeiten einzubeziehen, ihnen Aufgaben zu übergeben, sie gewähren zu lassen, wenn sie eigene Spielideen entwickeln, oder mit ihnen Zeit in der Natur zu verbringen.